Sonntagsgeschirr. Anita Obendrauf

Sonntagsgeschirr - Anita Obendrauf


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wollte nur eines, endlich festen Boden unter den Füssen spüren. Sie setzte sich und schloss die Augen. Ihr war immer noch übel.

      «Wir sind im Hafen!», rief Meinhard. «Hilf mir, die Jacht festzumachen.»

      Angelina erhob sich und streckte sich nach der Leine am Metallpfosten, der fest im Wasser stand. Langsam glitt das Schiff an den Liegeplatz und Meinhard befestigte die Leinen an der Jacht. Vom leicht schwankenden Schiff nahm Angelina einen grossen Schritt auf den Steg und übergab Meinhard von dort die beiden anderen Leinen. Er zeigte ihr die rechte Hand mit dem Daumen nach oben und strahlte sie freudig an. Endlich, Angelina atmete auf.

      Sie taumelte über den Steg, kletterte die nächstbeste Leiter auf die Mole hoch und setzte sich erschöpft auf die Mauer. Der Wind kräuselte immer noch leicht die Wasseroberfläche. Bald schien die Sonne wieder und ihr wurde heiss. Meinhard war immer noch auf der Jacht beschäftigt. Nicht einmal die Schwimmweste hatte Angelina ausgezogen. Sie öffnete nun die Schnallen der Weste und zog diese samt der Regenjacke aus. Danach löste sie die Schnürsenkel ihrer triefend nassen Turnschuhe und stellte diese neben sich. Als sie die Socken auswrang, tropfte es auf den Boden und es bildete sich ein kleines Rinnsal. Dann machte sie es sich auf der Regenjacke bequem, schloss die Augen und genoss die wärmende Sonne.

      Sie musste kurz eingenickt sein. Meinhard sass neben ihr, hielt eine Flasche Mineralwasser in der Hand und trank. Er blickte auf den See. Dieser lag ruhig und die Sonne spiegelte sich auf der Oberfläche. In der Ferne sah Angelina noch dunkle Wolken. Weit weg schienen sie. Als Meinhard merkte, dass sich Angelina bewegte, fragte er: «Willst du auch?», und hielt ihr die Flasche hin.

      Angelina stellte fest, dass sich ihr Magen etwas beruhigt hatte, und trank mit grossen Schlucken.

      «Und jetzt?», fragte Meinhard.

      «Weiss nicht», sagte Angelina.

      «Sollen wir bei mir zu Hause noch etwas Kleines essen, bevor du nach St. Gallen fährst?»

      «Aber nur etwas Kleines.» Ihr Magen fühlte sich nach wie vor flau an.

      Meinhard hatte Salat gemacht und die Reste vom Mittagessen aufgetischt. Angelina sass einfach am Tisch und starrte durch das Panoramafenster auf den See.

      «Es ist nicht das, was du denkst», sagte Meinhard, als er sich an den Tisch setzte.

      «Du meinst, wir waren nie in Seenot?»

      Meinhard lachte. «Nein, nicht wirklich. Ich wollte dir auch keine Angst einjagen. Ich spreche von Vater, wir hatten keinen Streit.»

      «Was dann?»

      «Es ist wegen Mutter. Sie hatte doch dieses Fotoalbum.»

      «Und?»

      «Mutter im weissen Kleid bei der Erstkommunion, Mutter zusammen mit Onkel Alois und Onkel Friedrich, mit Oma und Opa.»

      «Ja?»

      «Es lag doch immer hinten im Kleiderschrank unter den Blusen. Weisst du noch, wie wir es heimlich hervorgeholt und angeschaut haben, und Mutter es gemerkt hat, weil alle Blusen nachher zerknittert waren?»

      «Dass du dich so genau erinnerst?»

      «Vater hat Mutters Sachen einfach auf den Müll geworfen.»

      «Nein.»

      «Doch, es ist alles weg.»

      «Aber die Wohnung sieht aus wie früher.»

      «Die Möbel ja, aber die Fotos sind weg. Das Album und sogar das Hochzeitsfoto sind verschwunden.»

      Angelina begriff, dass ihr selbst von ihrem Kind nichts geblieben war, rein gar nichts. Es gab nur die Erinnerung an eine kurze Zeit des Schwangerseins.

      «Ich dachte, ich würde sterben, da auf dem See während des Gewitters.»

      Meinhard presste die Lippen aufeinander. «War es so heftig?»

      «Ich wollte durchhalten und überleben, aber manchmal wäre es mir egal.»

      «Was?»

      «Zu sterben.»

      «Wie meinst du das?»

      «So, wie ich es sage.» Eine Träne löste sich im Augenwinkel und rann über ihre Wange. «Mein Kind ist gestorben.»

      «Dein Kind?»

      «Ich war schwanger und dann ist es gestorben, einfach so. Und nun ist es tot.»

      «Oh nein! Angelina», Meinhard legte einen Arm um ihre Schultern. «Ich hätte einen Neffen oder eine Nichte gehabt.»

      Tränen rannen unaufhaltsam aus ihren Augen. «Ich wünsche mir so sehr, ich wäre bei ihm.»

      Nach einem Moment des Schweigens sagte Meinhard: «Du warst heute bei ihm. Weisst du, dass nach germanischer Vorstellung die Seelen der Ungeborenen im Wasser wohnen?»

      «Woher weisst du das?»

      «Mich hat nicht nur Architektur, sondern auch Geschichte interessiert.»

      Angelina schaute auf und blickte aus dem Fenster.

      Wie tief war der Bodensee? Und wie viele Kinderseelen hatten darin Platz? Wo wohnten die Seelen der anderen Verstorbenen? Bei den Göttern im Himmel? Gab es eigens ein Totenreich für die ungeborenen Kinder?

      «Vater, er ist alt», sagte sie.

      Meinhard nickte stumm.

      «Er denkt an dich. Du solltest ihn besuchen.»

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