Sonntagsgeschirr. Anita Obendrauf

Sonntagsgeschirr - Anita Obendrauf


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aus?»

      «Das habe ich nicht gemeint.»

      «Wir können am Wochenende auf den See, vorausgesetzt es hat Wind. Und sonst nehmen wir den Motor. Was treibst du so?»

      «Ich besuche Leni. Kannst du dich noch an sie erinnern? Wir sind zusammen zur Schule gegangen.»

      «Schwach. Warst du schon bei Vater?»

      «Letzte Woche.»

      «Und?»

      «Hat sich nicht schlecht arrangiert, glaube ich.»

      «Meinst du?»

      «Was glaubst du?»

      «Ich habe viel zu tun, die Bauwirtschaft boomt. Da komme ich selten nach St. Gallen. Er meldet sich auch nie.»

      «Nein, er meldet sich nie.»

      «Aber du bist nicht gekommen wegen Vater oder mir. Was treibt dich zurück?»

      Angelina presste die Lippen aufeinander. Schweigend gingen sie nebeneinander her und am Kornhaus vorbei zum Jachthafen. Angelina betrachtete die Motor- und Segelboote, die vertäut waren. «Liegt hier dein Schiff?»

      «Nein, drüben im Gemeindehafen. Ich hätte es dir zeigen können. Aber hier ist es friedlicher, weil es weniger Leute hat.»

      Auf der Mole, die den Hafen abtrennte, spazierten sie zwischen Büschen hindurch. Als sie das äussere Ende mit einer Fahnenstange und drei Flaggen erreichten, blieb Angelina stehen. Dann holte sie tief Luft: «Meinhard, es ist … mein …» Sie stockte.

      «Du brauchst es mir nicht zu erzählen, wenn du nicht willst», antwortete er schnell.

      Meinhard trat drei Schritte vor und blieb stehen. Angelina tat es ihm gleich. Sie standen nun auf den Steinquadern, die wie eine grosse Treppe zum See hinabführten. Ein paar Blässhühner schwammen auf sie zu.

      «Schau, der Zeppelin.» Meinhard blickte zum Himmel.

      «Ein Zeppelin?»

      «Ja, von Friedrichshafen aus kann man Rundflüge machen.»

      Das Wasser plätscherte leise, als weiter draussen ein Passagierschiff vorüberfuhr. Angelina hörte das Rascheln der Blätter im Wind. Die Brise war hier etwas stärker zu spüren. Hatten sie die Jahre der Kindheit, die unzähligen Abenteuer zusammengeschweisst? Was war von damals geblieben?

      Meinhard trat mit der rechten Fussspitze auf einen Kiesel, presste die Zehenspitzen und den Fussballen fest darauf, während er die Ferse hin und her schwenkte. Es war, als wollte er den Kiesel zermalmen. Abrupt blickte er auf. «Du hast dich Monate nicht gemeldet und jetzt stehst du einfach hier. Schön, dass du da bist.»

      In Meinhards Wohnung gaben die Panoramafenster einen weiten Blick zum See hin frei. Von der geräumigen Wohnküche führte eine Schiebetür zur Terrasse, und als Meinhard diese nun aufschob, war es, als ob der ganze laue Sommerabend den letzten Winkel der Wohnung ausfüllte. Alles zusammen erschien Angelina wie ein Mittelmeerambiente und es war ihr, sie rieche sogar das Salz des Meerwassers in der Luft.

      Auf der Terrasse standen ein Tisch und vier Stühle und weiter hinten ein einsamer Rosmarinstrauch in einem bauchigen, blauen Blumentopf.

      «Wie lange hast du diese Wohnung schon?», fragte Angelina, ans Terrassengeländer gelehnt.

      «Dies ist mein dritter Sommer.»

      «Und das ganze Haus hast du geplant?»

      «Na klar, ich bin Architekt. Ich tue nichts anderes.»

      «Als Häuser am See zu bauen.»

      Angelina nahm eine Olive aus der Schale und schob sie in den Mund.

      Meinhard hatte den Vorschlag gemacht, auf seiner Terrasse zu grillen. Während er den Grill aus dem Keller geholt, mit einem alten Lappen den Staub entfernt und die Kohle eingefüllt hatte, hatte Angelina den Salat gewaschen und Oliven, Silberzwiebeln und Essiggurken in kleine Schälchen gefüllt.

      Nun goss Meinhard Brennflüssigkeit über die Kohlen, hielt ein Streichholz daran und erzeugte eine riesige Stichflamme. Schnell trat er einen Schritt zurück.

      Angelina spukte den Stein der Olive in die Wiese. «Für drei Jahre bist du aber dürftig eingerichtet.»

      Meinhard hielt den Blasebalg, mit dem er Luft zwischen die Kohlen gepumpt hatte, nun wie einen Tennisschläger, um den Rückschlag auszuführen. «Wie meinst du das?»

      «Der Grill im Keller, ein verwaister Rosmarinstrauch.»

      «Ich giesse zu wenig, da geht alles andere ein. Jetzt bring das Fleisch.»

      «Ich hätte eine Flasche Weissen mitbringen sollen, kühl und spritzig für einen solchen Abend», sagte Angelina, während sie Meinhard den Teller mit den marinierten Steaks reichte.

      «Ist für alles gesorgt. Hol die Flasche aus dem Kühlschrank und zwei Gläser.»

      Der Duft des gebratenen Fleisches weckte Angelinas Appetit. «Soll ich testen?», fragte sie auf den Weisswein zeigend.

      Meinhard nickte, während er das Fleisch geschickt mit der Grillzange wendete.

      Angelina nahm einen Schluck vom Wein. «Fruchtig.»

      «Schmeckt er dir?»

      «Perfekt.»

      Sie assen schweigend. Meinhard hatte den Stuhl mit dem Seeblick Angelina überlassen. Letzte Sonnenstrahlen spiegelten sich auf der Wasseroberfläche.

      «Zuhause haben wir nie grilliert», sagte Angelina.

      «Aber Mutter hat gut gekocht», erwiderte Meinhard.

      «Was mochtest du so gerne?» Angelina dachte kurz nach. «Kaiserschmarren und Salzburger Nockerln?»

      «Nockerln habe ich seither nie mehr gegessen. Die bekommst du nirgends.»

      «Vielleicht irgendwo in Österreich», bemerkte Angelina.

      «Dass Mutter diese Spezialitäten so gut kochen konnte? Sie stammte ja nicht aus Österreich.»

      «Hat sie extra für Vater gelernt.»

      «Meinst du, sie haben sich geliebt?»

      Erstaunt blickte Angelina zu Meinhard. Zögerte jedoch mit ihrer Antwort. «Bestimmt», sagte sie dann. «Glaubst du nicht?»

      «Mir wird langsam kalt. Sollen wir reingehen?»

      Vom Esstisch aus sah Angelina, wie der See seinen Glanz verlor. Der Himmel färbte sich blauorange und schliesslich verschwand das letzte Gelb am Horizont und wich der Dunkelheit. Sie sah die Lichter am anderen Ufer. Dazwischen lag schwarz der See. Und obwohl sie in der warmen Wohnung sassen und die Nacht draussen nicht wirklich kalt war, fröstelte sie. «Es ist schon spät», sagte sie und blickte auf die Armbanduhr. Es war erst Viertel vor zehn Uhr.

      Meinhard begleitete sie zum Bahnhof. «Also, Segeln am Sonntag», sagte er und umarmte Angelina zum Abschied fest. «Ich rechne mit dir.»

      Im Zug befanden sich letzte Ausflügler auf dem Heimweg. Angelina schloss die Augen. Der Abend war so friedlich gewesen. Nein, es hatte keine zweite Gelegenheit gegeben, um es Meinhard zu sagen.

       Das Dorf

      «Kommst du mit auf einen Spaziergang ins Dorf?», fragte Angelina Vater. Niemand, der nicht an diesem Ort aufgewachsen war und ihn von früher her kannte, hätte diese Ansammlung von Häusern inmitten von Fabrikhallen und Einkaufszentren Dorf genannt. Doch für Angelina war es das Dorf geblieben.

      Es war nun über eine Woche vergangen, seit sie Vater das letzte Mal besucht hatte. Am Morgen hatte sie ihn angerufen und gefragt, ob er zu Hause sei. «Ja, ja. Komm vorbei», hatte er gesagt.

      Nun war Nachmittag. Sie beide sassen in Vaters Wohnung am Tisch, je ein Glas Wasser vor sich, und wussten nicht, worüber sie reden


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