Athanor 4: Die letzte Schlacht. David Falk
kümmern wir uns erst einmal um diesen Pfeil in deiner Schulter.« Mahanael stand auf und bedeutete Laurion, sich zu setzen.
»Wird das nicht schrecklich bluten?« Was für ein armseliger Versuch, es hinauszuzögern …
»Das wäre gut«, behauptete Mahanael. »Es spült die schlechten Säfte aus dem Körper, die sonst das Fleisch faulen lassen.«
»Du verstehst es, einem Verwundeten Mut zu machen.«
»Nicht jeder kann ein Talent für alles haben. Lass den Arm einfach hängen und beiß in den Ärmel des anderen!«
Widerstrebend grub Laurion seine Zähne in den Stoff, doch im nächsten Augenblick schlug er sie mit einem gedämpften Schrei hinein, dass die Fasern knirschten. Tränen quollen ihm zwischen zusammengekniffenen Lidern hervor, während Mahanael die Pfeilspitze aus dem Loch in der Robe friemelte.
»Schon vorbei«, verkündete der Elf und zeigte ihm die blutige Spitze.
Abwehrend hob Laurion die Hand und sah weg. Über seinen Rücken rann etwas Warmes, aber es schien weniger zu sein, als er befürchtet hatte. Das neuerliche Brennen in der Wunde ließ so bald nach, dass er sich fragte, ob man sich an Schmerzen gewöhnte, wenn sie immerzu wiederkamen.
»Braucht er keinen Verband?«, fragte Rhea von der Kemethoë herüber. Auch etliche andere waren aufgeschreckt und blickten Mahanael und Laurion an.
»Später«, antwortete der Elf. »Wenn die Blutung aufgehört hat. Aber du solltest die Robe ablegen, sonst wird sie mit der Wunde verkleben.«
»An dir ist doch ein Heiler verloren gegangen«, befand Laurion und stieg zurück auf die Kemethoë.
»Ich wünschte, es wäre so. Oder Meriothin wäre noch bei uns. Denn ich weiß nicht, wie man ohne Heilmagie Wundfieber verhindert.«
Laurion seufzte. »Aufmuntern ist wirklich nicht deine Stärke.« Schon fühlte er sich fiebrig, und vielleicht erklärte es auch den Schwindel, der ihn erneut befiel.
»Djefer, aufwachen!«, rief Mahanael, während sich Laurion wieder hinlegte. »Wir brechen auf!«
»Und wie kommen wir voran?«, fragte Emmos verblüfft. An seinem Arm prangte bereits ein Verband aus Streifen eines zerrissenen Kittels.
»Für ein wenig Wind kann ich wieder sorgen, nur werden wir nicht annähernd so schnell sein wie zuvor.«
»Aber was machen wir, wenn sich der Nebel lichtet?«, wollte Nemera wissen. »Auf dem breiten Fluss werden wir weithin zu sehen sein.«
»Das ist wahr, Herrin«, pflichtete Otreus ihr bei. »Aber wir dürfen unseren Vorsprung nicht gänzlich verspielen.«
Rasch setzten die Seeleute der Kaysas Segen das Segel und lösten die Boote bis auf ein Tau voneinander. Mahanael lenkte sein Schiff aus dem Seitenarm hinaus und zog die Kemethoë hinter sich her. Wachsam spähte Otreus in den Nebel, doch im grau-weißen Dunst rührte sich nichts. Laurion streifte die Robe ab und fror augenblicklich. Hastig breitete er sie wie eine Decke über sich. Bald hob sich der Nebel schneller als erwartet. Zwar blieb die Sonne eine blasse Scheibe, aber die Sicht reichte weiter, als ihnen lieb war. Und wie Mahanael befürchtet hatte, blieb natürlicher Wind aus. Laurion fiel ein, dass Eleagon kein Segel brauchte, um ein Schiff anzutreiben. Es ging zwar langsamer als mit Mahanaels magischem Wind, aber wenn die Abkömmlinge Ameas Wassermagier waren, hielt sie die Flaute demnach nicht auf. Bei dem Gedanken trat Laurion Schweiß auf die Stirn. Oder hielt ihn nur das Wundfieber fester im Griff?
»Ich muss uns unsichtbar machen«, murmelte er. Zwei Schiffe, so viele Menschen, das große Segel … Wenn er eines schaffte, dann auch zwei, oder nicht?
»Das ist gut«, lobte Rhea. Seit wann saß sie wieder bei ihm? »Ich helfe dir.«
Laurion rang sich ein Lächeln ab. Immerhin meinte sie es gut. Eifrig streckte sie sich neben ihm aus und legte den Kopf so dicht an den seinen, dass sich ihre Stirnen beinahe berührten. Woher hatte sie diesen Einfall? Ah, die fahrenden Seherinnen! Auf Märkten boten sie ihre Dienste als Wahrsagerinnen feil und taten so, als würden sie sich mit den Gedanken der Kunden verbinden. Natürlich hatten diese Darbietungen nichts mit echter Magie zu tun. Nie hätte der Magierorden diese Scharlataninnen aufgenommen. Sie zogen den Gutgläubigen nur die Münzen aus den Beuteln.
»Hast du das auf dem Markt in Ehala gesehen?«, fragte Laurion.
Rhea schien einen Augenblick überlegen zu müssen. »Ja. Mama hat es immer gemacht.«
»Deine Mutter war eine fahrende Seherin?« Ich hätte sie längst nach ihrer Familie fragen sollen. Doch es war ihm zu grausam erschienen, sie an diesen Verlust zu erinnern.
»Sie hat den Leuten in den Kopf gesehen«, erklärte Rhea stolz.
Und Rhea sieht Geister. War an diesen Wahrsagerinnen doch mehr, als er ihnen zugetraut hatte? Aber mit Hellseherei verbarg man noch lange kein Schiff vor feindlichen Blicken. »Gut, äh, dann erinnere dich daran, was wir geübt haben. Woran musst du denken?«
Rhea schloss die Augen. »Ihr seht uns nicht«, flüsterte sie. »Wir sind der Fluss.«
»Sehr gut. Mach im Stillen weiter!« Schaden konnte es schließlich nicht. Auch Laurion schloss die Lider und stimmte sich ein. Es war leichter, etwas verschwinden zu lassen, das er berührte, deshalb machte ihm die Kemethoë wenig Sorgen, aber er konnte sich nicht auf zwei Dinge gleichzeitig konzentrieren. Irgendwie musste er es schaffen, sie als Einheit zu betrachten. Das Tau. Wie eine Nabelschnur verband es die Schiffe. Perlen auf einer Schnur. So könnte es gehen. Deutlich sah er das Bild jetzt vor sich. Nun musste er nur noch seine Magie darauf lenken. Innerlich ließ er sich fallen. Ihr seht uns nicht, denn wir sind der Fluss. Der Rest Morgennebel, der nicht weichen will.
Plötzlich glaubte er, Rhea flüstern zu hören, doch nicht mit seinen Ohren. »Ihr seht uns nicht, denn wir sind das Wasser. Das Wasser, auf dem sich die Sonne spiegelt.«
Er war so überrascht, dass er die Augen öffnete und ihm das Bild entglitt. Konnte sie wirklich …
»Gütige Urmutter!«, entfuhr es Sirkits Tante. »Was ist das?« Sie klang so alarmiert, dass sich Laurion hastig aufsetzte. Ihr ausgestreckter Arm wies zum Himmel.
Otreus sprang auf. »Ein fliegendes Schiff!«
* * *
Athanor versuchte, möglichst gelassen zwischen Flügel und Stachelkamm zu sitzen, wo der Drachenrücken am breitesten war, doch gegen Mahaleas Furchtlosigkeit kam er sich lächerlich vor. Immer wieder stand sie aufrecht im Wind, den der schnelle Flug mit sich brachte, und um auf die Elfenlande hinunterzusehen, trat sie dorthin, wo es bereits abschüssig war.
Kunststück. Sie kann eben nicht fallen. Mit ihrer Magie würde sie einen Sturz in sanftes Hinabschweben verwandeln oder sich womöglich wieder auf Akkamas’ Rücken schwingen. Er dagegen … sah immer noch Eleagons zerschmetterten Körper am Fuß der Ordensburg liegen. Die vielen Brüche waren im zerfressenen Leichnam des Elfs deutlich zu erkennen gewesen. Nur die seltsame Kraft, die die Untoten in einem Stück hielt, hatte die Knochen zusammengefügt.
»Ich habe Euch noch nicht gedankt«, stellte Mahalea unvermittelt fest.
Athanor blickte auf. »Mein Verdienst war es nicht. Gegen dieses Ungetüm hätte ich rein gar nichts ausrichten können.« Verfluchte Wiedergänger. Er musste den Grund dafür herausfinden, sonst würden sich offenbar immer mehr erheben.
»Mein Dank gilt natürlich dem Drachen«, erwiderte die Kommandantin. »Es war selbstlos, dass Ihr Euch zwischen Anvalon und den Giganten geworfen habt. Mein Volk steht in Eurer Schuld, Akkamas.«
»Schmeichelt Ihr mir, um in Zukunft auf Greife verzichten zu können?«
Mahalea lachte bitter auf. »Ich wünschte, das wäre alles, worum ich mich sorgen muss.«
»Verzeiht mir«, bat der Drache. »Ich wollte es nicht an Respekt vor dem Unheil mangeln lassen, das Euer Volk