Athanor 4: Die letzte Schlacht. David Falk
zu beteuern. Das Lügen und Leugnen fiel ihm immer noch schwer. Aber dieses Mal hatte er sich nichts zuschulden kommen lassen. Das musste der Erste ihm glauben.
Wieder klappte unten eine Tür. Leones blieb stehen und lauschte den Schritten, die sich der Treppe näherten. Am schlurfenden Gang erkannte er Perian. Ein gutes Zeichen. Hätte der Heiler dem Ersten Anlass dazu gegeben, wäre Theremon sicher selbst heraufgekommen, um ihn weiter zu verhören – oder hätte ihn sofort zu sich befohlen. Stattdessen betrat Perian mit einer Laterne den Wehrgang und klang für einen Grenzwächter schändlich kurzatmig.
»Geht es Danael besser?«, rief ihm Leones entgegen.
Bedauernd schüttelte der Heiler den Kopf. »Er schläft immer noch wie ein Stein. Aber mach dir keine Sorgen. Er scheint keine inneren Verletzungen zu haben. Wenn er aufwacht, wird er ganz der Alte sein.«
Leones wagte kaum zu fragen, doch Perians Tonfall hatte Raum für Zweifel gelassen. »Er wird aufwachen, oder?«
Zu seiner Überraschung zuckte Perian mit den Schultern. »Ich bin Heiler, kein Hellseher. Wenn du uns nichts über seinen Zustand verschwiegen hast …«
»Es gibt nichts zu verschweigen!«, fuhr Leones auf. »Bis kurz vor Nehora war er noch wach, verdammt!«
Sturmlöwe hob den Kopf und musterte ihn und den Heiler.
»Schon gut.« Beschwichtigend hob Perian die Hände, sodass ihm die Laterne direkt ins Gesicht schien. Geblendet ließ er sie wieder sinken. »Ich bin nur hier, um nach Sturmlöwe zu sehen.«
»Dann mach gefälligst deine Arbeit«, knurrte Leones. Seit zwei Tagen hatte er nicht geschlafen, um Danael sicher nach Nehora zu bringen, und zum Dank bekam er nichts als Verdächtigungen zu hören. Vielleicht sollte er die Grenzwache verlassen. Sie hatten ihn hier ohnehin nie gewollt.
Mit verschränkten Armen lehnte er sich gegen das Mauerwerk des Nordturms und sah zu, wie sich Perian neben Sturmlöwe hockte und ihm an verschiedenen Stellen die Hände auflegte. Wenn ihn Fremde berührten, fletschte der Greif für gewöhnlich die Zähne, doch bei den Heilern hielt er still. Er schien sie sofort an ihrer Ausstrahlung zu erkennen.
Wenn ich gehe, wird er auf seine alten Tage keinen neuen Reiter akzeptieren. Bis die Helfer von der Küste zurückkamen, würde Nehora dann ohne Greif und damit ohne Fernspäher dastehen. Das kann ich nicht machen. Nicht ausgerechnet jetzt. Nehora brauchte Sturmlöwe und ihn. Sie mussten herausfinden, was draußen in den Sümpfen vorging.
Leones atmete tief durch. Er würde es nicht für Perian oder gar den Ersten tun, sondern für die Elfen in den grenznahen Dörfern. Schließlich war er zur Wache gegangen, um sein Volk zu beschützen, und wenn sich immer neue Untote erhoben, schwebte es in größerer Gefahr denn je. Entschlossen stieß er sich von der Wand ab und kehrte zu Sturmlöwe zurück. Mit geschlossenen Augen kauerte Perian über dem Greif, der sich entspannt wieder auf dem Wehrgang ausgestreckt hatte. Schweigend blieb Leones stehen, um den Heiler nicht zu stören.
Nach einer Weile öffnete Perian die Augen und strich noch einmal über Sturmlöwes Fell. »Das war’s schon, alter Räuber.« Grinsend sah er zu Leones auf. »Nur ein paar Zerrungen oder so – und ein knurrender Magen.«
Lächelnd schob Leones seinen Ärger beiseite. »Schätze, den kann man nicht einfach so heilen.«
»Da unten liegen zwei Kaninchen, die ich im Gemüsegarten erwischt hab«, behauptete Perian und deutete zum Unterstand der Greife. »Na, zumindest das, was nach dem Abendessen noch von ihnen übrig war.«
Sturmlöwes Blick war dem Fingerzeig gefolgt, und zu Leones’ Überraschung erhob er sich und bewegte die Schwingen, als wollte er testen, ob es noch schmerzte. Erst dann stieß er sich ab und flatterte in den Hof hinunter. An den Kaninchenknochen hing vermutlich kaum noch Fleisch, aber es war besser als nichts.
»Scheint ihm wieder gut zu gehen. Danke.«
»Keine Ursache«, wehrte Perian ab. »Ich mag den alten Zausel. Er ist schlauer als die anderen.«
Leones nickte. »Er versteht mehr, als man glaubt.« Bevor er es unterdrücken konnte, verzog ihm ein Gähnen das Gesicht. »Wenn Theremon nicht nach mir verlangt hat, leg ich mich jetzt hin.«
»Er hat nichts dergleichen gesagt«, versicherte Perian und folgte ihm die Treppe hinab.
Leones war versucht zu fragen, was der Erste stattdessen von sich gegeben hatte, doch wenn es etwas Schlechtes gewesen war, würde Perian ihm ohnehin nicht die Wahrheit sagen. Also murmelte er nur »Gute Nacht!« und zog sich in sein Quartier zurück. Alles hier erinnerte ihn an Danael, mit dem er sich diese Kammer teilte, aber das war immer noch besser als ein misstrauischer Mitbewohner, der ihn jetzt womöglich mit Fragen gelöchert hätte. Es war jedoch mühselig, sich ohne Hilfe aus der grauen Rüstung zu schälen, deren einzelne Teile wiederum aus zahllosen lackierten Metallplättchen bestanden. Um die Schnallen und Bänder zu öffnen, musste er sich schmerzhaft verrenken. Als er sich endlich schlafen legen konnte, nahm er sich vor, schon bei Sonnenaufgang wieder aufzustehen. Es gelang ihm immer, zum gewählten Zeitpunkt aufzuwachen, selbst mitten in der Nacht. Danael staunte jedes Mal wieder darüber, und Leones konnte nicht erklären, wie er es machte. Er schlug einfach im richtigen Moment die Augen auf.
Da die Kammer keine Fenster hatte, fiel nur durch die Ritzen der Tür etwas Licht, doch es genügte, um zu verraten, dass der Morgen angebrochen war. Auf dem Weg zur Latrine sah Leones bei Sturmlöwe vorbei, der sich brummend zusammenrollte und weiterschlief. Gähnend kam ihm Die Faust entgegen. Nach der langen Nacht auf dem Nordturm wollte sie wohl ins Bett. An ihrer Stelle stand nun Perian dort oben, obwohl auch er die halbe Nacht gearbeitet hatte. Sie waren einfach zu wenige für einen schonenderen Dienstplan.
Vor seiner Wache musste der Heiler auch das Frühstück gekocht haben, denn im Speisesaal fand Leones dampfenden Hirsebrei vor. Hungrig schaufelte er den Brei in sich hinein. Seine letzte Mahlzeit lag schon einen Tag zurück. Während er noch ein paar Kellen Birnenkompott hinunterschlang, kam Theremon herein. Leones verging sogleich der Appetit.
»Danael ist wach und hat deinen Bericht bestätigt«, eröffnete ihm der Erste. Kein Lächeln, keine Entschuldigung. Als ob es nichts zwischen ihnen zu bereinigen gäbe. »Wir müssen mehr über diese Untoten erfahren.«
»Soll ich zurück zum Fallenden Fluss fliegen?«, fragte Leones nüchtern, obwohl er Theremon lieber am Kragen gepackt und geschüttelt hätte, bis der Erste seinen Irrtum zugab. Doch das war undenkbar. Seinen Vorgesetzten rührte man nicht an.
»Später. Dein Greif sieht nicht einsatzbereit aus. Es hätte auch keinen Sinn, dass er sich tagsüber verausgabt. Schließlich stehen die Wiedergänger nur bei Dunkelheit auf.«
Im Hof erklang Hufschlag. Die Patrouille kehrte zurück.
»Sturmlöwe soll sich für einen Nachtflug erholen«, ordnete Theremon an und ging zu den Reitern hinaus.
Verärgert blieb Leones sitzen. Er wollte niemanden sehen. Sie hielten ihn ja doch alle für einen Verräter. Erst als er draußen niemanden mehr hörte, kehrte er in sein Quartier zurück, hängte sich den Köcher mit Pfeilen um und schnappte sich einen Bogen. Greife hassten Nachtflüge, aber Theremon hatte recht, also musste er versuchen, Sturmlöwe gnädig zu stimmen. Am besten brachte er ihm den versprochenen Hirsch.
Erst als er am Fuß des Hügels durchs Unterholz streifte, verrauchte seine Wut. Trotz des leichten Dunsts vor der Sonne leuchtete das Laub in Rot und Orange, den Farben der Abkömmlinge Piriths. Er genoss den Anblick und lauschte den Rufen der Vögel. In der Ferne erklang das Röhren eines Hirschs. Leones folgte den Lauten, bis er auf Spuren stieß. Die Fährte führte ihn zu einem Flickenteppich aus Lichtungen und Wald, wo die Brunft der Hirsche in vollem Gang war. Mit gesenkten Geweihen forderten sich die Rivalen heraus, prallten aufeinander und verhakten sich. Aufgeregt liefen die Jungtiere umher, während die Hirschkühe von den Siegern zusammengetrieben wurden. Für Gefahren hatten sie in ihrer Raserei keinen Sinn. Leones pirschte sich an einen der erschöpften Verlierer heran und schoss ihm aus nächster Nähe einen Pfeil ins Herz.
Im Stillen bat er das Sein um Vergebung und vergrub