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aus dem Nichts traf ihn von hinten ein Stoß gegen die Schulter. Wucht und Schmerz warfen ihn nieder, und er landete auf den Knien. Weiter! Weiter! Aufstöhnend strauchelte er vorwärts. Seine Schulter brannte, als ob sie in Flammen stünde. Halb erwartete er einen erneuten Schlag in den Rücken, doch niemand war hinter ihm, nur der Schmerz, der ihm Tränen in die Augen trieb. Lauf, verdammt! Er richtete sich auf und wieselte um die Bäume. Leuchtete dort nicht ein weißes Segel in der Dunkelheit? Er entdeckte den schnell gezimmerten Unterstand am Waldrand. Dahinter glänzte der Fluss im Sternenlicht. Die anderen hatten die Schiffe bereits ins Wasser geschoben und die Segel gesetzt.
»Da hinten ist schon Fackelschein!«, rief Emmos. »Wie lange sollen wir denn noch warten?«
»Ich bin hier!«, krächzte Laurion. Jetzt würde selbst der undankbare junge Fischer ihn sehen. Atemlos hetzte er über den Strand und ins hoch aufspritzende Wasser, doch der weiche Flussgrund bremste seine Schritte. Sofort sog sich der Saum seiner Robe voll Wasser. Der schwere Stoff behinderte ihn.
»Laurion!«, schrie Nemera.
Mehrere Paar Hände streckten sich ihm entgegen. Als er danach griff, loderte der Schmerz in seiner Schulter wieder auf. Dunkelrote Wolken trübten seinen Blick. Panisch umklammerte er die Hände, die an ihm zogen.
»Schafft ihn endlich an Bord!«, brüllte Djefer.
Neben Laurion knallte ein Pfeil in die Bordwand.
»Da kommt ein Schiff!«, gellte es schrill von der Kaysas Segen herüber.
»Jetzt ist alles verloren«, murmelte Otreus.
2
Als Athanor und Akkamas Anvalon betraten, war kaum ein Elf zu sehen, aber Athanor maß den ausgestorbenen Wegen und Gärten nicht viel Bedeutung bei. Wer vor dem nahenden Giganten nicht geflohen war, hielt sich in den Häusern versteckt, und noch hatte sich der Sieg über den Riesen nicht herumgesprochen. Doch auch über Peredins Amtssitz lag ungewöhnliche Stille. Athanor hatte geschäftiges Kommen und Gehen erwartet, Heiler, die den Verwundeten halfen, ausgesandte Boten, Diener, die den geschwächten Kriegern ein Mahl bereiteten. Stattdessen standen kreuz und quer erschöpfte Pferde herum und knabberten ungestraft an den Rosen. Licht fiel nur aus einigen Fenstern privater Gemächer. Der Empfangssaal dagegen war dunkel und leer.
Neugierig blickte Akkamas zu der Decke aus silbrigen Baumkronen hinauf. »Die Elfen haben eine ungewöhnliche Art, Gäste willkommen zu heißen. Sie zeugt jedoch von großem Vertrauen«, befand er grinsend.
»Man könnte es auch abweisend und respektlos nennen«, brummte Athanor. Nach dem langen Kampf wollte er endlich eine Mahlzeit. »Gehen wir in die Küche und sehen nach, was wir finden.«
Doch auch dort begegnete ihnen niemand. Stattdessen stießen sie auf die Spuren des übereilten Aufbruchs. Aus einem umgeworfenen Krug war Wein über den bemehlten Tisch geflossen, auf dem noch gekneteter Teig herumlag, und beim Spülbottich lagen Scherben auf dem Boden verstreut. In der großen Herdstelle knisterte Glut unter der Asche. Nur deshalb war der darüber hängende Kessel mit Eintopf nicht völlig erkaltet. Athanor und Akkamas bedienten sich und fanden auch ein paar Fladen Hirsebrot, die sie mit Apfelmost hinunterspülten.
Der volle Magen stimmte Athanor gnädiger. Geflohene Elfen konnten eben keine Gäste bewirten. Offenbar hatte die Nachricht vom Erlöschen des Ewigen Lichts die Verteidiger Anvalons schwer getroffen. Sicher würde er bald wieder vernünftig mit Peredin reden können.
»Du siehst übel aus«, befand Akkamas und deutete auf Athanors blutverkrustete Stirn, wo die Platzwunde von ihrem Zusammenprall mit dem Giganten klaffte.
»Auf einen Elfenheiler kann ich wohl nicht zählen.« Mit Wehmut erinnerte er sich an Elanyas Hände, die sich so oft lindernd auf seine Wunden gelegt und sie auf magische Weise geschlossen hatten. Ohne Elanya fühlte er sich den Elfen fremder denn je. Sie hätte ihm erklärt, was hier vorging, und bei Peredin ein gutes Wort für die Flüchtlinge einlegt. Nein. Wenn sie noch leben würde, hätte ich niemals den Ozean überquert. Es hätte ihm vieles erspart. Auch Vindur wäre dann noch bei ihnen. Am liebsten hätte er den Gedanken in einem Krug Zwergenbier ertränkt.
»Ich werde es nähen«, beschloss Akkamas. »So kann ein Kaysar nicht vor den Hohen Rat Anvalons treten.«
»Wohl wahr.« Athanor fand einen Eimer sauberes Wasser, wusch das Blut ab und biss anschließend auf das Heft seines Messers, während Akkamas mit Nadel und Faden hantierte.
»Was ist mit deinen Wunden?«, fragte er dann.
»Sind an Stellen, die dieser Körper gar nicht besitzt«, erwiderte Akkamas verschmitzt. »Oder hat er neuerdings Flügel?« In gespielter Neugier lugte er über die eigene Schulter.
»Du bist gegen diesen wandelnden Felsen gekracht«, rief ihm Athanor ins Gedächtnis.
Akkamas zuckte mit den Schultern. »Ein paar Prellungen. Nichts Ernstes.«
Vor dem Eingang der Küche ertönte ein dumpfer Schlag, der den Most in Athanors Becher zittern ließ. Akkamas sprang auf, während Athanor nach dem Schwert griff.
»Kann mir hier jemand ein Pferd braten?«, grollte Orkzahn von draußen. »Das rohe Zeug bekommt mir nicht mehr so wie früher«, erklärte der Troll, als Athanor zur Tür kam. Vor der Schwelle lag ein ausgeweideter Pferdekadaver.
»Das hast hoffentlich nicht du auf dem Gewissen.« Athanor hatte wenig Lust, einen Streit um ein totes Pferd zu schlichten.
»Ich schwöre bei allen Geistern! Es lag herrenlos bei dem toten Ahnen herum.«
Athanor grinste. »Vermutlich sollte ich froh sein, dass du keinen herumliegenden Elf aufgesammelt hast.«
»Ich würde Euch das Tier rösten, werter Troll, aber leider ist mir das Feuer ausgegangen«, bedauerte Akkamas.
»Das Herdfeuer ist zu klein für einen solchen Braten«, stellte Athanor fest. »Kann dein Hunger bis morgen warten?«
Orkzahn nickte. »Ich hatte im Wald schon was.«
»Dann ruhen wir uns jetzt aus«, beschloss Athanor. »Morgen gilt es, einiges anzupacken.« Müde bedeutete er Akkamas, ihm zu folgen. Da sie niemand aufhielt, führte er seinen Freund zu den Gästeräumen und legte sich dort schlafen. Der kommende Tag hielt genügend Aufgaben bereit. Er würde Peredin um freies Geleit für die Dionier bitten müssen, was selbst der Erhabene wohl nicht ohne Zustimmung des Hohen Rats gewähren durfte. Außerdem wollte dieser zwielichtige Alte namens Omeon über ein Bündnis mit ihm sprechen, und Orkzahn hielt den Kerl offenbar nicht nur für heimtückisch, sondern auch für brandgefährlich. Warum war der Troll überhaupt nach Anvalon gekommen, obwohl er die Herrschaft der Elfen gerade erst abgestreift hatte? Sein Freund hatte damit Kopf und Kragen riskiert. Zumindest den Kopf, schränkte Athanor belustigt ein, denn Trolle trugen nichts als ein gegerbtes Fell um die Hüften. Doch das Schmunzeln verging ihm, als ihm die wichtigste Aufgabe einfiel. Er musste die Elfen auf einen Kampf gegen den Dunklen einschwören.
* * *
Plötzlich setzte sich die Kemethoë in Bewegung. Laurion spürte, wie ihn der Widerstand des Wassers zurückhielt, während der Schiffsrumpf vorwärtsglitt. Von einem Augenblick auf den nächsten heulte Wind in seinen Ohren. Immer schwerer hing er an den Händen, die sich verzweifelt bemühten, ihn an Bord zu hieven.
»Zieh!« Nemera klang flehend und angestrengt zugleich.
Laurion sah, dass sie gemeinsam mit Otreus an ihm zerrte, als ob sie mit dem Fluss rang, der ihn als Opfer verlangte. Immer schneller rauschte die Kemethoë durchs Wasser. Vergeblich strampelte Laurion gegen den Sog an. Seine Schulter war wie ein Klumpen, in den Feuerspeere stachen.
»Lasst mich ran, Herrin!« Neben Nemera tauchte Emmos’ entschlossene Miene auf. Er mochte schmal sein, aber er konnte volle Netze an Bord ziehen. »Auf drei!«, rief er in das Pfeifen des Winds. »Eins, zwei …!«
Mit einem Ruck wurde Laurion angehoben und über die harte Kante der Bordwand gezerrt. Irgendjemand