Athanor 4: Die letzte Schlacht. David Falk
die Ghule, vielleicht auch die Drachen, das hängt alles miteinander zusammen.«
»Die Schamanen wurden den Plänen unseres Gegners zu gefährlich, sonst hätte er sie nicht getötet«, vermutete Akkamas.
»Das sagt auch dieser Oger von einem alten Elf«, fluchte Orkzahn. »Aber jetzt sind sie tot!«
»Es war nicht deine Schuld«, versicherte Athanor. »Du hast diese Schamanin vor den Ghulen gerettet. Mehr konntest du nicht tun. Gegen Geister sind wir machtlos.«
Bedrückend wahr blieb der Satz in der Luft hängen. Weder Akkamas, noch Orkzahn oder gar er verstanden etwas von dieser Geisterwelt, von der die Trollschamanen gesprochen hatten. Warum kamen die Geister plötzlich von dort zurück, statt ins Schattenreich zu gehen? Und wie schützte man sich vor Geistern, wenn Opfer und Gebete von Priestern wie Menep versagten? Wäre sein Volk noch am Leben gewesen, hätte Athanor nach einer Hexe gesandt, auch wenn jenen Frauen ein schlechter Ruf angehaftet hatte. Doch sie waren ebenso gestorben wie die Priester und Magier, die Wunderheiler und Wahrsager. Selbst die Elfen schienen ratlos. An wen also sollten sie sich wenden?
»Wir müssen diesen Omeon befragen«, stellte Akkamas fest. »Er hat angedeutet, mehr zu wissen als wir.«
»Er ist ein Oger«, warnte Orkzahn. »Wahrheit und Lügen sind für ihn eins.«
»Dennoch sehe ich keinen anderen Weg.« Athanor stand auf. Elfen schliefen nicht viel. Am besten statteten sie dem Alten gleich einen Besuch ab. »Finden wir heraus, ob er wirklich von Nutzen ist.«
* * *
Magie! Laurion schreckte auf und sah sich blinzelnd um. Er hätte geschworen, nicht geschlafen zu haben, doch seine Augen waren verquollen, und der Mond stand tief. Seine Wache mit Emmos war längst vorüber. Nun saß Djefer neben dem erloschenen Feuer und schnitzte einen Fisch aus einem angebrannten Ast. Verwirrt zog Laurion die Robe enger um sich. Was hatte ihn geweckt? Warum raste sein Herz?
Djefer schnitt eine Schnarchgrimasse und nickte grinsend in Otreus’ Richtung. Nemeras Leibwächter hockte zwischen ihnen und dem gefesselten Krieger im Gras, doch der Kopf war ihm tief auf die Brust gesunken. So viel zu seinem überragenden Pflichtbewusstsein … Doch es lohnte sich nicht mehr, Otreus zu wecken, denn bald waren die Männer von der Kaysas Segen an der Reihe.
Beunruhigt blickte Laurion zum Waldrand hinüber. Unter den Bäumen war es finster wie in einer verschlossenen Gruft. Wie sollte er einen Feind bemerken, der sich dort anschlich? Konnte er sich auf die Elfen verlassen, die Ufer und Waldrand abgingen? Die beiden Greife hatten sich zwar zusammengerollt und schliefen, aber die Pferde standen grasend oder dösend um das Lager. Sicher würden sie aufmerken, wenn sich im Wald etwas regte.
Beim Stampfen eines Pferds zuckte Laurion zusammen. Die Elfen hatten ihre beiden Toten einfach liegen lassen, als ob ihnen die Leichen gleichgültig waren. Doch wenn Mentes aufgestanden war, um Rache zu nehmen, warum sollten es nicht auch die Elfenkrieger tun? Angespannt horchte Laurion in die neblige Nacht. Bei den Schiffen unterhielten sich leise zwei Grenzwächter miteinander. Hier und dort rupften Pferde vom üppigen Gras. Djefers Messer kerbte Fischschuppe um Fischschuppe ins Holz. Kein Anzeichen für Untote. Nur das gleichmäßige Atmen der Schlafenden um ihn herum.
Magie … Im Traum hatten ihn dunkle Ahnungen bedrängt. So wie Rhea oft an seiner Robe zupfte, wenn sie Aufmerksamkeit wollte, zupfte das Misstrauen noch immer an seinen Gedanken. Argwöhnisch versuchte er, verborgene Zauber zu erspüren. Sobald er sich dafür öffnete, überwältigte ihn die Magie. Sie war so stark, dass er sich ihr mit einem Keuchen wieder entzog. Alarmiert sah er sich um. Irgendein Elf musste gerade einen Zauber wirken.
Aus Otreus’ Richtung ertönte ein krächzender Laut, aber der Wächter zuckte nur seltsam mit dem Kopf.
»Otreus!« Laurion sprang auf und stürmte über die Schlafenden hinweg. Erschreckt setzten sie sich auf, murmelten und riefen Fragen, aber Laurion hatte nur noch Otreus im Sinn. Obwohl er saß, schwankte der Wächter, als sei er betrunken. Laurion wirbelte um ihn herum und sank vor ihm auf die Knie. »Was hast du?« Fassungslos blickte er in Otreus’ Gesicht. Im Dämmerlicht war es nicht leicht zu erkennen, doch der zuvor stämmige Mann sah faltig und hager aus – als sei er gerade um Jahrzehnte gealtert. Auf den rissigen Lippen prangten dunkle Flecken. Blut. Otreus schien sprechen zu wollen, doch aus seiner Kehle drang nur Kratzen.
»Wasser!«, schrie Laurion. »Er braucht Wasser!«
Um ihn herum waren nun Menschen und Elfen in Aufruhr, riefen und eilten verwirrt durcheinander. Otreus’ Finger krallten sich in Laurions Robe wie die Klauen eines Vogels. Vor Entsetzen hatten sich seine Augen geweitet, und Laurion konnte den Blick nur erwidern. Otreus sah aus wie ein Verdurstender in der Wüste. Endlich reichte ihnen jemand einen Becher. Laurion setzte ihn Otreus an die Lippen und ließ etwas Wasser in seinen Mund rinnen. Otreus saugte es so gierig ein, dass ihn ein Hustenkrampf schüttelte.
»Langsamer«, mahnte Laurion und versuchte es noch einmal.
»Gütiger Alfar von Wey!«, erklang hinter ihm Marayas Stimme. »Es ist Ameathar! Er tötet ihn!«
»Schafft den Kerl von den Menschen weg! Sofort!«, blaffte Drachenauge.
»Wie hätten wir ahnen sollen, dass seine Magie so weit reicht?«, verteidigte sich jemand.
»Lasst mich ihm helfen«, bat Maraya. »Wenn es nicht schnell genug geht, könnte er einfältig oder ein Krüppel bleiben.«
Widerstrebend ließ sich Laurion von ihr zur Seite schieben. Noch immer klammerte sich Otreus wie ein Ertrinkender an ihn, obwohl das Gegenteil der Fall war.
»Ich kann Euch retten«, beteuerte Maraya und legte Otreus eine Hand an die Wange. »Bitte vertraut mir. Wenn Ihr Euch wehrt, kann ich mich nicht auf meinen Zauber konzentrieren.«
Er krächzte etwas Unverständliches und starrte sie zornig an, doch er schien zu entkräftet, um sie wegzustoßen oder gar nach ihr zu schlagen.
Können wir ihr wirklich vertrauen? Sie ist eine Tochter Ameas. Doch ihre Sorge klang echt, und sie berührte Otreus, ohne Abscheu zu zeigen. »Lass es sie versuchen!«, bat Laurion. »Du hast doch gesehen, wozu die Heiler im Stande sind.«
Otreus’ rauer Kehle entrang sich ein Seufzen. Endlich hielt er still und fügte sich in sein Schicksal. Maraya schloss die Augen, aber ihre Hand blieb, wo sie war. Mittlerweile hatten sie die anderen umringt. Nemera warf Laurion einen fragenden Blick zu. Er nickte beruhigend. Unter so vielen Blicken würde die Elfe Otreus sicher nichts antun.
Allmählich spürte er, wie ihre Magie sie umfloss und an Stärke gewann. Gerade hatte Otreus’ Haut noch gewirkt wie trockenes Leder, doch nun füllten sich seine Wangen wieder. Die tiefen Falten glätteten sich und verschwanden. Der ausgemergelte Körper gewann seine Masse zurück, der trübe Blick seinen Glanz. Selbst die Bartstoppeln ragten nicht mehr so weit aus der Haut.
Als Maraya zurückwich, fasste Otreus nach dem Becher und leerte ihn in einem Zug. Erleichtert jubelten die Dionier auf, Djefer am lautesten von allen. Lächelnd erhob sich Maraya, und Laurion ahmte es hastig nach. »Wie habt Ihr das gemacht? Diesen Zauber habe ich noch nie gesehen.« Und wie wertvoll wäre er für die Reisenden in der Wüste gewesen!
»Ach, das war einfach«, wehrte sie bescheiden ab. »Ich habe nur die Feuchtigkeit des Nebels in seinen Körper geholt. Es liegt in unserer Natur, den Fluss des Wassers zu lenken.«
»Dann hat er dasselbe getan, nur anders herum?« Rasch sah sich Laurion nach dem gefesselten Krieger um, den die Grenzwächter einige Pferdelängen fortgezerrt hatten.
»Fast hätte er aus Otreus einen Stockfisch gemacht!«, empörte sich Djefer.
Maraya nickte. »Ameathar darf Euch nicht mehr so nahe kommen. Es gibt keinen Weg, ihn am Zaubern zu hindern.«
»Doch«, widersprach Mahanael, »einen gibt es: Fesseln aus Blei. Aber genau deshalb werden wir keine in den Elfenlanden finden.«
* * *
Als Leones Nehora erreichte, stand die Sonne