Athanor 4: Die letzte Schlacht. David Falk
klaubte er herumliegende Kiefernzweige auf, stopfte sie in Körbe, und Theremon kleckerte Teer darüber. Sobald ein Brandkorb fertig war, schleppten sie ihn nach oben, allein oder zu zweit, je nach Größe und Schwere. Danael saß auf der Mauer, trank Wasser und stopfte sich blindlings getrocknete Beeren in den Mund, während sein Blick auf den Wald zu Füßen des Hügels gerichtet war.
»Siehst du was?«, keuchte Leones im Vorübereilen.
Danael schüttelte den Kopf.
»Sie müssen jeden Augenblick am Waldrand auftauchen«, prophezeite Theremon und stellte einen letzten Korb neben dem Aufgang zum Turm ab. »Alle Mann auf den Wehrgang! Du auch, Rhayuna! Dort oben nützt du uns nichts mehr.«
Keatos half Danael auf die Beine und musterte ihn besorgt, doch der Sohn Heras wich dem Blick aus. »Es geht schon«, murmelte er leise. Theremon schien nichts davon zu bemerken. Angestrengt starrte er in die Dämmerung hinab.
»Wird das auch funktionieren?« Skeptisch deutete Die Faust in einen der Körbe.
»Mit gewöhnlichem Feuer vielleicht nicht«, gab Leones zu. Aus grünem Holz stieg meistens nur Dampf auf. Die Flammen mussten es trocknen, damit es in Brand geriet. Doch Leones griff sich eine Fackel und beschwor magisches Feuer. Es verbrannte selbst Stein, wenn man ihm lange genug Zeit ließ. Leones konnte die Hitze bereits spüren, er konzentrierte seine ganze Kraft darauf. Nur den talentierteren Magiern war dieser Zauber gegeben, und Leones gehörte zu jenen, denen er gerade so gelang. Erleichtert sah er, wie eine kleine blaue Flamme aus dem Harz sprang. Zischend fraß sie sich ins Holz und breitete sich aus.
»Nicht übel«, befand Die Faust.
Leones grinste, aber es kam ihm vor wie eine Grimasse. Das kleine Flämmchen war nur ein Funken in der anbrechenden Nacht. Um dieses Heer zu besiegen, hätten sie Dutzende besserer Magier gebraucht als ihn. Während er die Scheite in den beiden Feuerschalen in Brand setzte, an denen sie ihre Brandpfeile anzünden wollten, deutete Theremon jäh in die Ferne.
»Dort!«
Leones trat zu ihm hinter den Kiefernstamm, von dem beißender Teergestank aufstieg. Der Wald am Fuß des steinigen Hangs war nur noch ein dunkler Streifen im Grau. Dennoch glaubte auch er, davor schwarze Schemen zu erkennen.
»Unsere letzte Gelegenheit, um ungeschoren zu entkommen«, mahnte Keatos.
Wutschnaubend fuhr Theremon zu ihm herum. »Tod verdammt, Keatos, wenn du dich verpissen willst, dann verpiss dich! Für Feiglinge ist hier kein Platz.«
Der Sohn Ameas presste nur die Lippen aufeinander und legte den ersten Pfeil auf.
»Warum bist du zur Wache gekommen, wenn’s dir nicht ernst damit ist?«, zischte Die Faust.
»Schnauze jetzt!«, blaffte der Erste. »Schussbereit machen! Auf mein Kommando versengt ihr den Schweinefratzen den Pelz!«
Leones steckte die Fackel in eine der Feuerschalen, hob seinen Bogen auf und schob einen Pfeil auf die Sehne. Insgeheim gab er Rhayuna recht. Keatos gehörte nicht hierher, nicht mit ihnen auf diese Mauer. Schon gestern hatte er sie überreden wollen abzuhauen. Warum war er Grenzwächter geworden, wenn er nicht bereit war, sich zu opfern? Leones blickte den Hang hinab und sah die dunklen Gestalten kommen. Er machte sich nichts vor. Er war hier, um zu beweisen, dass er doch kein Verräter war. Über Theremon flüsterte man, dass er Schuld am Tod seines jüngeren Bruders trug. Auch er war also hier, um sich von einem Makel reinzuwaschen.
»Danael schießt zuerst«, raunte der Erste. »Wenn er trifft, haben wir anderen eine Fackel, die unsere Ziele beleuchtet. Los!«
Mit in sich gekehrtem Blick hielt Danael seinen Pfeil an das magische Feuer. Wie schaffte er es, gleichzeitig zu zaubern und zu schießen? Eine Flamme sprang auf den Brandpfeil über, und sofort schwenkte Danael den Bogen wieder gen Westen, zog dabei bereits die Sehne zurück und ließ sie im nächsten Augenblick los. Leones’ Blick folgte dem etwas verwaschenen Leuchten durch das blaugraue Dunkel. Schnell wie eine Sternschnuppe entschwand es in die Tiefe. Einen Moment lang war es verschwunden, von marschierenden Orks verdeckt, doch dann loderten Flammen auf und tauchten Untote in bläuliches Zwielicht.
»Jetzt!«, rief Theremon, der selbst Pfeil und Bogen in den Händen hielt.
Leones drehte sich zur Feuerschale. Gierig erfasste das magische Feuer die öl- und teergetränkte Spitze seines Pfeils. Rasch wandte er sich wieder dem Feind zu, zielte kurz, schoss. In die Wiedergänger war mehr Bewegung gekommen, sie rannten jetzt den Hang herauf. Leones wartete nicht, ob er traf. Seine Finger zogen den nächsten Pfeil aus dem Köcher, legten ihn auf, während er sich wieder den Flammen zuwandte. Das Verdrehen war mühselig, kostete unnötig Zeit und Kraft. Sie hätten mehr Feuerschalen oder Helfer mit Fackeln gebraucht, aber sie waren nur fünf Wächter gegen eine ganze Armee.
In schneller Folge jagte Leones drei Pfeile in den Pulk der anrennenden Feinde. Drohend schwangen sie ihre Waffen, die im Schein des magischen Feuers aufglänzten. Die vordersten Gegner waren bereits den halben Hang herauf.
»Zeit für die Walzen.« Theremon steckte den Baumstamm vor ihnen in Brand. Auf der mit Teer beschmierten Rinde breiteten sich die Flammen rasch aus. Leones ließ den Bogen sinken und griff sich wieder die Fackel. Drei Stämme lagen auf diesem Wehrgang, und er war mit Rhayuna dazu eingeteilt, den nördlichsten auf den Weg zu bringen. Noch während sie auf ihren Posten rannten, hörte er hinter sich ein Poltern. Nicht umsehen! Schneller! Wenn der Feind zu nah war, entwickelten die Walzen nicht genug Schwung. Im Laufen zog er die Fackel über Rinde und Teer, richtete sich am Ende auf und stemmte einen Fuß gegen den Stamm. Die Faust tat am anderen Ende das Gleiche.
»Warte!« Mahnend hob Leones die Hand mit dem Bogen. Sie mussten den Flammen ein wenig Zeit geben, sich festzufressen, sonst erloschen sie womöglich wieder. Über ihren Stamm hinweg sah er die erste Walze in die Reihen der anstürmenden Gegner rumpeln. Die Vordersten versuchten auszuweichen, warfen sich zur Seite, doch es gab nicht genug Platz.
Leones riss sich von dem Anblick los und senkte den Bogen. »Jetzt!« Rasch lehnte er sich vor, setzte sein Gewicht ein, doch irgendetwas blockierte. Der Stamm rollte nicht. »Verdammt!« Hastig ließ er Fackel und Bogen fallen und sank auf die Knie, um mit den Armen zu schieben. Die Faust folgte seinem Beispiel. Im Licht der sich ausbreitenden Flammen sah er, wie sich ihr Gesicht vor Anstrengung verzerrte. Mit den Füßen suchte er Halt, um sich noch fester gegen die Walze zu stemmen. Das magische Feuer kam näher. Er konnte die Hitze bereits spüren. Seiner Kehle entrang sich ein Ächzen, aber im gleichen Moment gab der Stamm endlich nach. Statt zu rollen, rutschte er über die Kante, doch Leones war es gleich. Keuchend rappelte er sich auf, klaubte Bogen und Fackel vom Boden, während der Stamm mit dumpfem Poltern am Fuß der Mauer aufschlug. Selbst jetzt drehte sich die Walze nicht so recht, sondern holperte und sprang über den felsigen Untergrund. Da der Hang hier noch steiler war als unter dem Südturm, entwickelte sie dennoch gewaltigen Schwung. Statt die Orks zu überrollen, prallte sie wie ein Hieb auf die vorderen Reihen. Etliche Untote gingen zu Boden, bevor der Stamm im Chaos aus Flammen und Leibern verschwand.
»Komm schon!« Die Faust eilte durch den Nordturm auf den nördlichen Wehrgang weiter.
Leones folgte ihr und überholte hinter dem Turm, um die nächste Walze in Brand zu setzen. Hier waren die Orks noch etwas weiter weg, doch die Flut schwarzer Gestalten hatte sich am Fuß des Hangs geteilt und schwappte allmählich auch auf dieser Seite empor. Leones gab das Signal. Dieses Mal war kein Aststumpf im Weg. Der Baumstamm rollte über die Kante und fiel flammend in die Tiefe. Ihm nicht nachzublicken, kostete Leones Überwindung, doch sie mussten rasch auf ihren Posten zurück.
Die anderen hatten die dritte Walze vom westlichen Wehrgang gestoßen und rannten gerade auf die Südmauer hinüber, wo der letzte der Stämme bereitlag. Von unten drangen nur Rumpeln und Schritte herauf, kein wütendes Gebrüll, keine Schmerzensschreie. Leones fehlte das Lärmen lebendiger Gegner. Die Stille wirkte, als hätte er mit seinem Plan nichts erreicht, doch er musste nur nach unten sehen, um sich das Gegenteil zu beweisen. Überall auf dem Hang wälzten sich brennende Untote im Staub. Vergeblich versuchten sie, das magische Feuer zu ersticken. Viel zu schnell breitete es sich auf ihren Körpern aus.
Grimmig