Athanor 4: Die letzte Schlacht. David Falk

Athanor 4: Die letzte Schlacht - David  Falk


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sich wieder für seine blutfleckige Robe.

      »Ich wollte Euch nicht kränken«, versicherte sie und sah ihn eindringlich an. »Ohne Euch hätten uns die Mörder doch längst erschlagen. Ohne Euch wären wir nicht einmal aus Dion entkommen, denn Ihr habt die Schiffe vor den Drachen gerettet. Ich bin sehr froh, dass Ihr bei uns seid.«

      »Ich auch!«, krähte Rhea.

      Selbst Djefer nickte, und so konnte ihm Laurion nicht einmal verübeln, dass er nur seinetwegen die Etikette wahren musste. Wie gern hätte er Nemeras Hand ergriffen. Stattdessen lächelte er sie an, aber sie wandte sich bereits ab und nahm die Finger von seinem Arm, denn Djefer reichte ihr den geschnitzten Fisch, an dem er in der vergangenen Nacht gearbeitet hatte.

      »Für Euch, Herrin. Möge Euch die Urmutter segnen.«

      »Ich hab auch schon einen bekommen!« Prahlerisch zog Rhea das kleine Fischamulett hervor, das sie an einer Schnur unter dem fleckigen Kittel trug.

      »Vielen Dank, Djefer. Du bist ein echter Künstler.« Beeindruckt betrachtete Nemera die detailreiche Figur.

      Laurion wartete vergeblich auf einen weiteren vertraulichen Moment. Stattdessen kam Wind auf, der die Schiffe gegen die Strömung vorantrieb, und die Grenzwächter gestatteten ihm, über die Bordwand seine Robe zu waschen. Strahlend weiß wurde sie nicht mehr, aber die übelsten Flecken verblassten. Nun musste er nur noch die neuen Risse und Löcher flicken, um etwas von seiner Würde zurückzuerlangen. Verständnisvoll überließ ihm Maraya Nadel und Garn.

      Am Abend rasteten sie, um den Pferden und Greifen Ruhe zu gönnen. Die Grenzwächter hielten sich abseits der Dörfer, an denen sie im Lauf des Tags vorübergekommen waren. Einige hatten aus Pfahlhäusern bestanden, in denen wohl Abkömmlinge Ameas lebten, aber außer staunenden Blicken war ihnen dort nichts Ungewöhnliches begegnet. Offenbar wollten es die Grenzwächter gern dabei belassen.

      Die Amea-Krieger waren immer noch hinter ihnen, doch sie hielten nun von selbst den nötigen Abstand, während der Gefangene mit seinen Bewachern weiterreiten musste und erst ein gutes Stück flussaufwärts absteigen durfte. Als der Mond am Himmel stand, stiegen sie wieder in die Boote. Kein Elf murrte darüber oder sah müde aus. Umso unruhiger verbrachte Laurion die Nacht, mal abwechselnd mit Djefer als Wächter, mal auf seiner Bank sitzend und dösend. Eine Weile leistete Maraya ihnen Gesellschaft. Nemera und Laurion erzählten ihr, woher sie kamen und wie die Drachen sie aus ihrer Heimat vertrieben hatten. Die anderen Elfen hörten es schweigend mit an, denn in der nächtlichen Stille konnten ihnen die Worte nicht entgehen. Ob sie nun endlich Mitgefühl empfanden? Ihre unbewegten Gesichter verrieten es nicht.

      * * *

      Vedsevia kehrte nicht zurück. Die Sonne ging unter, die Dämmerung brach an, und als die Schatten mit der Dunkelheit zur Nacht verschmolzen, befahl Theremon, Nehoras einziges Tor zu schließen. Das Einrasten des großen Riegels kam Leones vor wie ein Urteil. Wer sich jetzt noch außerhalb der Festung befand, gehörte nicht mehr zu ihnen.

      »Sie wird sicher noch kommen«, beteuerte Perian.

      »Dann kann sie anklopfen – wie jeder andere auch«, befand der Erste.

      Danael und Keatos waren längst eingetroffen und halfen, den Unterstand der Greife zu zerlegen. Balken um Balken, Stück um Stück des strohgedeckten Dachs schleppten Leones und Perian auf den Wehrgang, während Die Faust auf dem Nordturm Wache stand. Selbst Theremon legte Hand an, füllte sorgsam bemessene Rationen Lampenöl in Eimer und Kürbisflaschen ab.

      »Wir sollten nach ihr suchen«, drängte Perian, als sie zum wiederholten Mal an Theremon vorüberkamen. »Vielleicht wurde sie von einer Vorhut der Orks angegriffen.«

      »Ich habe sie nach Osten geschickt«, erwiderte der Erste. Er sah nicht einmal von seiner Arbeit auf.

      »Leones könnte doch eine Runde mit dem Greif drehen.«

      Theremon bedachte den Heiler mit einem zornigen Blick. »Sie hatte klare Anweisungen. Die anderen kamen rechtzeitig zurück, obwohl sie die gefährlicheren Routen hatten. Ich will nichts mehr davon hören, verstanden?«

      Perian nickte nur, aber als sie begannen, auch die Scheune zu zerlegen, sägte er so verbissen, dass die Späne wie Schneetreiben zu Boden rieselten. Von wem er sich mehr verraten fühlte, von Vedsevia oder dem Ersten, sagte er nicht. Leones zweifelte keinen Moment daran, dass sie abgehauen war. Ihr Wahrtraum – oder was auch immer es gewesen war – hatte sie schon vor der Nachricht aus Anvalon in einen Zwiespalt gestürzt. Wer ist jetzt hier der Verräter?, dachte er mit grimmigem Lächeln.

      Kurz darauf befahl ihm Theremon, einen kurzen Spähflug zu unternehmen, jedoch nicht nach Osten, sondern nach Westen. »Wir müssen sichergehen, dass die Untoten noch so weit weg sind, wie wir glauben.«

      Sturmlöwe grunzte missmutig, schwang sich dann aber doch auf den Wehrgang hinauf.

      »Ich weiß, was du denkst«, behauptete Leones, während er auf Sturmlöwes Rücken sprang. »Schon wieder ein Nachtflug. Bedank dich bei diesen verfluchten Orks! Wenn wir sie finden, brat ich dir einen zum Frühstück.«

      Mit einem neuerlichen Grunzen stieß sich der Greif von der Mauer ab. Dieses Mal musste er flattern, um ihren Fall abzubremsen. Mit kräftigen Flügelschlägen hielt er sie danach in der Luft und gewann langsam wieder an Höhe. Leones lenkte ihn in weiten Bögen gen Westen, um einen Blick auf möglichst viele Lichtungen zu werfen. Nur dort konnte er darauf hoffen, die Wiedergänger zu entdecken.

      Da! Leones beugte sich vor, um genauer hinzusehen. Leises Grollen bewies, dass auch Sturmlöwe sie bemerkt hatte. Dunkle Gestalten bewegten sich im Mondlicht. In einer steilen Kehre lenkte Leones Sturmlöwe zurück und ließ ihn noch einmal niedriger über die Lichtung jagen. Unter ihnen stieß jemand Warnschreie aus. Mit trippelnden Schritten hasteten die Wesen auf den Waldrand zu. Faune. Offenbar auf dem Weg nach Osten. Waren sie bereits auf der Flucht, oder ahnten sie noch nichts von der wahren Gefahr, die ihnen drohte? Leones verlagerte das Gewicht, um den Greif in einem Bogen zurückzulenken, doch die Faune waren bereits unter den Bäumen verschwunden.

      Grummelnd kämpfte sich Sturmlöwe wieder in die Höhe, als über ihnen aufgeschrecktes Quäken ertönte. Überrascht blickte Leones auf. Gänse, die in Pfeilformation angeflogen kamen, stoben vor dem Greif hektisch auseinander und versuchten, an ihm vorbei- und nicht zu nahe zu kommen. Es war nicht ungewöhnlich, dass sie ihren Zug nach Süden bei Nacht fortsetzten, und doch weckte es Leones’ Misstrauen. In Theroia waren die Tiere vor den Untoten geflohen. In den leeren Wäldern hatte sich nicht einmal mehr ein Käfer gerührt.

      Schnatternd flatterten die Gänse gen Südosten davon, während Leones Sturmlöwe wieder nach Westen lenkte. Die wenigen Sterne, die gegen Mondlicht und Dunstschleier ankamen, wiesen ihm den Weg. Bald jedoch konnte er sich an den Vögeln orientieren, die ihnen vom Moor her entgegenkamen. Majestätische Reiher, krächzende Raben, Adler einträchtig neben Enten und Tauben, ganze Schwärme kleinerer Vögel, die den Greif umflossen wie Wasser einen Fels. Leones hörte das Schwirren ihrer unzähligen Flügel, während sie ihn wie eine flüchtige Wolke umgaben. Sogar schwerfällige Auerhähne flatterten gen Osten, dabei schafften sie es sonst nur bis auf den nächsten Baum. Schon äugte Sturmlöwe zu ihnen hinunter.

      »Dass du mir nicht auf dumme Gedanken kommst! Wenn wir nicht bald umkehren, glaubt der Erste, dass wir uns auch aus dem Staub gemacht haben.« Nachdrücklich verlagerte Leones das Gewicht, um Sturmlöwe auf Kurs zu halten.

      Sie passierten letzte Nachzügler der fliehenden Vögel, dann war der Himmel wie leergefegt. Leones sah nach unten. Der Flickenteppich aus Wald und Wiesen war offenerer Landschaft gewichen. In den Senken glänzten die ersten Tümpel. Vereinzelte schwarze Flecken rührten sich nicht, es waren Büsche, keine Orks. Vorsichtshalber zog Leones noch eine niedrigere Schleife, dann kehrte er um. Heute Nacht würden die Untoten Nehora nicht erreichen. Theremon musste möglichst schnell davon erfahren, denn die flüchtenden Vögel würden Nehora vor ihnen erreichen und den baldigen Angriff befürchten lassen.

      Als er in der Ferne zwei Signalfeuer auf den Türmen entdeckte, wusste er, dass er den Ersten richtig eingeschätzt hatte. Die Flammen waren Teil


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