Athanor 4: Die letzte Schlacht. David Falk

Athanor 4: Die letzte Schlacht - David  Falk


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Ihr Blick verriet, dass sie Peredin nicht mehr wahrnahm. Wer waren diese Abkömmlinge Chions? In Athanors Gegenwart hatte sie nie jemand erwähnt. Handelte es sich um verachtete Bastarde wie die Töchter und Söhne Thalas, deren Existenz in Anvalon ebenfalls totgeschwiegen wurde? Mahanael hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass die Abkömmlinge Thalas darüber verbittert waren. »Noch ein Elfenvolk, das nicht im Rat vertreten ist?«, stichelte Athanor deshalb.

      »Die Abkömmlinge Chions sind kein eigenes Volk«, wehrte Peredin sogleich ab. »Ihrer Abstammung nach sind sie Söhne und Töchter Piriths, aber als Abtrünnige haben sie das Recht verwirkt, diesen Namen zu tragen.«

      »Warum habe ich nie zuvor von ihnen gehört?«, beschwerte sich Beneleas.

      »Unsere Wege haben sich am Ende des Vierten Zeitalters getrennt«, erklärte sein Vater. »Wenn ich nicht vor Jahren im Archiv des Rats darauf gestoßen wäre, wüsste ich selbst nichts darüber.«

      »Dann leben sie also nicht in den Elfenlanden«, folgerte Athanor. »Und wenn sie es geschafft haben, ohne das Ewige Licht zu überleben, dann wollt Ihr von ihnen lernen, wie das möglich ist.«

      Peredin schüttelte den Kopf. »Wenn es so einfach wäre, hätte es im Rat weniger Streit gegeben. In unserer Lage hätte niemand ernsthaft ablehnen können, eine Gesandtschaft nach Norden zu schicken, auch wenn die Abkömmlinge Chions Frevler sein mögen.«

      »Die Frage ist, ob eine Gesandtschaft jemals zurückgekehrt wäre«, vermutete Mahalea. »Nach allem, was ich aus den Aufzeichnungen meiner Vorgänger weiß, kann man diesen Abtrünnigen nicht trauen.«

      »Ihr besitzt in Uthariel Schriften über sie?«, staunte der Erhabene. »Dann wisst Ihr vielleicht mehr als ich.«

      »Das bezweifle ich. Im Grunde handelt es sich nur um Auflistungen der Gefahren, mit denen sich die Grenzwache konfrontiert sehen könnte. Jeder Kommandant ergänzt sie um seine Erfahrungen. Was die Töchter und Söhne Chions angeht, ist dort verzeichnet, dass es sich um Frevler wider das Sein handelt, die nicht vor Mord an Angehörigen des eigenen Volks zurückschrecken. Ich weiß nicht mehr, welcher meiner Vorgänger diesen Abschnitt verfasst hat, aber die eindringliche Warnung ist mir im Gedächtnis geblieben. Sein Rat an alle Grenzwächter lautete, niemals einem Abkömmling Chions den Rücken zuzuwenden.«

      »Dann kommt es also gelegentlich zu Begegnungen?«, erkundigte sich Akkamas.

      »Nein. Der Vermerk lag mindestens zwei Jahrtausende zurück, und seitdem wurde er von keinem Kommandanten mehr aufgegriffen.«

      »Woher wollt Ihr dann wissen, dass es dieses Volk überhaupt noch gibt?«, wandte sich Akkamas an Peredin.

      »Wir wissen es nicht«, gab der Erhabene zu. »Aber für Astarions Vorschlag spielt es keine Rolle.«

      »Das verstehe ich nicht«, gestand Mahalea. »Worauf wollt Ihr hinaus?«

      »Erzählt uns die ganze Geschichte, Vater«, bat Beneleas und schenkte Peredin noch einmal nach, bevor er sich ebenfalls setzte. »Im Rat schlugen die Wogen so hoch, dass ich kaum noch etwas verstand.«

      »So weit sie mir überhaupt bekannt ist, will ich das gern tun«, versicherte sein Vater. »Die Wurzeln des Streits reichen bis in den Krieg zurück, der uns am Ende des Vierten Zeitalters die Vorherrschaft über die Welt kostete. Dies wurde auch in dem alten Ratsbeschluss angedeutet, aber leider nicht weiter ausgeführt. Als Astarion heute darauf zu sprechen kam, zitierte ein Gelehrter der Abkömmlinge Ameas aus einer Chronik, in der die Bewohner des Nordens als Verräter an allen Elfenvölkern bezeichnet werden. Aber leider wissen wir nicht, worum es dabei ging. Der Ratsbeschluss selbst bezieht sich auf spätere Frevel, die von den Verrätern begangen wurden. Darüber konnten wir allerdings gar nicht mehr sprechen, weil der Gelehrte betonte, dass es sich bei den Abkömmlingen Chions um Söhne und Töchter Piriths handelt.« Peredin seufzte. »Sofort ist wieder der Streit um Kavaraths Mitwisser ausgebrochen, weil wir sie immer noch nicht anklagen konnten. Einige Ratsmitglieder werfen den Abkömmlingen Piriths jetzt vor, auf eine Tradition des Verrats zurückzublicken und deshalb kein Vertrauen mehr zu verdienen. Ich befürchte, dass nun Gerüchte umgehen, dass sie auch hinter der Zerstörung des Ewigen Lichts stecken. Die Vertreter der Abkömmlinge Piriths haben sich zurecht darüber empört, aber die Frage hat die Gemüter so sehr erhitzt, dass ich die Wogen nicht mehr glätten konnte. Am Ende haben sie aus Protest den Saal verlassen, und ich kann nur hoffen, dass Astarion sie bis morgen umzustimmen vermag. Die Debatte ist auch ohne diese Querelen noch schwierig genug.«

      Athanor nickte. Nachdem sein eigenes Volk durch Verrat vernichtet worden war, konnte er das Misstrauen gegenüber den Abkömmlingen Piriths nur zu gut verstehen. Doch ein ganzes Volk für die Intrigen einer einzigen Familie zu verurteilen, war ungerecht und stand dem Frieden im Weg. »Diese Vorwürfe werden den Zusammenhalt der Abkömmlinge Piriths verstärken. Solange sie von außen angegriffen werden, werden sie sich gemeinsam verteidigen.«

      »Anfangs hatte ich gehofft, dass die Anschuldigungen einen Keil zwischen die Aufrichtigen und die Verräter treiben würden«, gestand Peredin. »Aber Ihr habt recht. Wir warten seit Monden umsonst darauf, dabei sollten die Aufrichtigen ebenso verunsichert sein wie wir.«

      »Allerdings«, stimmte Mahalea ihm zu. »Wie kann man noch Tür an Tür oder gar unter einem Dach leben, wenn man nicht weiß, wer an Kavaraths Komplott beteiligt und für den Tod so vieler Elfen mit verantwortlich war? Ich würde keinen Schlaf mehr finden, bis ich es herausgefunden hätte.«

      Beneleas sprang auf. »Dann sollen wir nichts mehr dazu sagen, bis sie geruhen, uns die Verräter von selbst auszuliefern? Sie haben eine Erhabene ermordet! Wer sagt uns, dass meinem Vater nicht dasselbe Schicksal droht?«

      »Mäßige dich, Beneleas!«, forderte Peredin. »Kavarath war der skrupellose Intrigant hinter diesen Taten. Die Trolle haben ihn dafür gerichtet. Ivanaras Mörder starb sogar am Ort seines Verbrechens – von der Hand der Kommandantin. Beide haben ihre Verfehlungen also mit dem Leben – und vermutlich auch ihrer Seele – bezahlt. Diese abschreckenden Beispiele dürften genügen, um ihre Mitwisser von weiteren Bluttaten abzuhalten.«

      »Das hoffen wir, Erhabener«, sagte Mahalea, »aber ich habe auch Verständnis für Beneleas’ Bedenken.«

      »Wir haben jetzt dringlichere Sorgen«, wehrte Peredin ab.

      Widerstrebend setzte sich sein Sohn wieder und nahm einen Schluck Wein.

      »Ich habe Euch nur von dem Streit erzählt, damit Ihr wisst, was im Rat vorgeht. Von Euch erwarte ich, dass Ihr mir helft, diesen unseligen Disput zu vertagen, bis wir unser Überleben gesichert haben.«

      Mahalea nickte. »Diese Frage hat selbstverständlich Vorrang. Aber wie sollen uns nun ausgerechnet diese Abtrünnigen helfen?«

      »Während des Vierten Zeitalters lebten Elfen über ganz Ardaia verstreut«, erklärte der Erhabene.

      »Selbst jenseits des Ozeans?«, wollte Athanor wissen. Der Sphinx, von dem er zum Kampf gegen den Riesen beim Turm der Vergessenen Götter gezwungen worden war, hatte von einstigen Elfenstädten erzählt, deren Ruinen aus dem Wüstensand ragten.

      »Nicht in Dion«, antwortete Akkamas. »Aus meinem Land zogen sie sich bereits am Ende des Dritten Zeitalters zurück, als der Krieg der Astare nur Sand und Asche hinterließ. Zumindest wurde es mir so von meinen Vorfahren überliefert, und ich neige dazu, ihnen zu glauben«, fügte er mit einem Lächeln an Peredin hinzu. »Aber jenseits der Donnerberge mag es anders ausgesehen haben.«

      »Ich bin sicher, dass Ihr die Geschichte Eurer Heimat besser kennt als ich«, sagte der Erhabene gelassen. »Es kann jedoch kein Zweifel daran bestehen, dass das Vierte Zeitalter das Zeitalter der Elfen genannt wird, weil wir damals das größte und mächtigste Volk Ardaias waren.«

      Akkamas nickte. »Dem wollte ich keineswegs widersprechen.«

      »Was hat das jetzt alles mit den Abkömmlingen Chions zu tun?«, fragte Beneleas ungeduldig.

      »Ich weiß, worauf Ihr hinauswollt«, vermutete Mahalea. »Wenn Elfen überall auf der Welt gelebt haben, waren sie zu weit von unserem Ewigen Licht entfernt, um im Alter


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