Athanor 4: Die letzte Schlacht. David Falk
alten Liedern ist noch die Rede davon, weshalb sich Astarion daran erinnert hat. Ich hätte gern den Hüter unseres Ewigen Lichts dazu befragt, doch wie Ihr mir berichtet habt, wurde er bei dem Angriff des Giganten getötet, und seine Gefährtin ist verschwunden.«
»Soll ich nach ihr suchen lassen?«, bot Mahalea an. »Oder nach einem anderen Alfar?«
»Ich fürchte, dafür fehlt uns die Zeit. Und Eure Leute haben mit der Lage an der Küste und der Sicherung unserer Grenzen mehr als genug zu tun.«
»Und nicht einmal diese Aufgabe vermögen sie zu erfüllen.« Der Satz hing so deutlich unausgesprochen in der Luft, dass Athanor nicht sicher war, ob Peredin ihn vielleicht doch gesagt hatte.
»Dann wollt Ihr also nach dem Ewigen Licht suchen, in dessen Nähe diese Abkömmlinge Chions leben«, schloss Akkamas daraus.
»Mehr noch«, erwiderte der Erhabene. »Ich will mein Volk dort hinführen. Hier haben wir keine Zukunft mehr. Dort vielleicht schon.«
»Aber die Elfenlande sind unsere Heimat!«, protestierte Beneleas. »Wir können sie doch nicht einfach so aufgeben!«
»Glaubst du, mir würde nicht auch das Herz bluten?«, fragte Peredin. »Unsere heiligen Stätten, unsere Häuser und Gärten, alles, was uns nährt und schützt, befindet sich hier. Aber welchen Sinn soll das Leben hier noch haben, wenn deine Generation die letzte sein wird?«
In ohnmächtigem Trotz ballte Beneleas die Fäuste. Gegen die Worte seines Vaters gab es keinen vernünftigen Einwand, nur die Angst vor dem Unbekannten und tiefen Schmerz. Athanor wandte sich ab. Er verstand Beneleas’ Gefühle. Er hatte denselben inneren Kampf bei Nemera gesehen. Und wenn er es in einsamen Momenten zuließ, spürte auch er den Verlust seiner Heimat. Das Verlorensein unter fremden Völkern und Himmeln. Obwohl er sich selbst eine Mitschuld dafür geben musste, hatten ihm die Drachen alles geraubt, was ihm lieb und vertraut gewesen war. Sollte ein Volk nach dem anderen dasselbe Schicksal erleiden? Es sah ganz danach aus. Würden als Nächstes die Trolle ihre angestammten Hügel verlassen? War Orkzahn deshalb hier?
Athanor blickte durch eines der hohen Bogenfenster nach draußen. Das Geflecht aus magisch geformten, steinernen Ranken, mit dem die Abkömmlinge Ardas ihre Räume vor Wind und Regen bewahrten, gewährte erstaunlich gute Sicht auf den Garten. Obwohl die Sonne bereits versunken war, reichte das Zwielicht noch aus, um Orkzahn zu entdecken. Der Troll saß hinter einem flachen, aber breiten Erdhaufen, aus dem an einigen Stellen Rauch aufstieg. Offensichtlich war er allein, und für den Moment wollte Athanor nicht einmal wissen, was sein Freund da im Garten trieb. Kopfschüttelnd wandte er sich wieder Beneleas zu, der versuchte, Peredin davon zu überzeugen, dass es Irrsinn war, die Elfenlande zu verlassen.
»Wir wissen doch überhaupt nicht, was uns im Norden erwartet«, warnte der junge Elf.
»Auf jeden Fall ein langer, eisiger Winter«, prophezeite Athanor.
»Nach allem, was ich heute gesehen habe, dürfte uns die Kälte jedoch auch hier ereilen«, hielt Mahalea dagegen.
»Aber hier haben wir unsere Häuser und Vorräte!«, wandte Beneleas zu recht ein.
»Und wir wissen nicht, ob uns die Zwerge gestatten werden, ihre Reiche zu durchqueren«, gab Mahalea zu bedenken. »Nachdem Davaron in die Schatzkammern Firondils einbrechen wollte, sind sie schlechter denn je auf uns zu sprechen.«
»Zwerge kann man leicht besänftigen«, behauptete Akkamas. »Opfert ihnen alles, was Ihr an Gold und Edelsteinen besitzt, und sie werden so damit beschäftigt sein, die Reichtümer unter sich aufzuteilen, dass Ihr unbeachtet weiterziehen könnt.«
Athanor schwankte zwischen Belustigung und dem Drang, seinen Freund Vindur zu verteidigen. »Dasselbe würden die Zwerge über Drachen sagen«, spottete er.
Müde rieb sich Peredin das Gesicht. »Wie soll ich die Bedenken eines ganzen Rats zerstreuen, wenn ich nicht einmal meinen eigenen Sohn überzeugen kann?«
»Dann lasst es bleiben!«, rief Beneleas. »Warum sollten wir eine ungewisse Zukunft in unserer Heimat gegen die sicheren Gefahren dieser Reise eintauschen?«
»Weil sich die Lage immer weiter zuspitzen wird!«, entfuhr es Athanor. »Eure Elfenlande sind kein Bollwerk gegen die Dunkelheit mehr! Wie viele Flutwellen und Giganten brauchst du, um das zu kapieren?«
»Du bist nur ein Mensch!«, fuhr Beneleas auf. »Du hast kein Recht, so mit mir zu sprechen!«
»Aber dein Vater hat es«, blaffte Athanor. »Und allmählich sollte er es tun.«
»Wir sind keine Menschen, die sich von ihrem König herumkommandieren lassen. Wir denken selbst!«
»Dann fang endlich damit an!« Am liebsten hätte Athanor ihn am Kragen gepackt und geschüttelt, bis er Peredins Argumente endlich verstand.
Der Erhabene hob mahnend eine Hand. »König Athanor ist unser Freund und Verbündeter. Ohne ihn würden wir vielleicht schon jetzt in den Trümmern dieses Hauses sitzen, deshalb wünsche ich …« Ein plötzliches Rumpeln unterbrach ihn.
Von einem Lidschlag auf den anderen bebte der Boden unter Athanors Füßen. Instinktiv suchte er Halt an der Saalwand und spürte sie ebenfalls wanken. Über ihm raschelte das Laubdach wie im Sturm. Im gefliesten Boden öffneten sich Risse, doch einen Lidschlag später stand alles wieder still. Ungläubig sah er sich um. Wer gesessen hatte, war aufgesprungen, und Akkamas blickte ihn ebenso verblüfft an wie Peredin und Beneleas.
Einzig Mahalea wirkte gefasst. »Nun bebt die Erde also auch hier.«
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Athanor und sah alarmiert aus dem Fenster. Aufgeschreckte Elfen flohen aus anderen Türen in den Garten. »Nähert sich etwa ein weiterer Gigant?«
»Ich habe Späher ausgesandt, die uns sicher davor gewarnt hätten, wenn es so wäre«, antwortete die Kommandantin. »Ich weiß nicht, was diese Beben zu bedeuten haben, aber an der Grenze zu den Trollhügeln kamen sie bereits mehrmals vor.«
»Es kann nur ein Vorzeichen weiteren Unheils sein«, befand Akkamas ernst. »Als Gast mag es mir nicht zustehen, mich in Eure Angelegenheiten einzumischen, aber ich muss dem Kaysar zustimmen. Ihr seid hier nicht mehr sicher.«
Beneleas schien zu erschüttert, um etwas zu erwidern, doch Mahalea nickte. »Diese Entscheidung wird keinem von uns leicht fallen. Auch ich bin innerlich zerrissen, aber die Grenzwache hat diesen Kräften nichts entgegenzusetzen. Welchen Sinn hat es, hier bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen, wenn wir dabei unsere Seelen verlieren? Sosehr es mich auch schmerzt: Ich werde für den Plan des Erhabenen stimmen.«
* * *
Leones eilte mit Rhayuna über den Hof, um sich auf den nächsten Flug vorzubereiten. »Würdest du mir mit der Rüstung helfen?«
»Willst du dir nicht endlich etwas Praktischeres zulegen?«, erwiderte Die Faust und deutete auf ihren gesteppten Mantel, der fast bis zu den Knien reichte. Durch mehrere Schlitze bot er genügend Bewegungsfreiheit, um zu kämpfen, zu klettern oder einen Greif zu reiten, aber wehrhaft sah die Rohseide nicht gerade aus.
»Nein danke, Rhayuna. Ich weiß, dass dein Volk irgendwelche Zauber in diesen Stoff webt, aber … sobald eine Klinge auf mich zurasen würde, käme ich mir darin nackt vor. Es ist nur Seide!«
Die Faust lachte auf. »Wenn Pfeile meiner Haut so wenig anhaben könnten wie diesem Mantel, würde ich auch nackt in die Schlacht rennen.«
»Eine gute Taktik, um den Gegner zu verwirren«, befand Leones scherzhaft. Insgeheim fand er es jedoch abstoßend, eine nackte Elfenfrau den lüsternen Blicken von Menschen oder gar Orks auszusetzen. Angewidert schüttelte er die Vorstellung ab und konzentrierte sich darauf, was er mitnehmen musste. Das Wichtigste war die Rüstung. Sorgfältig legte er sie mit Rhayunas Hilfe an, gürtete das Schwert darüber und griff nach der Provianttasche. Seine Wasserflasche hätte direkt daneben liegen sollen, doch er konnte sie nirgends sehen. »Haben wir noch Kürbisflaschen? Ich muss meine in den Sümpfen vergessen haben.« Bei ihrem überstürzten Aufbruch war das kein Wunder, aber es ärgerte ihn dennoch.