Athanor 4: Die letzte Schlacht. David Falk

Athanor 4: Die letzte Schlacht - David  Falk


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Hand umklammert hielt. Bewusstlos baumelte der Sohn Heras über dem Abgrund, doch im gleichen Moment krümmte sich Sturmlöwes Rücken. Der Greif stieß sich mit den Hinterbeinen von der Mauer ab, schlug gleichzeitig mit den Flügeln und wuchtete sich mitsamt seinem Reiter auf den Wehrgang hinauf. Nur Danael hing noch immer davor und riss Leones fast von Sturmlöwes Rücken. Hastig umschlang Leones den Hals der Chimäre, die unter ihm zusammengebrochen war. Selbst wenn sie nur dalag, war sie zu schwer, um über den Rand in die Tiefe gezogen zu werden.

      Eilige Schritte näherten sich, dann tauchten Stiefel in seinem Blickfeld auf. Fluchend fiel Die Faust auf die Knie und beugte sich über die Kante. »Ich hab ihn. Zieh!«

      Leones richtete sich auf, um mit beiden Händen zupacken zu können.

      »Bei allen Alfaren«, knurrte Rhayuna. »Ist er etwa tot?«

      »Nur ohnmächtig«, presste Leones zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Zumindest hoffte er das. Es wäre so viel leichter gewesen, ihn heraufzuziehen, wenn Danael aufgewacht wäre, doch er blieb schlaff und schwer wie ein Sack Getreide. Gemeinsam zerrten sie ihn auf den Wehrgang und rollten ihn von der Kante und dem Greif weg, der noch immer schnaufend auf den Steinen lag.

      Währenddessen drang Theremons dunkle Stimme aus dem Hof herauf. Der Erste Nehoras pochte an die Tür des Heilers, dass es von den Mauern widerhallte. »Perian! Aufstehen!«

      Leones beugte sich über Sturmlöwe. Für einen Moment berührte seine Stirn den klobigen Schädel. Danke, alter Krieger. Er wusste, dass Worte dem Greif nichts bedeuteten. Sie konnten nicht wettmachen, was er Sturmlöwe abverlangt hatte, und Greife waren nachtragend, sehr nachtragend. »Ich schieß dir morgen einen Hirsch«, versprach er und wandte sich wieder Rhayuna zu, die bereits ihre Arme unter Danaels Achseln geschoben hatte und ungeduldig die schmalen Lippen verzog.

      »Hoch mit ihm!«, ächzte sie beim Anheben.

      Rasch griff Leones unter Danaels Knie und half ihr, ihn zur Treppe zu tragen. In Gedanken durchlebte er die knappe Landung noch einmal. Beinahe hätte der Greif die Mauer nicht erreicht. Dann lägen sie jetzt mit gebrochenen Knochen auf dem steinigen Hang – oder wären tot. Schaudernd versuchte er, den Schreck abzuschütteln, der ihn wie ein Raubtier im Nacken gepackt hielt.

      »Würdest du mich … vielleicht einweihen?«, murrte Die Faust. Auf jeder Stufe stieß sie einen Satzbrocken heraus. »Werdet ihr verfolgt?«

      »Ich glaube nicht.« Konnte er sich dessen sicher sein? »Jedenfalls … ist uns niemand auf den Fersen.«

      Von unten kam ihnen Theremon entgegen und drängelte sich an Leones vorbei zu Rhayuna. »Ich übernehme. Zurück auf deinen Posten!«

      Die hagere Kriegerin nickte nur, während sie Danael vorsichtig ihrem Befehlshaber übergab. Wie befreit eilte sie die Stufen wieder empor. Theremon musste wach gewesen sein, als er ihre Rufe vernommen hatte, denn er war bekleidet und trug den Harnisch aus verleimtem Leinen, den die Abkömmlinge Ardas anderen Rüstungen vorzogen. Er hatte sogar Zeit gefunden, den Schwertgurt anzulegen, bevor er auf den Hof hinausgerannt war. »Was ist passiert?«, verlangte er zu wissen.

      Unter dem Vorwand, auf die Stufen achten zu müssen, wich Leones Theremons bohrendem Blick aus. Dass er es unverletzt mit Sturmlöwe zurückgeschafft hatte, während Danael bewusstlos und dessen Greif tot war, warf kein gutes Licht auf ihn. Zumal ihn ohnehin alle für einen Verräter hielten. »Wildfang wurde im Nebel angegriffen. Es hat ihn erwischt, bevor wir den Feind überhaupt sehen konnten. Sturmlöwe musste uns beide da rausholen, also hat Danael mit Magie nachgeholfen.«

      Bevor sie ihn zum Ersten Nehoras ernannt hatten, war auch Theremon Fernspäher gewesen. Er musste wissen, dass kein Greif zwei Reiter tragen konnte. »Das erklärt seine Verwundung nicht«, stellte er jedoch fest. In seiner Stimme lag die Schärfe des unausgesprochenen Vorwurfs.

      »Er ist nicht verletzt!«, blaffte Leones. Der Erste mochte sein Vorgesetzter sein, aber das gab Theremon noch lange kein Recht, ihm grundlos Feigheit oder Verrat zu unterstellen.

      »Was ist dann mit ihm?«, fragte Perian, der am Fuß der Treppe auf sie wartete. Der Heiler hatte eine Laterne mitgebracht und leuchtete ihnen den Weg in das kleine Lazarett, das seit Jahren nicht mehr genutzt worden war.

      »Er hat seit gestern Abend fast ununterbrochen Magie angewandt.« Obwohl er in der Schlacht vor Theroia gesehen hatte, wie vom Zaubern entkräftete Elfen zusammengebrochen waren, wusste Leones nicht, ob es lebensgefährlich war oder bleibende Schäden hinterließ. Er fürchtete das Schlimmste. Vielleicht hätte er Danael und Sturmlöwe doch eine zweite Rast gönnen sollen. Aber sie waren Späher. Es war ihre verdammte Pflicht, den Ersten so schnell wie möglich vor Gefahren zu warnen.

      Perian stieß die Tür zum Lazarett auf und tänzelte trotz seiner für einen Elf ungewöhnlich stämmigen Figur aufgeregt umher. »Legt ihn hier ab!« Hektisch zerrte er die eingestaubte Decke vom Krankenbett. »Ich werde nachsehen, ob ihm noch etwas anderes fehlt. Wenn ich nichts finde, sollte es ihm bald besser gehen.«

      »Dann ist es nicht gefährlich?«, vergewisserte sich Theremon.

      Leones hatte dieselbe Frage auf der Zunge gelegen. Auch wenn Danaels Haut immer blass und durchscheinend aussah, wirkte sie selbst im gelblichen Licht der Laterne noch bleicher als sonst.

      »Das kann ich erst mit Sicherheit sagen, wenn ich ihn untersucht habe«, wehrte der Heiler ab. »Helft mir lieber, es ihm bequemer zu machen!«

      Zu dritt richteten sie Danaels Oberkörper auf, damit Perian ihm den umgehängten Bogen, den Köcher und die Provianttasche abnehmen konnte. Danach legten sie ihn wieder ab, und der Heiler öffnete die Schnalle des Schwertgurts, während Theremon nach einem von Danaels Stiefeln griff. Wortlos bedeutete er Leones, ihm zur Hand zu gehen. Jemand musste gegenhalten, denn sie saßen so fest, dass er den Ohnmächtigen sonst mitsamt dem Schuhwerk vom Bett gezogen hätte. Je länger sie an Danael herumzerrten, ohne dass er erwachte, desto besorgter wurde Leones. Musste es nicht übel um seinen Kameraden stehen, wenn er nichts davon bemerkte? Und je schlimmer es Danael ging, desto verdächtiger war seine eigene Unversehrtheit.

      »Sag mir Bescheid, wenn du mehr weißt«, forderte Theremon. »Du findest mich in meinem Quartier. Leones, mitkommen!«

      Widerstrebend folgte Leones seinem Vorgesetzten. Er wäre lieber geblieben, bis der Heiler bestätigte, dass Danael nur etwas Ruhe brauchte, doch dann erinnerte er sich an seine Pflichten. Womöglich drohte den Elfenlanden schon wieder Gefahr, obwohl sie gerade erst diese verheerende Flutwelle heimgesucht hatte. Die Küste war zwar mehrere Tagesritte entfernt, aber die Nachricht hatte Nehora per Botenfalke erreicht – zusammen mit dem Befehl, die Hälfte der Besatzung als Nothelfer nach Süden zu schicken.

      Leones ging schneller, um Theremon einzuholen. »Wenn es nicht dringend gewesen wäre, hätte ich Danael mehr geschont, aber wir waren beide der Ansicht, dass Ihr schnellstens von dem Vorfall erfahren müsst.«

      Der Erste fuhr herum. »Todverdammt, Leones, ihr habt einen Greif verloren! Jetzt haben wir nur noch einen einzigen, und wer weiß, ob er sich je wieder erholen wird.« Wütend gestikulierte er zum Wehrgang hinauf, wo sich Sturmlöwes Umriss abzeichnete. Der Greif lag immer noch so da, wie Leones ihn verlassen hatte.

      Sogleich meldete sich Leones’ schlechtes Gewissen. »Ich sollte ihm Wasser und etwas Fleisch bringen.«

      »Herr des Seins!«, fluchte Theremon. »Perian soll sich um ihn kümmern, wenn er mit Danael fertig ist. Du wirst mir jetzt endlich Bericht erstatten!« Ohne sich noch einmal umzusehen, stürmte er über den Hof.

      Zornig ballte Leones die Fäuste, doch auch er befand sich im Zwiespalt. Es gab niemanden, dem sie auftragen konnten, sich sofort um Sturmlöwe zu kümmern. Die berittene Patrouille würde erst im Morgengrauen von ihrer Wache zurückkehren. Leones schlug die Tür zu Theremons Quartier hinter sich zu, dass es krachte. Wie sollten sie ihre vielen Pflichten erfüllen, wenn die Hälfte der Besatzung im Süden aushalf?

      Der Erste trat hinter seinen Schreibtisch und warf Leones einen strafenden Blick zu. Seine Tür durfte wohl nur er misshandeln. Gereizt verschränkte Leones die Arme vor der Brust. Als


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