Athanor 4: Die letzte Schlacht. David Falk

Athanor 4: Die letzte Schlacht - David  Falk


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Othere sein, und aus irgendeinem Grund wollten die Frauen, dass er genau sah, was sie tun würde. Argwöhnisch wartete Davaron ab, bis sich keine Priesterin mehr hinter seinem Rücken befand – zumindest falls sich niemand irgendwo versteckte. Erst dann nahm er ebenfalls auf den Polstern Platz und rückte sein Schwert so zurecht, dass es mühelos hervorgleiten würde, wenn er daran zog.

      Othere schien die älteste der Priesterinnen zu sein. Ihr kastanienbraunes Haar war von grauen Strähnen durchzogen, und Davaron sah die kaum wahrnehmbare Erschlaffung der Lider, die mattere Haut, die kleinen Anzeichen, die das hohe Alter einer Elfe verrieten. Wie erbärmlich dagegen die Menschen dem Tod entgegenverfielen …

      Das Aufblitzen einer Klinge zerschnitt den Gedanken. Erst jetzt fiel Davaron die unscheinbare dunkle Scheide an Otheres Gürtel auf. Wo hatte er nur seine Augen gehabt? Sie alle trugen die gleiche Waffe. Verbarg ein Zauber die Dolche vor den Blicken der Opfer? Unwillkürlich näherten sich seine Finger dem Schwertgriff, spannten sich Beine und Rücken zum Sprung. Doch die Priesterinnen schenkten ihm keine Beachtung. Eine von ihnen hob ein dunkelbraunes Lamm aus einem der Körbe. Sobald sie es aufnahm, begann es zu zappeln. Kurze Bocksbeine strampelten in der Luft herum. In Davarons Anspannung mischte sich Unbehagen. In den Elfenlanden war das Schlachten von Lämmern, Ferkeln und Kälbern verpönt. Das Sein hatte ihnen nicht das Leben geschenkt, damit man es ihnen wieder nahm, bevor sie ausgewachsen und selbst zu Eltern geworden waren. Nur so blieb der Kreislauf des Lebens erhalten. Dass Menschen gegen diese Regel verstießen, gehörte zu ihrer barbarischen Natur, aber Elfen …

      Sie dienen der Tochter des Dunklen. Ihre ganze schwarze Magie verstieß gegen die Gebote des Seins. Gereizt verscheuchte er die eigenen Skrupel. Wenn er nicht bereit war, sich auf die Seite des Nichts zu schlagen, hätte er gar nicht erst herkommen sollen. Was kam es darauf an, ob ein dümmliches Schaf ein wenig länger sein dümmliches Leben führte? Niemand hatte seine Tochter gefragt, ob sie schon sterben wollte, und nun war sie tot. Er würde sie zurückbringen, auch wenn es hundert Leben kosten sollte.

      Die Priesterin hatte das Lamm in Otheres Schoß gelegt, wo das Strampeln von einem Moment auf den anderen versiegte. Obwohl die Augen weit geöffnet waren, sank das Tier schlaff gegen den Körper der Priesterin. Fast schon behutsam bettete Othere das Lamm, sodass der Hals auf ihrem linken Arm zu liegen kam, und mit derselben Andacht führte sie den Dolch. Gebannt sah Davaron zu, wie die Klinge durch die Haut des Opfers schnitt. Er hatte eine schnelle Geste erwartet, nach der das Blut dramatisch über die Versammelten spritzte, doch stattdessen rann es nur auf Otheres Arm hinab und schlängelte sich in roten Bögen über die Haut.

      Was würde nun geschehen? Welchem Zauber sollte der Tod des seltsam reglosen Lamms mehr Macht verleihen? Othere tat nichts. Sie saß einfach nur da und sah zu, wie ihr das Blut über den Arm floss. Ungeduldig rutschte Davaron auf seinem Kissen herum, bis ihm ihr abwesender Blick auffiel. Der Blick, der verriet, dass sie Magie anwandte. Und im gleichen Moment sah er es. Die Veränderung ging so langsam vor sich, dass sie ihm bis dahin entgangen war. Otheres Lider strafften sich. Die grauen Haare verschwanden, dunkelten von den Wurzeln her nach, bis sie mit dem rötlichen Braun der anderen Strähnen verschmolzen. Ihre Haut gewann den gesunden Schimmer der Jugend zurück, und Davaron begann zu begreifen, dass sie älter, viel älter war, als er sich auszumalen vermochte. Wie ein Schwamm sog sie die Lebenskraft des Lamms in sich auf. Schon sah er vor sich, wie Eretheyas mumifizierter Körper unter diesem Zauber zu neuer Schönheit erblühte. Wie die brüchige Haut wieder geschmeidig wurde. Wie sich die Lippen in neuer Fülle über die Zähne schoben und das schreckliche Totengrinsen verschwand. Alle Grausamkeiten, die der Tod ihrem Körper zugefügt hatte, würden von der Blutmagie rückgängig gemacht. Wenn es mir gelingt, sie aufzuerwecken.

      Der Gedanke ernüchterte ihn ein wenig. Seine Skepsis kehrte zurück. »Seid Ihr sicher, dass ich die Lebenskraft auch auf andere übertragen kann?«

      »Das hängt von deinem Talent ab und wird sich weisen, wenn wir dich unterrichten«, antwortete die Priesterin, die bislang als Einzige zu ihm gesprochen hatte.

      Davaron betrachtete sie mit neuen Augen. Womöglich war sie Tausende Jahre alt. »Aber selbst, wenn es dir nicht gelingt, was wird dich daran hindern, deine Frau den Zauber zu lehren, sodass sie sich selbst zu heilen vermag?«

      Wie er es auch drehte und wendete, alles setzte voraus, dass er sie zum Leben erweckte, dass er ihre Seele aus dem Schattenreich stahl. Aber wenn es so weit war, würde er die Blutmagie brauchen. »Welchen Preis verlangt Ihr dafür?«

      Das Lächeln der Priesterin ließ Davaron an eine Spinne denken, die eine Fliege einlud, sich in ihrem Netz auszuruhen. »Du musst dich der Gnade unserer Herrin ausliefern. Nur dann wird sie geneigt sein, dir zu geben, was du suchst.«

      »Das sind leere Worte«, erwiderte Davaron gereizt. »Sagt, was Ihr wollt!«

      »Es gibt ein Ritual …«

      Täuschte er sich, oder schauderte die Priesterin schon bei der Vorstellung?

      »Wenn du es ausführst, werden wir deinen Wunsch erfüllen.«

      Um Zeit zu gewinnen, stand Davaron auf. An diesem Angebot musste es einen Haken geben. Argwöhnisch versuchte er, in ihrer Miene zu lesen. »Wenn es selbst ein dahergelaufener Fremder wie ich durchführen kann, warum tut Ihr es nicht einfach selbst?«

      »Weil es mich das Ewige Licht kosten würde.«

      Davaron stutzte. Antakores Dienerinnen legten also keinen Wert darauf, sich nach dem Tod in das Reich ihrer Herrin zu begeben. Wie alle Elfen wollten sie ins Ewige Licht eingehen, um wiedergeboren zu werden. Was schert es mich? »Ihr frevelt doch ständig«, wandte er ein und deutete vielsagend auf Othere. »Habt Ihr Eure Seelen nicht längst verwirkt?«

      Lächelnd näherte sich die Priesterin einem der abgedeckten Körbe und schlug das Tuch zurück. Anstelle eines weiteren Lamms kamen aufgeplatzte Eier zum Vorschein. Kleine Schlangen wanden sich aus den Schalen hervor. »Für jedes Leben, das ich nehme, stifte ich neues – ganz, wie es uns das Sein befiehlt.« Erneut richtete sich ihr Blick auf Davaron. »Doch was du für uns tun wirst, kann selbst mit tausend neuen Leben nicht gesühnt werden.«

      Sie verlangt meine Seele. Fast hätte Davaron vor Bitterkeit gelacht. Was außer seiner Seele war ihm überhaupt noch geblieben? Und doch würde er sie geben – für Eretheya.

      1

      Fallender Fluss, zwei Jahre nach Theroias Untergang

      Hier stimmt etwas nicht. Leones lauschte in die neblige Herbstnacht. Solange kein Wind wehte, herrschte um diese Jahreszeit immer Stille im Moor. Selbst das Sirren der Stechmücken war längst verstummt. Und doch … Hätte er nicht wenigstens den Ruf eines Vogels hören müssen? Ein Rascheln im Gesträuch? Aber da war nichts, nur Sturmlöwes Atmen. Wie eine riesige Katze hatte sich der Greif zusammengerollt und schlief. Noch vor wenigen Jahren hätte Leones den Sinnen der Chimäre vertraut und sich entspannt zurückgelehnt. Schließlich waren sie nicht allein. Danael saß bei ihnen, und dessen Greif jagte hinter den Sumpfschweinen her, die sie bei der Landung aufgescheucht hatten. Doch Sturmlöwe war im Dienst der Grenzwache alt geworden. Sein Leib wurde immer knochiger, und Fell und Gefieder hatten den einstigen Glanz verloren. Nach einem weiten Flug wie heute konnte ihn nicht einmal die Aussicht auf Beute locken. Bedauernd strich Leones über den klobigen Löwenschädel. Er war stets stolz auf seinen Greif gewesen, einen der wenigen, die keinen Adlerkopf, sondern ein Löwenhaupt besaßen. Nun würde es nicht mehr lange dauern, bis er zu alt war, um einen Reiter zu tragen.

      »Es ist zu still hier.« Auch Danael spähte nervös in die Nacht. Da sein Gesicht ungewöhnlich schmal war, lagen die Augen zu eng beieinander, um als schön zu gelten, aber er besaß den scharfen Blick, den man allen Abkömmlingen Heras nachsagte.

      »Soll ich ein Feuer machen?«, bot Leones an. Die Feuchtigkeit zog ihm bereits in die Kleider, und es wurde mit jedem Augenblick kühler. Längst hatte er sein inneres Feuer geschürt und nährte es mit Magie, um nicht mehr zu frieren. Was für ein unwirtlicher Ort. Kein einziger Stern zeigte sich am Himmel. Der Schleier, der neuerdings Sonne und Mondlicht dämpfte, verbarg sie. Gab es ihn nur hier, in den Sümpfen und Mooren entlang des Fallenden


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