Athanor 4: Die letzte Schlacht. David Falk
kreischte Emmos’ Frau.
»Mentes ist tot!«, gellte es auf der Kaysas Segen.
»Runter!«, brüllte Otreus. »Köpfe unter die Bänke! Eine Schulter zum Feind!«
Um Laurion herum scharrte und polterte es. Seine Gefährten warfen sich zu ihm auf den Boden. Wo war die nächste Bank? Weit konnte sie nicht sein. Laurion schob seinen benommenen Schädel darunter und fand sich Nase an Nase mit Rhea wieder, nur dass ihr Gesicht auf dem Kopf stand.
»Können wir uns unsichtbar machen?«, flüsterte sie.
»Dafür ist es zu spät. Sie haben uns schon gesehen.«
Wieder verriet ein Knall einen einschlagenden Pfeil, dann ein zweiter. Jemand stöhnte. Taue und Holz knarrten unter Mahanaels magischem Wind.
»Ich hab ja gleich gesagt, dass es ’ne Falle ist«, murrte Djefer.
»Pass lieber auf, dass dich kein Pfeil erwischt!«, mahnte Otreus.
Laurion lauschte dem Rauschen des Wassers und dem heulenden Wind. Die Kemethoë fuhr so schnell … Konnten sie den Pfeilen nicht entkommen? Wie zur Antwort schlug wieder ein Geschoss in das Schiff. Als er versuchte, sich noch weiter unter die Bank zu schieben, bereitete sengender Schmerz dem ein jähes Ende. Er spürte, wie sich die Pfeilspitze in seinem Körper bewegte. Um Rhea nicht zu erschrecken, unterdrückte er einen Schrei und ignorierte ihre großen fragenden Augen.
»Wir hängen sie ab!«, jubelte jemand auf der Kaysas Segen.
»Wie kann das sein?«, wunderte sich Otreus. »Haben diese Dreckskerle etwa keine Zauberkräfte?«
Gute Frage. Was hatte Mahanael über die verschiedenen Völker der Elfen erzählt? Die Abkömmlinge Ameas beherrschten nur die Wassermagie, nicht das Luftelement. Sie konnten deshalb weder auf magische Art Pfeile lenken, noch Wind beschwören, während Mahanaels Volk aus Bastarden bestand, die sich oft auf beide Elemente verstanden. Kaum zu glauben, dass die anderen dennoch auf sie herabsahen. Sie vereinigten enorme Fähigkeiten in sich. Vielleicht verachtete man sie aus Neid umso mehr.
»Ist es wirklich sicher? Können wir rauskommen?«, fragte Nemera.
»Wie soll ich das in dieser Finsternis sehen?«, beschwerte sich Djefer.
»Wenn wir noch in ihrer Reichweite wären, hätten sie nicht aufgehört zu schießen«, schätzte Otreus.
Laurion war es gleich. Er hatte nicht vor, sich zu bewegen. Jede Regung bedeutete Schmerz. Je mehr die Anspannung von ihm abfiel, desto schwerer wurden seine Lider. Rheas Gesicht vor seiner Nase verschwand. Er hörte Kleidung rascheln und Sohlen schaben.
»Gütige Urmutter!«, entfuhr es Emmos’ Frau. »Du bist getroffen!«
Schmeichelhaft, dass sie das so berührt, dachte Laurion schläfrig.
»Ist zum Glück nur der Arm«, sagte Emmos. »Ohne Otreus’ Rat hätte mich der Pfeil vielleicht ins Herz getroffen.«
»Auch ’n blinder Fischer fängt mal ’nen Thun«, höhnte Djefer. »Uns schützt die Urmutter, sonst wären wir jetzt hin.«
Dankt mir nur nicht alle auf einmal … Aber woher sollten sie wissen, dass Mahanael nur seinetwegen rechtzeitig zur Stelle gewesen war?
Jemand kniete sich neben Laurion und spähte unter die Bank. »Der Göttin sei Dank! Du bist am Leben«, freute sich Nemera. »Für einen Moment habe ich das Schlimmste gefürchtet.«
»Ich auch«, seufzte Laurion. In der Dunkelheit glaubte er ein Lächeln zu erkennen.
»Da steckt ein Pfeil in seinem Rücken«, stellte Rhea fest. »Muss er jetzt sterben?«
»Nein, aber wir müssen seine Wunde versorgen. Nur geht das auf dem fahrenden Schiff nicht so leicht.«
»Wenn ich Euch einen Rat geben darf, Herrin, dann lasst den Pfeil stecken«, mischte sich Otreus ein. »Jedenfalls bis wir in Sicherheit sind.«
Und wann soll das sein?, wollte Laurion fragen, doch die Stimme zu heben, kam ihm zu anstrengend vor. Die Aussicht darauf, dass jemand den Pfeil herausriss, war nicht verlockend. Er wollte nur hier liegen und irgendwann aus diesem Albtraum erwachen. Nemera strich ihm über Haar und Nacken. Vielleicht war der Traum doch nicht so schlecht.
»Wir können nur auf Mahanael vertrauen und beten.« Vorsichtig nahm sie seine Hand. Ihre Finger waren von Sonne und Seewasser rau, aber seine waren es auch. Fast schien ihm der Moment zu kostbar, um darüber einzunicken, doch sein Körper fragte nicht danach. Bevor er einschlief, streifte ihn ein letzter Gedanke. Der magische Wind in ihrem Segel würde nicht ewig andauern. Was dann?
* * *
Entsetzt spürte Leones Danaels Hand erschlaffen. Wenn sie ihm entglitt, würde sein Kamerad in die Tiefe stürzen. Hastig packte er fester zu. Der harte Griff ließ Danael die Augen aufreißen. Schon seit einer Weile drohte er vor Entkräftung ohnmächtig zu werden, doch sie hatten bereits zu viel Zeit verloren, um ein zweites Mal zu landen. Zum Glück zeichneten sich die Türme Nehoras bereits vor ihnen gegen den Nachthimmel ab.
»Wir sind gleich da«, versicherte Leones. »Hältst du noch durch?«
Danael richtete den müden Blick auf die Festung. In der Dunkelheit lauerte sie auf dem Hügel wie ein zum Sprung geduckter Greif. Menschen und Elfen hatten sie einst gemeinsam errichtet, auf der steilsten Erhebung eines Höhenzugs, der die Elfenlande von den Sümpfen des Fallenden Flusses trennte.
»Ich versuch’s«, flüsterte Danael. Der Schwerelosigkeitszauber kostete ihn zu viel Magie. Obwohl Sturmlöwes nachlassende Kräfte sie gezwungen hatten, tagsüber zu rasten, war der Sohn Heras am Ende.
Leones wünschte, er hätte sich ebenfalls leicht machen können. Greife hassten Nachtflüge. Mit der Sonne schwanden die warmen Aufwinde, auf denen sie tagsüber segelten. Er konnte spüren, wie sehr sich Sturmlöwe anstrengte, um sie alle drei am Himmel zu halten – auch wenn Danael wie eine Fahne hinter ihnen wehte. Wäre ihr Anhängsel nicht gewesen, hätte er sich wenigstens flach hinlegen können, um den Greif möglichst wenig zu stören. Doch dann hätte Danael vor Sturmlöwes Brust herabhängen müssen, wo ihn der Wind ständig gegen den Greif gedrückt hätte.
»Gleich ist es geschafft.« Wie zur Entschuldigung strich Leones über Sturmlöwes Mähne. Der alte Junge hatte etwas Zuwendung und ein paar Leckerbissen verdient, doch Leones durfte sich nicht damit aufhalten. Sein Bericht duldete keinen weiteren Aufschub.
Auf der Plattform des Nordturms hob die Nachtwache grüßend eine Hand. Es war zu dunkel, um auf die Entfernung ein Gesicht zu erkennen, aber das blonde, im Mondlicht weiß aussehende Haar und der ebenso helle Mantel aus gesteppter Rohseide verrieten Die Faust. Leones erwiderte den Gruß der Tochter Heras. Mittlerweile hatte er sich gemerkt, dass sie Rhayuna hieß, doch hinter ihrem Rücken wurde sie Die Faust genannt, weil sie im Nahkampf allen überlegen war.
Danael wurde schwerer. Rasch zerrte Leones ihn näher, versuchte, ihn auf den Rücken des Greifs zu ziehen, damit er der Schwinge nicht in die Quere kam. »Bleib wach!«, herrschte er ihn an, doch Danael hob kaum noch die Lider. Sturmlöwe sank, obwohl sie die Mauern noch nicht erreicht hatten. Hektisch lehnte sich Leones nach hinten, das Zeichen für den Greif, höher zu fliegen. »Komm schon! Du schaffst das!«
»Was ist los?«, gellte Rhayunas Stimme. »Willst du dir an der Mauer den Dickschädel einrennen?«
Leones stand der Sinn nicht nach dummen Scherzen. Sturmlöwes Muskeln zitterten unter ihm. Selbst wenn es der Greif noch auf den Wehrgang schaffte, würde es eine unsanfte Landung werden. »Wir brauchen den Heiler!«, brüllte er und hielt die Luft an, während die Mauer näher und näher kam. Wenigstens gewann Sturmlöwe wieder an Höhe.
»Perian!«, rief Die Faust und eilte vom Nordturm herab. »Perian, wach auf!«
»Hoch!«, schrie Leones. Schon streckte Sturmlöwe die Vorderpranken aus und langte nach der Mauerkrone. Krallen kratzten über Gestein. Leones warf sich nach vorn, als könnte er sie