Athanor 4: Die letzte Schlacht. David Falk
Gebissenen die Waffe entwunden und holte mit der Klinge zum Hieb aus. Mit ihrem Schild warf sich eine Kriegerin zwischen Mentes und sein Opfer. Krachend prallte das Schwert auf den Schildkrötenpanzer, der deutlich sichtbare Sprünge bekam.
»Wie kann er ein Wiedergänger sein?«, herrschte der Grenzwächter Laurion an. »Es ist heller Tag!«
»Das stört sie neuerdings nicht mehr. Ich weiß auch nicht, warum.«
Mit einem Knurren blieb der Drachenäugige stehen. »Weg da!«, brüllte er die Amea-Krieger an. »Wollt ihr euch alle umbringen lassen? Der Kerl ist tot!«
Feindselige Blicke richteten sich auf ihn und Laurion. Wer nicht an den Wiedergänger kam, wandte sich ihnen zu.
»Mentes!«, schrie Laurion. »Hör sofort auf! Ich verstehe ja, dass du sauer bist, aber sollen wir deshalb alle sterben?«
Der Untote wütete ungerührt weiter.
»Er hört nicht auf mich.«
»Das sehe ich selbst«, schnappte der Grenzwächter. »Zurück von dem Wiedergänger, zurück! Ihr werft nur eure Seelen weg!« Der Blick der Drachenaugen verschleierte sich. Im ersten Moment fürchtete Laurion, der Elf wäre getroffen, und rechnete mit dem gleichen Schicksal für sich. Es waren genügend Schwerter und Speere auf ihn gerichtet. Doch schon loderte eine grelle Flamme aus Mentes’ zerlumptem Gewand. Erschrocken wichen seine Gegner zurück. Das weiße Feuer fraß sich zischend in den lebenden Leichnam. Mentes warf sich zu Boden, wälzte sich im Gras, aber es half nichts. Neues Feuer loderte in seinem widerspenstigen Haar. Immer schneller breiteten sich die Flammen aus. Der Gestank nahm Laurions Kehle in würgenden Griff. Er presste die Hand auf den Mund und wandte sich ab. Vielleicht war es doch ein Segen der Urmutter gewesen, dass er die Schlacht gegen die Drachen verschlafen hatte.
»Der Wiedergänger hat zwei von uns getötet!«, rief jemand. »Da seht ihr, wie gefährlich die Menschen sind!«
»Versenken wir sie im Fluss, bevor sie noch mehr anrichten können!«
Hasserfüllte Mienen wandten sich Laurion zu. Neben ihm riss der Grenzwächter die Arme empor und klopfte hektisch mit einer Hand aufs Gelenk der anderen. Warum zog der Narr nicht lieber sein Schwert? »Dieser Mensch hat uns vor dem Angriff gewarnt!«, rief er stattdessen. »Runter mit den Waffen! Wer gegen das Sein frevelt, erntet das Nichts!«
In den Mienen einiger Gegner regte sich Zweifel, doch andere kamen bedrohlich näher.
»Überlass ihn uns, dann verschonen wir dich«, knurrte der Krieger in der perlmuttverzierten Rüstung.
Endlich zog auch der Drachenäugige die Klinge. »Ich werde meine Seele zu verteidigen wissen, Frevler.«
»Seid ihr wahnsinnig, Elfenblut vergießen zu wollen?«
Weitere Stimmen erhoben sich, doch sie gingen im Rauschen großer Schwingen unter. Wie ein riesiger Stein fiel der Greif mit einem Adlerschrei vom Himmel. Ein Prankenhieb schleuderte die Waffe des Amea-Kriegers davon. Neben Laurion wirbelte der Grenzwächter auf dem Absatz herum, bevor ihnen jemand in den Rücken fallen konnte. Ein zweiter Greif kreiste über Freund und Feind. Der Reiter auf seinem Rücken zielte mit einem Pfeil in die Menge. Grenzwächter auf Pferden trieben ihre Tiere zwischen die Flüchtlinge und die Amea-Krieger.
»Waffen runter! Wird’s bald!«, brüllte der Drachenäugige.
Widerstrebend kamen auch die grimmigsten Gegner der Aufforderung nach.
»Mir reicht’s mit euch! Ich mag euch nicht verbieten können, uns zu verfolgen, aber ihr werdet Abstand halten. Und du …« Er wandte sich an den Wortführer, der mit abwehrend erhobenen Händen vor dem drohenden Greif stand. »… bist verhaftet wegen Angriffs auf einen Grenzwächter. Über dein Schicksal soll der Hohe Rat in Anvalon entscheiden.«
Zornig ballte der Krieger die Fäuste.
Jetzt sollte der Kerl auch noch mit ihnen fahren? Laurion wünschte, der Greif hätte den Elf zerfetzt. Wie wollten die Wächter ihn am Zaubern hindern? Ein Magier blieb selbst in Fesseln gefährlich.
5
Peredin schien über Nacht gealtert. Vermutlich hatte er seit dem Angriff des Giganten nicht mehr geschlafen. Seine Wangen sahen eingefallen, seine Haare grauer aus. Müde scheuchte er sein Gefolge mit einer Handbewegung von der Schwelle des Empfangssaals. »Wir sprechen morgen weiter. Ich werde mich jetzt mit der Kommandantin und unseren Gästen beraten.«
Zufrieden beobachtete Athanor, wie sich die meisten Abkömmlinge Ardas zurückzogen. Je kleiner die Runde blieb, desto eher fand er bei Peredin Gehör.
Nur Beneleas stand noch an der Tür. »Gilt das auch für mich, Vater?«
»Brauchst du denn nicht etwas Ruhe?«, fragte der Erhabene besorgt. »Du warst schwer verwundet. Innere Verletzungen und ein zertrümmertes Bein«, fügte er an seine Gäste gewandt hinzu. »Ich fürchtete um sein Leben.«
»Der Heiler sagt, dass er morgen die letzten Spuren beseitigen wird«, wehrte Beneleas ab und hinkte in den Saal.
»Reden wir nicht lange um den heißen Brei herum«, forderte Mahalea. »Bedauerlicherweise musste ich der Ratssitzung fernbleiben, da Freunde unserer Gäste …« Sie deutete auf Athanor und Akkamas. »… einen Streit zwischen der Grenzwache und bewaffneten Söhnen und Töchtern Ameas auslösten. Ich hoffe, dass dieser Zwist vorerst beigelegt ist, bis wir Zeit haben, uns seiner Gründe anzunehmen. Sprechen wir also darüber, was im Rat vorgefallen ist.«
Der Erhabene seufzte. »Ich bewundere Eure Tatkraft, Kommandantin, aber lasst mich wenigstens einen Anschein von Höflichkeit wahren. Bitte, verehrte Freunde, nehmt Platz und bedient Euch.« Er wies auf die im Raum verteilten Bänke und die kleinen Tische, auf denen Gebäck und Früchte und Krüge mit Wasser und Wein bereitstanden. »Niemand muss diese Unterredung im Stehen verbringen.«
»Ein Angebot, das ich dankend annehme«, erwiderte Akkamas und deutete eine Verneigung an. »Mir steht der Sinn heute nicht mehr nach Bewegung.«
Athanor musste trotz allem grinsen. »Du hattest ja auch die ganze Arbeit, während wir zum Herumsitzen verdammt waren.«
»Ich bin zu aufgebracht, um mich zu setzen«, gab Mahalea zu. »Euer Sohn deutete bereits an, dass Ihr den Rat mit einer unfassbaren Forderung konfrontiert habt.«
»Unfassbar, ja«, seufzte der Erhabene und ließ sich auf einer mit Kissen gepolsterten Bank nieder, um erschöpft gegen die Lehne zu sinken.
Rasch reichte sein Sohn ihm einen Becher Wein. »Mir scheint, dass Ihr es seid, der Ruhe bräuchte.«
»Das ist wahr, Beneleas, aber ich bin der Erhabene, und es ist meine Aufgabe, in dieser schweren Stunde einen Ausweg zu finden. Ich muss die Kommandantin in dieser Angelegenheit hören, bevor ich morgen wieder versuchen kann, den Rat zu überzeugen.«
Athanors Hoffnung, noch an diesem Abend eine Entscheidung über das Schicksal der Flüchtlinge erwirken zu können, schwand. Wenn Peredin wirklich erwog, die Elfenlande aufzugeben, war das ein so ungeheuerlicher Vorschlag, dass er die Elfen noch Tage oder gar Monde beschäftigen würde. Doch er fürchtete, dass weder ihnen noch den Flüchtlingen so viel Zeit blieb.
»Ihr wisst sicher, was die Zerstörung des Ewigen Lichts für uns bedeutet«, begann der Erhabene heiser. »Die vergangene Nacht habe ich damit verbracht, nach Auswegen zu suchen, doch alles, was mir einfiel, war nicht mehr als Wunschdenken – oder die vage Hoffnung auf etwas, das wohl niemals eintreten wird. Ich gestehe, dass ich heute Morgen verzweifelt war. Zum ersten Mal, seit ich Erhabener bin, ging ich in den Rat, ohne eine Strategie oder gar eine bestimmte Entscheidung ins Auge gefasst zu haben. Um von meiner Hoffnungslosigkeit abzulenken, bat ich die anderen Ratsmitglieder um Vorschläge, damit wir darüber diskutieren und am Ende abstimmen könnten.« Peredin nahm einen Schluck aus seinem Becher. Die lange Ratssitzung hatte seiner Stimme merklich zugesetzt.
»Dann war es nicht Euer Einfall, die Elfenlande zu verlassen?«, erkundigte sich Mahalea.
Der Erhabene lächelte. »Nein.