Athanor 4: Die letzte Schlacht. David Falk

Athanor 4: Die letzte Schlacht - David  Falk


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die Grenzwächter die Neuigkeit mürrisch aufnahmen, übersetzte Laurion die Botschaft, woraufhin unter den Dioniern Freude ausbrach. Selbst Mahanael lächelte.

      »Also sind wir doch nicht die einzigen Überlebenden«, jubelte Emmos’ Frau.

      »Die Urmutter steht uns bei!«

      »Ein Hoch auf den Kaysar!«

      »Könnt Ihr uns mehr verraten?«, fragte Nemera über das Stimmengewirr hinweg. »Den Namen des Schiffs oder wer es steuert?«

      »Davon war keine Rede«, antwortete Drachenauge bedauernd. »Ihr werdet euch bis Anvalon gedulden müssen.«

      »Wer immer es ist, gibt uns Hoffnung«, freute sich Laurion. Vielleicht erfüllten sich Nemeras Träume am Ende doch, und sie konnten hier ein neues Dion ohne Nekromanten begründen. Und eines fernen Tages, wenn ihr Volk zu neuer Blüte gelangt war, würde ein Kaysar mit einer Flotte über den Ozean fahren, um das alte Dion von den Drachen zurückzuerobern.

      Die Regentin lächelte Laurion zu. Als ob sie an einer Tafel säßen, hob sie den Becher, den Sirkit ihr gereicht hatte. »Auf die Hoffnung!«

      »Auf die Hoffnung!«, erwiderte er und nahm einen Schluck aus der Kürbisflasche.

      »Dann versteht ihr sicher, dass wir in Eile sind«, merkte Drachenauge an und kehrte zu seinem Greif zurück. »Sagt euren Leuten, dass wir aufbrechen müssen!«

      »Verschieben wir die Feier auf den Tag, an dem wir alle wieder vereint sind!«, rief Nemera. »Jetzt müssen wir weiter.«

      »Darf ich wirklich reiten?«, fragte Rhea, während Sirkit, Emmos und zwei andere Dionier in unterschiedliche Richtungen ins Dickicht eilten, um sich noch rasch zu erleichtern. Die Grenzwächter schwangen sich wieder auf ihre Pferde.

      »So ist es ausge…« Ein Warnruf ließ Laurion verstummen. Zwischen den Bäumen jagte ein Reiter heran. Er musste bereits nah gewesen sein, bevor er sein Pferd in Galopp gesetzt hatte, denn erst jetzt trommelten die Hufe laut auf den Waldboden. Das Aufglänzen von Metall verriet den Speer in seiner Hand.

      »Das ist niemand von uns!«, schrie eine Grenzwächterin.

      Drachenauge sprang wieder von seinem Greif und riss die Klinge heraus. Mehrere Elfen galoppierten bereits auf den Fremden zu. Sie zogen die Schwerter, doch der Krieger schleuderte schon den Speer. Erschrocken drehte sich Emmos nach dem Hufschlag um. Im nächsten Augenblick fuhren zwei Handbreit Stahl in seine Brust. Wie ein gefällter Baum schlug der junge Fischer zu Boden.

      »Emmos!«, kreischte seine Frau und hastete auf ihn zu.

      »Haltet sie auf!«, schrie Nemera, die selbst von Otreus zurückgehalten wurde.

      Obwohl keine Aussicht bestand, sie rechtzeitig zu erreichen, rannte Laurion los. In diesem Augenblick schnitten die Grenzwächter dem Fremden den Weg ab. Der Angreifer schien sein Pferd sogar selbst anzuhalten und hob die Arme, um zu zeigen, dass er nun unbewaffnet war. An seiner Rüstung schimmerte Perlmutt. Ameathar.

      Emmos’ Frau warf sich neben ihrem Mann auf die Knie und barg das Gesicht schluchzend an seinem Hals. Bestürzt blieb Laurion stehen. Emmos rührte sich nicht mehr. Seine weit geöffneten Augen starrten blicklos zum Himmel.

      »Bei allen Astaren!«, brüllte Drachenauge Ameathar an. »Was zum Ewigen Tod ist in dich gefahren? Dieser Mensch hatte dir nichts getan!«

      »Zwei Abkömmlinge Ameas starben durch Menschenhand am Ufer des Everos«, antwortete der Krieger. »Nun sind zwei Menschen von Elfenhand gestorben. Vorerst ist der Gerechtigkeit Genüge getan, aber ich werde euch begleiten und vor dem Rat gegen diese Eindringlinge sprechen. Ein ganzer Zweig meiner Familie fand beim Massaker des Oromenos den Tod. Nie haben die Menschen für diesen Frevel bezahlt.«

      * * *

      Beeindruckt sah Athanor zu Laogons Glocke hinauf. Seit Tagen herrschte in Anvalon hektisches Kommen und Gehen, doch hier, unter den beiden gewaltigen Bäumen, die das Dach für die Glocke bildeten, war nichts davon zu spüren. Aus jedem der beiden Stämme zweigte in großer Höhe ein Ast ab, der selbst als Stamm durchgegangen wäre, und anstatt sich zu verjüngen und in zahllose Zweige zu teilen, trafen sie sich in der Mitte und gingen so glatt ineinander über, dass es von unten unmöglich zu erkennen war, wo der eine endete und der andere anfing. Diese auf magische Weise gewachsene Brücke diente als Querbalken, an dem die riesige Glocke hing. Athanor schätzte, dass sie so hoch wie zwei Männer und am unteren Ende fast ebenso breit war. Wenn sie auf den emporblickenden Orkzahn herabgefallen wäre, hätte sie sogar den Troll in ihrem Inneren verborgen.

      »Das legendäre Werk eines sagenumwobenen Astars«, sagte Akkamas ehrfürchtig. »Laogon soll sie den Elfen während des Krieges gegen Imeron geschenkt haben, damit sie ihn zu Hilfe rufen konnten, wenn Anvalon in Gefahr war.«

      »Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn er aufgetaucht wäre, um uns gegen diesen untoten Giganten beizustehen. Aber er lebt wohl schon lange nicht mehr.« Athanor ließ den Blick zu einem anderen Ast schweifen, von dem an zwei armdicken Seilen ein waagrechtes Stück Baumstamm herabhing. Mithilfe eines weiteren Stricks, der bis fast zum Boden reichte, konnte dieser Schlegel bewegt und gegen die Glocke geschlagen werden.

      »Bei einem Astar wäre ich da nicht so sicher«, erwiderte Akkamas und setzte seine Runde um die Glocke fort. »Die Frage ist eher, worauf sich gerade seine Aufmerksamkeit richtet. Du hast Lykaron erlebt. Niedere Wesen zu retten, stand nicht sehr weit oben auf der Liste seiner Prioritäten.«

      Athanor schnaubte abfällig. »Lass das keinen Elf hören. Sie mögen es nicht, wenn man sie mit Menschen in einen Topf wirft.«

      »Würde ich doch niemals tun«, behauptete Akkamas verschmitzt.

      Athanor nickte nur. Je länger er die Glocke betrachtete, desto mehr kam es ihm vor, als laste ihr enormes Gewicht auf seinen Schultern. Weder in Ithara noch in Theroia hatte es ein solches Wunder gegeben, doch dafür prunkvolle Paläste, säulengestützte Tempel, mit Mosaiken geschmückte Bäder, Statuen aus Bronze und Marmor … Und er hatte dazu beigetragen, das alles zu zerstören. »Ich kann verstehen, dass es den Elfen schwerfällt, sich von diesen Bauwerken zu trennen, die ihre Ahnen über Jahrtausende erschaffen haben.«

      »Es findet sich immer eine neue Höhle«, brummte Orkzahn.

      »Das mag sein, aber ich weiß, wie es ihnen ergehen wird, wenn sie in der Fremde an Anvalon zurückdenken werden.«

      »Auch ich weiß es«, behauptete Akkamas. »Für lange Zeit waren mir die Städte Dions ein Zuhause. Aber unsere Heime wurden zerstört, bevor wir sie verließen. Diese Stadt dagegen steht noch. Vielleicht wird sie sogar noch lange erhalten bleiben. Unter diesen Umständen fällt es viel schwerer, sie zurückzulassen.«

      »Ich hadere nicht mit den Elfen«, gestand Athanor. »Ich hadere mit mir.«

      »Warum?«

      »Weil ich ein schlechter König bin.«

      Sein Freund schmunzelte. »Weil du hier herumlungerst und Kunstwerke bestaunst, statt dich um deine Untertanen zu kümmern?«

      »Hol’s der Dunkle!« Er ärgerte sich jedes Mal, wenn ihm der Fluch noch entfuhr, aber die Macht der Gewohnheit war stärker. »Ist es so offensichtlich?«

      »Es hätte schon gestern nichts mehr dagegen gesprochen, der Regentin entgegenzureiten. Wir können hier kaum etwas tun, als auf Nachrichten zu warten.«

      »Aber du hast nichts gesagt.«

      Nun grinste Akkamas. »Ihr seid der Kaysar. Es ist nicht an mir, Euch vorzuschreiben, wie Ihr Euer Volk zu führen habt.«

      »Und schon weiß ich wieder, weshalb sich ein König nie auf seine Ratgeber verlassen sollte«, scherzte Athanor halbherzig.

      »Keine Sehnsucht nach Nemeras … nicht zu verleugnenden Reizen?«

      »Das ist es nicht«, wehrte er ab. »Eine bessere Gemahlin könnte sich kein Kaysar wünschen. Aber ich bin für diese Rolle einfach nicht gemacht. Ich kann Heere


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