Athanor 4: Die letzte Schlacht. David Falk
und euer Retter vor Theroia. Ich habe verflucht noch mal mehr Respekt verdient!«
»Bleibt Ihr mir vom Hals, wenn ich höflich zu Euch bin, König der Toten?«
»Das Volk, von dem ich spreche, lebt und ist auf dem Weg hierher – zumindest ein paar Schiffe voll.«
»Was?« Abrupt blieb Mahalea stehen und sah ihn an.
Ah, jetzt habe ich deine Aufmerksamkeit. »Es sind nur wenige Dutzend Menschen. Ihr Land wurde von Drachen zerstört, und sie sind dort noch immer in Lebensgefahr.«
»Wie könnt Ihr es wagen …«
»Elfische Seeleute von den Abkömmlingen Thalas bringen sie über den Ozean. Sie sollen auch nicht lange bleiben«, versicherte er. »Ich will sie weiter nach Theroia führen.«
Mahalea stemmte die Hände in die Hüften und starrte ihn an. Er konnte förmlich spüren, wie ihre Aufregung zu kaltem Zorn abkühlte. »Durch die Elfenlande. Obwohl Ihr genau wisst, dass es verboten ist.«
»Sie zu umgehen, bedeutet einen Umweg von mindestens einem Mond – wenn man Verpflegung hat. Die haben wir aber nicht, und es wird bald Winter.«
»Das hättet Ihr Euch vorher überlegen sollen. Auch mein Volk steht am Rande der Vernichtung. Ich kann nichts für Euch tun.« Schon wollte sie sich abwenden, doch dieses Mal war es Akkamas, der sich ihr in den Weg stellte. Kühl maß sie den dionischen Krieger mit ihren Blicken.
»Das könnt Ihr sehr wohl!«, fuhr Athanor auf. »Weist die Grenzwache an, meinen Leuten freies Geleit zu geben!«
»Ohne mir selbst ein Bild von den Truppen zu machen, die Ihr mir womöglich unterjubeln wollt? Wer sagt mir, dass sie nicht alle verwandelte Drachen sind, die sich unerkannt nach Anvalon schleichen wollen?«, fragte sie mit einer Geste gen Akkamas.
»Ich versichere Euch, dass ich einmalig bin«, erklärte der Dionier schmunzelnd und verneigte sich. »Mich mit den hilflosen Menschen auf diesen Schiffen zu vergleichen, grenzt an eine Beleidigung.«
Irritiert musterte Mahalea ihn noch einmal, bevor sie sich wieder an Athanor wandte. »Wann sollen sie eintreffen?«
»Heute, gestern, morgen. Sie könnten bereits hier sein.«
Mahalea schüttelte den Kopf. »Dann habt Ihr zu verantworten, wenn die Grenzwache sie tötet. Angesichts der Lage kann ich nicht einfach für ein paar Tage davonreiten. Und da ich meinen Greif misshandeln musste, um schnellstmöglich hier zu sein, kann ich auch nicht fliegen.«
»Ist er tot?«, fragte Akkamas überrascht.
»Nein, aber er wird nicht zu mir zurückkommen.«
Verdammt! Ich hatte sie fast so weit!
»Hm, ich könnte Euch hinbringen«, schlug Akkamas vor. »Wenn es keine Verzögerungen gibt, könntet Ihr Euren Wächtern neue Anweisungen geben und schon morgen wieder hier sein.«
Sie sah ihn an, als ob er um ihre Hand angehalten hätte. »Ich soll auf einem Drachen fliegen? Die Kommandantin der Wache?«
»Es ist erst wenige Jahrtausende her, dass es eine Streitmacht aus Elfen und Drachen gab«, behauptete Akkamas.
»Der Krieg gegen Imeron ist lange vorbei, und nicht alle Drachen standen auf der richtigen Seite«, erwiderte Mahalea kühl.
»Das tun wir nie«, gestand Akkamas freimütig. »Wir sind nun einmal ein Volk von Einzelgängern, denen die eigene Meinung über alles geht.«
»Also warum nicht?«, drängte Athanor. »Habt Ihr etwa Angst?« Das würde sie sich bestimmt nicht nachsagen lassen.
Tatsächlich straffte Mahalea die für eine Elfe breiten Schultern. »Ich bin eine Tochter Heras. Ich fürchte das Fliegen nicht.«
»Dann sollten wir endlich aufbrechen«, riet Akkamas.
3
Als Laurion erwachte, war es still. Das Wasser rauschte nicht mehr um den Bug. Kein Wind heulte. Stattdessen drangen Schnarchen und fernes Vogelzwitschern an sein Ohr. Das Schiff schaukelte, als ob es vor Anker lag. Und hätte da nicht eine Hand sein müssen, die seine hielt? Nemera. Laurion schreckte auf und stieß gegen die Bank, unter der sein Kopf steckte. »Au!«
Mit dröhnendem Schädel schob er sich unter dem Brett hervor, was jähen Schmerz durch seine Schulter jagte. Ächzend ließ er den Kopf wieder auf die Planken sinken und beschloss, sich nie wieder zu rühren.
»Du musst nicht traurig sein, wenn du stirbst«, sagte Rhea. »Ich kann dich dann immer noch sehen. Und mit dir reden.«
Laurion öffnete die Augen. Das Mädchen lag direkt neben ihm und blickte ihm ernst ins Gesicht.
»Ich würde es trotzdem vorziehen, nicht zu sterben. Falls es sich vermeiden lässt. Wie geht’s den anderen? Sind wir entkommen?« Es war hell, aber nicht sonnig. Wenn Laurion den Kopf ein wenig drehte, sah er dichten Nebel.
»Die schlafen fast alle. Mentes mit den komischen Locken ist tot. Sie wollten ihn über Bord werfen, damit das Schiff leichter wird, aber das ist gemein. Er will in einer richtigen Gruft beigesetzt werden. Das hab ich ihnen gesagt.«
Jetzt müssen wir nicht nur die Wünsche der Lebenden, sondern auch noch der Toten erfüllen. »Und wo sind wir?«
»Irgendwo im Schilf. Mahanael sagt, im Nebel finden sie uns nicht.«
Laurion seufzte. Das klang nicht nach einem langfristigen Plan. »Ich muss mit ihm sprechen. Wir können uns hier nicht ewig verstecken.« Mit zusammengebissenen Zähnen stemmte er sich hoch. Das Schwanken des Boots und der Schmerz ließen ihn schwindeln, doch er schaffte es, auf den Füßen zu bleiben – er musste es, denn ein Sturz auf den Pfeil würde entsetzliche Qualen auslösen. Wie von selbst suchte sein Blick als Erstes nach Nemera. Sie saß an ihre Zofe Sirkit gelehnt, und die beiden Frauen stützten sich gegenseitig im Schlaf. Selbst Djefer war am Ruder eingenickt und lehnte schnarchend am Hintersteven.
»Emmos haben wir den Pfeil schon rausgezogen«, berichtete Otreus, der als Einziger Wache hielt. »Ich hätte auch bei Euch längst Hand angelegt, aber die Regentin wollte Euch nicht wecken.«
Noch mehr Schmerzen … Irgendwann musste es sein, und doch schob es Laurion wieder auf. »Gleich«, wehrte er ab. »Zuerst muss ich mit Mahanael besprechen, wie es weitergehen soll.«
Otreus brummte nur zustimmend. Miteinander vertäut lagen die Schiffe Bordwand an Bordwand. Auf der Kaysas Segen schliefen oder dösten alle. Laurion zögerte, aber sie mussten weiter, bevor sich der Nebel auflöste und sie neuen Angriffen preisgab. Als er stöhnend über die Bordwand stieg, öffnete Mahanael sofort die Lider. »Entschuldige«, bat Laurion. »Ich weiß, dass du Ruhe brauchst, aber …«
Mahanael winkte ab und setzte sich auf. »Wir Elfen kommen mit wenig Schlaf aus. Ich hätte mich nicht hingelegt, wenn ich noch irgendetwas ausrichten könnte, aber meine Magie war versiegt.«
»Dann kommen wir hier ohne deine Zauberkraft nicht weg?« Laurion fröstelte in der feuchten Morgenkühle.
»Der Nebel ist Fluch und Segen zugleich. Er verbirgt uns, aber er bedeutet auch windstilles Wetter. Und ohne Wind kommen wir nicht gegen die Strömung an.«
»Du willst flussaufwärts? Wäre es nicht klüger, zum Meer zurückzukehren?«
»Ja«, gab der Elf zu. »Aber genau das erwarten sie. Und wir hätten direkt an Everea vorbeifahren müssen. Dort hätten sie uns mit Sicherheit den Weg abgeschnitten. Deshalb habe ich die Richtung stromaufwärts gewählt.«
»Und jetzt sitzen wir hier fest.«
»Ich kann keine Wunder vollbringen.« Mahanael klang zerknirscht, aber auch etwas trotzig.
»Glaub mir, ich weiß, wie es ist, wenn alle Wunder von dir erwarten. Das ist unser Schicksal als Magier. Aber wenn sie es nicht tun, fehlt es mir sogar.«
Der Elf lachte