Athanor 4: Die letzte Schlacht. David Falk

Athanor 4: Die letzte Schlacht - David  Falk


Скачать книгу
waren so nah, dass er mit jedem Schuss traf. Er konnte das Knirschen ledriger Haut hören, das Schmatzen faulenden Fleischs und das Zischen der Flammen. Aus dem Augenwinkel sah er Theremon, Keatos und Danael zurückkehren. Die beiden jüngeren Männer wollten ebenfalls nach neuen Pfeilen greifen, aber der Erste gebot ihnen mit einer Geste Einhalt. »Sie sind fast da. Haltet die Brandsätze bereit!«

      Hastig zwängte Leones Kopf, Arm und Schulter zwischen Bogen und Sehne hindurch, um die Hände freizubekommen, und streifte Handschuhe über. Während sich Die Faust und Danael einen der Körbe griffen, trat er an die Innenseite der Mauer. Sogleich blickte Sturmlöwe wachsam zu ihm auf. Leones klopfte mit der Linken auf das rechte Handgelenk – das Zeichen für den Greif, zu ihm zu fliegen. Flatternd sprang Sturmlöwe auf den Wehrgang herauf. Unten brandeten die Orks an die Mauer wie eine schwarze Woge.

      Theremon half Leones, sich die schwere Tasche mit ölgefüllten Kürbisflaschen umzuhängen. »Lass sie leuchten wie Festlaternen!« Ermunternd schlug er Leones auf die Schulter.

      Als sich Leones auf Sturmlöwes Rücken schwang, begriff er, dass der Erste die Untoten meinte. Er war schon so sehr in seine Magie vertieft, dass er Theremons Worte kaum wahrgenommen hatte. Sturmlöwe brüllte beim Anblick der Orks, dass es von den Türmen widerhallte. Schon stieß sich der Greif mit den Hinterbeinen ab und half sofort mit den Schwingen nach, um nicht zu niedrig über den Feind zu gleiten. Leones lenkte ihn auf einen Kreis über dem Hang, fischte dabei eine der Flaschen aus der Tasche und richtete bereits seine Magie darauf. Sofort wurde sie in seiner Hand wärmer und wärmer. Immer stärker wurde der Drang, sie fallen zu lassen, bevor sie ihm die Finger verbrannte. Ewiger Tod! War das heiß! Vor Schmerz spreizte er die Finger, die Flasche entglitt ihm. Er sandte ihr seine Magie nach, aber es war noch zu früh. Sie verschwand aus seiner Reichweite, bevor sich das Öl entzündete. »Verdammt!«

      Zornig zerrte er eine neue Flasche hervor. Vor der Mauer drängten sich die Orks nun so dicht, dass sie tatsächlich wie ein dunkles Meer aussahen. Erst weiter hinten hatte das magische Feuer Lücken gerissen, um die sich die nachrückenden Wiedergänger nun teilten, so gut es ging. Einige wurden jedoch in die Flammen gedrängt, und auch die brennenden Baumstämme lagen noch weiter unten auf dem Hang und wurden für manche Gegner zur Falle. Auf dem Wehrgang hatten seine Kameraden Brandkörbe angesteckt und schleuderten sie in die Menge. Die Orks waren zu eingekeilt, um diesen Geschossen zu entkommen. Fauchend sprangen mannshohe Flammen auf und tauchten die Mauer in bläuliches Licht.

      Die Flasche in Leones Hand erhitzte sich noch schneller als die erste. Er biss die Zähne zusammen und lenkte Sturmlöwe in neuem Winkel zur Festung zurück. Dort, wo die anderen mit ihren Körben Feuer säten, herrschte unter den Wiedergängern Panik und Chaos, doch beim Nordturm stiegen die Orks ungestört aufeinander, krabbelten wie Ameisen übereinander hinweg. »Nur noch ein bisschen«, ächzte er und hoffte, dass ihm das Öl nicht in der Hand explodierte. Er wollte die Flasche nicht zu früh fallen … Au! Seine Hand gehorchte nicht mehr, schüttelte sich einfach, und die Flasche flog davon. Brenne, verdammt! Das Öl entzündete sich so plötzlich, dass der Kürbis barst. Ein Regen aus weißen Flammen ging auf die Untoten nieder.

      »Ja!«, entfuhr es Leones, doch das brennende Öl ging zu weit vor der Mauer nieder. Es traf nicht jene, die mit ihren Körpern die Leiter bildeten. In einer scharfen Kehre jagte er Sturmlöwe zurück. »Da hinten kommen sie hoch!«, brüllte er Theremon zu und deutete zum Nordturm. Der Erste nickte, dann war Leones vorbei. Seine Hand griff bereits nach der nächsten Flasche.

      8

      Noch nie war Laurion so weit gelaufen. Selbst als sie aus dem zerstörten Ehala an die Küste gezogen waren, hatte er oft auf einem Karren gesessen, weil die Sandalen seine Füße wund gescheuert hatten. Nun hingen mehrere Blasen in blutigen Fetzen, aber nach einer Weile spürte er den Schmerz nicht mehr. Obwohl er nicht wusste, wie sie es schafften, ohne Sattel und Zaumzeug zu reiten, beneidete er die Grenzwächter um ihre Pferde, doch selbst Maraya und ihr Begleiter mussten zu Fuß gehen.

      Einen Vorteil hatte das Laufen, denn es hielt die Kälte fern. Ständig war seine Robe klamm. Nachts fiel der Tau, morgens war alles nass, selbst mittags blieb es im Schatten des Waldes kühl, und gegen Abend stieg Nebel aus sumpfigen Niederungen auf. Nahm dieses Wetter hier nie ein Ende? Durch die Lücken zwischen den Baumkronen blickte Laurion zum Himmel. Bei Sonnenschein hätte das bunte Laub vielleicht an die Farben der Wüste erinnert, doch im grauen Dunst blieb es blass. »Ist der Himmel über eurem Land denn niemals blau?«

      »Er war es oft genug«, behauptete Mahanael. »Zumindest bei uns an der Küste. Ich bin nie ins Landesinnere gereist.«

      »Ich war schon einige Male in Yirgalem«, ließ sich Maraya vernehmen, »und ich kann euch versichern, dass der Himmel dort blau war. Aber einen so herbstlichen Wald habe ich nie zuvor gesehen. Wenn das so weitergeht, werden die Bäume sämtliche Blätter verlieren.«

      Mahanael nickte kummervoll. »Es wirkt, als ob er stirbt.«

      »Unsinn«, knurrte einer der Grenzwächter. »Außerhalb der Elfenlande geschieht das jeden Herbst, und im Frühling kehrt das Leben trotzdem zurück.«

      »Ja, außerhalb«, betonte ein anderer. »Aber bei uns war es nie so. Das muss etwas bedeuten. Sicher hängt es mit dem Ewigen Licht zusammen.«

      Bedrücktes Schweigen breitete sich aus. Die Grenzwächter ritten nicht nur an der Spitze und am Ende, sondern flankierten die Flüchtlinge auch an den Seiten. Ob sie es zum Schutz der Menschen taten oder um sie am Fliehen zu hindern, vermochte Laurion nicht zu sagen. Vielleicht traf beides zu, obwohl keinem von ihnen der Sinn nach Weglaufen stand. Sie hofften auf den Kaysar, der ihnen so viel versprochen hatte.

      »Können wir eine Pause machen?«, fragte Rhea. »Ich hab Durst.«

      »Ich könnte auch eine Rast vertragen«, schloss sich Sirkits Tante an und hielt sich mit gequälter Miene den Rücken, denn sie musste ihren Neffen tragen, der noch nicht so weit laufen konnte. Djefer, der überraschend darauf verzichtet hatte, sein Fischernetz mitzuschleppen, nahm ihr den Jungen zwar hin und wieder ab, doch es blieb eine schwere Bürde.

      »Ich habe auch Durst«, sagte Nemera und richtete das Wort an die Elfen. »Es wäre an der Zeit für eine Rast!«

      »Schon wieder?«, murrte die Anführerin der Reiter. Drachenauge hatte sie zu seiner Stellvertreterin bestimmt, während er auf seinem Greif über den Bäumen flog. »Wir haben gerade erst gefrühstückt!«

      Bei dem tristen Wetter war der Sonnenstand schwer zu bestimmen, aber Laurion schätzte, dass es längst Mittag war.

      »Menschen essen und trinken eben sehr viel öfter als wir«, erklärte Mahanael schon zum wiederholten Mal.

      »Stellt euch nicht so an und geht weiter!«, blaffte die Anführerin.

      »Ihr habt gut reden auf Eurem Pferd«, platzte es Laurion heraus. Als sie ihn scharf ansah, bereute er es sofort, aber er wollte ihren Zorn nicht umsonst erregt haben. »Bei uns sind Schwangere und Kinder, die geschont werden müssen.«

      »Würdet Ihr das Gleiche von Elfenkindern verlangen?«, fügte Nemera hinzu.

      »Vielleicht wäre unserem schnellen Vorankommen gedient, wenn wir eine kurze Rast machen und ihr Grenzwächter danach die Kinder mit auf die Pferde nehmt«, schlug Maraya vor.

      Die Anführerin setzte bereits zu einer bissigen Antwort an, musterte dann aber nur die müde Menschenschar. In ihren Zügen zeigte sich kein Mitgefühl. Vermutlich überlegte sie, ob Marayas Vorschlag wirklich vorteilhaft war. »Einverstanden. Kurze Rast!«, rief sie so laut, dass es auch die Nachhut hörte. Selbst Drachenauge musste es vernommen haben, denn wenige Augenblicke später landete nahebei sein Greif.

      Laurion reichte Rhea seine Kürbisflasche. Sirkit und Otreus setzten die schweren Bündel ab, in denen sie die eigenen und Nemeras Habseligkeiten schleppten, und Maraya spritzte sich sogar Wasser ins Gesicht, obwohl Laurion es kein bisschen warm fand. Auch die Grenzwächter stiegen ab, um sich an ihren Vorräten zu bedienen.

      »Alle mal herhören!«, rief ihr Anführer. »Ich habe einen Boten aus Anvalon getroffen, der


Скачать книгу