Athanor 4: Die letzte Schlacht. David Falk

Athanor 4: Die letzte Schlacht - David  Falk


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stand auf. »Es könnte Orks oder einen Oger anlocken.«

      Nur zu gern folgte Leones seinem Beispiel. Sie hatten für ihr Nachtlager zwar einen halbwegs trockenen Platz gefunden, aber der Boden war dennoch klamm. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätten sie den Spähflug die Nacht hindurch fortgesetzt, doch die Greife waren müde und hungrig.

      Verstohlen behielt ihn Danael im Auge. Der Sohn Heras traute ihm nicht – wie alle in Nehora. Erst vor zwei Monden war Leones aus Beleam gekommen, und er wusste, was sie hier an der Westgrenze über das Verräternest dachten. Zu viele Söhne und Töchter Piriths hatten dort Dienst getan, weshalb Kavaraths Einfluss größer gewesen war als der des Kommandanten im fernen Uthariel. Nun waren beide tot, und die neue Kommandantin hatte Beleams Besatzung aufgelöst und auf die anderen Stützpunkte verteilt. So wollte sie die alten Verflechtungen zerschlagen und neuen Verrat verhindern.

      Insgeheim nahm Leones die Strafe demütig an. Er war ein Verräter. Auch wenn er nicht damit gerechnet hatte, dass Kavarath über Leichen ging, trug er eine Mitschuld am Tod vieler Elfen und – noch schlimmer – am Verlust ihrer Seelen, da sie fern des Ewigen Lichts gestorben waren. Der Hohe Rat hätte ihn dafür auf Lebenszeit aus den Elfenlanden verbannt. Dagegen war die Versetzung nach Nehora fast ein Geschenk. Danael konnte nichts davon wissen. Es gab keinen Beweis und keinen Zeugen, der gegen Leones ausgesagt hätte. Doch sie alle vermuteten es und flüsterten über ihn.

      Wachsam blickte sich Leones um. Nebelschwaden hingen so niedrig über den sumpfigen Wiesen, als ob sie an eine gläserne Decke stießen. Darüber reichte der Blick recht weit, gen Westen sogar bis zum hohen Schilf am Fluss. Langsam drehte sich Leones einmal um sich selbst. Vereinzelt erhoben sich Bäume und Büsche wie dunkle Skulpturen aus dem weißen Dunst und boten verborgenen Feinden Deckung. Es war so kalt, dass sein Atem als Wolke vor ihm aufstieg.

      Plötzlich schrillte in der Ferne ein Quieken. Der Schrei eines Sumpfschweins, bevor ihm der Greifenschnabel die Kehle aufriss. Leones und Danael wechselten einen Blick. Alles schien in Ordnung. Wildfang hatte seine Beute gepackt und würde zurückkommen, sobald er sich den Wanst vollgeschlagen hatte. Mit etwas Glück würde noch eine Mahlzeit für Sturmlöwe bleiben. Doch gerade, als sie sich wieder ins Gras setzen wollten, gellte ein anderer Schrei durch die Nacht. Abrupt riss Sturmlöwe den Kopf empor. Selbst nach fast hundert Jahren Dienst in der Wache klangen für Leones alle Greifenschreie gleich. Er vermochte nicht zu sagen, ob sie Furcht oder Freude, Hunger oder Hass verspürten, aber die Chimären erkannten es. Ein weiterer Adlerschrei zerriss die Stille.

      »Warte!«, rief Leones, doch es war zu spät. Sturmlöwe sprang bereits in die Luft. Der Flügelschlag wehte Leones eisigen Wind ins Gesicht.

      »Was ist da los?« Hastig klaubte Danael seinen Bogen aus dem Gras.

      »Keine Ahnung«, erwiderte Leones, während er sein Schwert zog. Sturmlöwe flog in Richtung der Schreie davon. Rasch nahm Leones die Verfolgung auf. Wurde Wildfang angegriffen? Warum kam das Biest dann nicht einfach zurück?

      Neben ihm rannte Danael und legte im Laufen einen Pfeil auf. »Sieh dich vor! Das Moor ist tückisch!«

      Leones nickte nur. Noch federte der Boden wie die Bohlen eines Stegs, doch schon wenige Schritte weiter sanken die Füße in Morast. Schlamm quatschte unter Leones’ Sohlen, zog erst zaghaft, dann immer fester an seinen Stiefeln. Nahebei glänzte Wasser zwischen den hohen Gräsern.

      »Dort entlang!«, rief Danael und deutete auf ein helleres Stück Wiese. Einen Augenblick lang hing er fest. Leones hielt inne, um ihm zu Hilfe zu kommen, aber der Schlamm gab bereits schmatzend nach. Danael hetzte weiter, und Leones folgte ihm. Um ihre Füße spritzte Wasser aus flachen Pfützen auf. Wo steckte der verdammte Greif? Wildfangs Kreischen klang nah, und über ihnen forderte Sturmlöwes Brüllen den unsichtbaren Gegner heraus.

      »Da!« Leones wies Danael die Richtung. Flatternde Schwingen ragten aus dem Dunst. Je näher sie kamen, desto besser konnte sein Blick den Nebel durchdringen. Wo war der Gegner? Steckte die Chimäre etwa in einem Schlammloch fest? Unvermittelt blieb Leones stehen. Vor ihm spiegelte sich das Mondlicht auf Wasser. Mit ausgestrecktem Arm hielt er Danael zurück. »Vorsicht!«

      Der Weiher reichte so weit wie sein Blick. Schilf und Gräser ragten wie Inseln daraus hervor, aber dazwischen konnte er tiefer sein. Nur noch ein dünner Schleier trennte sie von Wildfang, der in flachem Wasser zappelte, dass es rauschte und spritzte. Zwischen seinen Schreien hackte er in die aufgewühlte Brühe, doch der Schnabel schien ebenso machtlos zu sein wie die verzweifelt schlagenden Flügel. Immer wieder schlugen sie, immer wieder bog sich Wildfangs Rücken bei dem Versuch, sich vom Boden zu heben. Vergebens.

      »Bei allen Astaren!« Aufgebracht fuchtelte Leones mit dem Schwert, um Sturmlöwes Aufmerksamkeit zu erregen. Für eine solche Lage kannte er kein Zeichen, keinen Befehl, den der Greif verstanden hätte, und doch musste er irgendetwas tun. »Zieh ihn da raus, verdammt!«

      Verblüfft sah er, wie Sturmlöwe herabkam und sich flatternd über Wildfang senkte. Begriff der Greif etwa doch, was man ihm sagte?

      »Er steckt nicht im Schlamm«, warnte Danael leise und zielte unsicher hierhin und dorthin. »Seine Beine sind nicht weit genug eingesunken, um festzuhängen.«

      Jetzt, da es Danael gesagt hatte, glaubte auch Leones, die Wahrheit zu erkennen. Oder lag es an Sturmlöwes Schwingen, deren kräftige Schläge den Nebel vertrieben? Gerade schlug der Greif die Zähne in Wildfangs Nacken und zerrte daran. Grollend und kreischend flatterten beide mit den Flügeln und sandten zitternde Wellen über den Teich. Ihr Lärmen übertönte jedes andere Geräusch. Sturmlöwe hob Wildfang höher als zuvor. Gebannt beobachtete Leones, wie sich Wildfangs Beine streckten. Irgendetwas hielt sie fest, aber im verfluchten Nebel konnte er nichts Genaues erkennen.

      Danael ließ einen Pfeil von der Sehne schnellen. Über die Hälfte verschwand im Wasser, doch der Rest wackelte so heftig, dass Leones alarmiert das Schwert hob. Was auch immer der Pfeil getroffen hatte, bewegte sich.

      Plötzlich blitzte unter Wildfangs Bauch etwas auf und stieß senkrecht nach oben. Der Greif schrie. Danael schoss und griff bereits nach dem nächsten Pfeil. Wildfangs Flügelschläge verloren an Kraft. Leones sah Sturmlöwe vor Anstrengung zittern. Vergeblich zerrte er an Wildfangs Nacken. Wieder und wieder glänzte auf, was aus dem Weiher nach dem Greif stach. Fluchend jagte Danael Pfeil um Pfeil ins Wasser, doch es half nichts. Wildfangs Bewegungen erlahmten bereits, und er hing immer noch fest.

      »Weg da!«, schrie Leones. Hektisch klopfte er mit der freien Hand auf den anderen Arm, um Sturmlöwe zu sich zu rufen. Einen Lidschlag lang verhüllte sein Atem ihm den Blick wie der Nebel. Als er den Weiher wieder sah, stiegen vereinzelte Blasen darin auf. Irgendwo zur Linken plätscherte es. Zur Rechten schmatzte Schlamm. Mit aufgelegtem Pfeil fuhr Danael herum, doch er schien ebenso wenig zu sehen wie Leones, denn er schoss nicht.

      Wildfang stürzte ins Wasser, dass es mit lautem Klatschen aufspritzte und in den Weiher prasselte wie Regen. Reglos blieb er liegen, während sich Sturmlöwe höher schwang und auf Leones zukam. Überall schien es plötzlich leise zu schwappen und zu plätschern.

      »Wir müssen hier weg!«, warnte Leones.

      Widerwillig löste sich Danael vom Anblick seines Greifs. Der Zwiespalt stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben.

      »Er ist tot. Du kannst nichts mehr für ihn tun«, drängte Leones. Hastig drehte er sich um. Hatte nicht direkt hinter ihm …

      Etwas Glänzendes hob sich aus dem Weiher. Im ersten Augenblick sah er nur triefendes Wasser und schlaffe Stängel, doch dann erkannte er darunter die Axt. Eine schwarze Hand hielt den Stiel gepackt. Überall wallte und wogte das Wasser. Hände und Waffen tauchten daraus auf.

      Leones spürte Sturmlöwe neben sich landen. »Komm!«, rief er Danael zu und sprang auf den Rücken des Greifs. Schon wollte sich Sturmlöwe vom Boden abstoßen. Rasch streckte Leones die Hand nach seinem Kameraden aus. Danael griff zu. Sie waren zu schwer, der Greif würde sie nicht beide in Sicherheit tragen können, doch Leones sah, wie sich Danaels Blick nach innen wandte. Der Sohn Heras beschwor seine Magie. Sturmlöwe schwang sich in die Luft. Für einen Moment riss Danaels Gewicht an Leones’ Arm, zog ihn beinahe


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