Kommunale Pflegepolitik. Frank Schulz-Nieswandt

Kommunale Pflegepolitik - Frank Schulz-Nieswandt


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darüber, was das vorliegende Thema eigentlich ist.

      Es geht in diesem Lichte demnach um blühende Landschaften, um Landschaften, die zum Blühen gebracht werden müssen. Es geht nicht um blühende Märkte, sondern um Landschaften der aktualgenetischen Sorge, die transsektoral von der landesgesetzlich ermöglichten kommunalen Pflegestrukturplanung vorangetrieben werden, dabei auch regulierte Märkte einbindend. Es geht um die Kritik des Wucherns eines malignen Kapitalismus.32 Die alternative Welt ist anders: Gemeint ist eine für die Entwicklung des Menschen anregende – aktivierende – Umwelt. Unter Aktualgenese wird die Rolle aktivierender Umwelten für das Wachstum und das Werden der menschlichen Person33 verstanden. Dieser Effekt ist in der Gestaltpsychologie und in verschiedenen Strömungen der humanistischen Psychologie herausgearbeitet worden. Die Aktualgenese ist transaktional zu verstehen, da sich die Person umgekehrt auch den Angeboten einer aktivierenden Umwelt öffnen, die Angebote also annehmen und verarbeiten muss. Im leistungsrechtlichen Zusammenhang kommt im Begriff der aktivierenden Pflege das Theorem der Aktualgenese zur Geltung. Es ist bedeutsam in komplexen Theorien zur Lebensqualität in Settings der Langzeitpflege, die dialogisch als soziale Interaktionsarbeit zu definieren ist und die ganze Strukturschichtung des Menschen in Geist, Seele und Körper »abzuholen« hat.

      Sozialforschung erzählt uns demnach eine Geschichte über die in Raum und Zeit gestellten, inter-individuell verstrickten Geschichten der sozialen Wirklichkeit der Menschen34. Die Sozialforschung über die Entdeckung und Entfaltung sowie Verbreitung sozialer Innovationen ist eine Erzählung von Transgressionen. Daher ist in vorausgegangenen Publikationen von Schulz-Nieswandt von »dionysischer Sozialpolitik« die Rede, von der Sozialpolitik als Teil der gestaltenden Gesellschaftspolitik, die – gegen »Unterdrückung und institutionalisierte Machtstrukturen«35 – Grenzen überschreitet und im Sinne dieser Überstiege »Pfade nach Utopia« eröffnet. Gemeint sind Prozessinnovationen (z. B. enthospitalisierende De-Institutionalisierungen und Sozialraumöffnungen von anstaltsförmigen Settings von Care und Cure), die aber ebenso auf neue Produkte (z. B., aber nicht neo-liberal verkürzt36, von Wohnen in Caring Communities) abstellen können. Dies bedeutet eine neue Vision der sozialen Geometrie der Insider und Outsider, der zivilisierten Innenräume (Kultur) und der Wildnis37 des Da-Draußen (Natur), und die als positive »Heterotopien« zu verstehen sein werden.

      2.1 Das Dasein des Menschen im Mythos

      Davon träumen die Menschen. Immer schon hat der Mythos38 die Menschen dabei begleitet, ihr Dasein zu verstehen.39 Was ist die Existenz des Menschen? Was charakterisiert diese Existenz? Und schon sind wir angesichts des Wesens der Götter an der Tatsache der Endlichkeit angelangt. Unbegreiflich. Kaum oder nur sehr schwer zu akzeptieren. Aber auch der Weg zum Tod hin ist ein Thema im Mythos. Die Rede ist vom Leid und dem Leiden. Von der fehlenden Gerechtigkeit in der Geschichte.40 Wir können das Gute, das Wahre, das Schöne hervorbringen.41 Und dennoch versagen wir immer wieder. Und tragen wegen der Verantwortung für unsere Geschichte Schuld.42 Wir sind eben nicht die Götter, sagt der klassische Mythos. Wir mögen mitunter gottähnlich sein. Davon handelt das »analogia entis«-Theologem. Das Leben der Menschen als Geschichte ist eine große Erzählung von diesem Drama des Daseins. Es fällt schwer, Sinn zu erkennen in diesem Drama. Es erfordert Mut, dieses Wagnis43 anzunehmen, denn das Risiko des Scheiterns – José Ortega Y Gasset spricht vom »Schiffbruch des Lebens«44 – ist groß, aber es ist die einzige Art, ein freies Wesen zu sein: die Rolle anzunehmen und zu spielen. Denn die Fehler, die der Mensch macht, sind die Kehrseite seiner Freiheit, Entscheidungen zu treffen. Aber im Sinne von Morphomata45: Ohne Mut zur Gestaltwerdung, zum Wachstum der menschlichen Persönlichkeit im Modus des gelingenden sozialen Miteinanders versagen wir bereits aufgrund der Flucht aus Angst vor dieser Freiheit heraus.

      Diese analytische Perspektive hat lange Zeit die Kritische Theorie vertreten. Sie ist heute in Nischen der Sozialphilosophie als Propädeutik der Sozialwissenschaft zu finden, aber sicherlich nicht mehr in Diskurs-bestimmender Position. Nach 1945 fanden sich ähnliche Haltungen in der sozialkonservativen Theologie, deren Metaphysik des sozialen Miteinanders46 auf hohem Niveau angesiedelt war, aber doch nur wage Schnittstellen zur Gesellschaftsgestaltungspolitik aufwiesen. Dennoch ist – wenn man diese Positionen zugunsten einer Gott-losen Theologie oder einer atheistischen Theologie wendet – hier tiefe Einsicht verborgen, etwa dort und dann, wenn man Karlfried Graf Dürckheim liest, der das wahre Leben als LEBEN groß schrieb, während für die Empirie das klein geschriebene Leben reicht. Oder auch dort, wo Friedrich Heer das »reichere« Leben beschwor und zum »Sprung über den Schatten« aufrief. Immer ist auch Romano Guardini anzuführen. Oder (im Kontext »Kreisauer Kreis«47) auch Alfred Delp48 und sein »personalistischer Sozialismus«49. Eine größere Nähe zur Sozialreform weisen andere Denker auf, die an anderer Stelle zur Sprache kamen.50

      Doch genau hier liegt auch das Problem. Die Bücher der sozialkonservativen Sozialkritik der Theologie sind immer nur zur Hälfte zu verdauen, so z. B. die Phänomenologie des Todes, seines Wesens und seiner Erfahrbarkeit bei Johannes B. Lotz51 oder Phänomenologie der Erfahrung der Einsamkeit52. Das sind wichtige Beiträge, um in die Daseinsproblematik und Existenzangst des leidenden Menschen einzudringen. Aber dann folgt die in keiner Weise begründete Behauptung, Mitmenschlichkeit und Gemeinschaft und somit Liebe im sozialen Miteinander reiche nicht aus, um alle diese Angst und Sorgen zu bewältigen: Ohne die Verborgenheit in Gott ginge es nicht. Selbst Rilkes »Deutung des Daseins« wird dann in einem schleichenden Umkippeffekt von Bewunderung zur Wertminderung bemitleidet53. Doch die moderne entwicklungspsychologische Forschung – die Bindungsforschung, die Neurosenlehre und die Existenzialphilosophie54 u. v. a. m. – zeigt uns auf, das genau hier die Abhilfe zu suchen und zu finden ist: in modernen Sorgestrukturen in der Lebenswelt der Gemeindeordnung, vor dem Hintergrund moderner sozialer Infrastrukturen, technischer Hilfesysteme und Mobilitätschancen. Der Mensch muss seine Persönlichkeit im Lebensverlauf entfalten können, wozu er auch in der Modernität unserer Gesellschaft Formen der gemeinschaftlichen Vergesellschaftung, wobei die Begriffsdiskurse als verwilderter Garten erscheint55, braucht. Jedenfalls bekommt man das Problem nicht in den Griff, wenn in einer kruden Auslegung der Soziologie von Ferdinand Tönnies56 das Begriffspaar57 Gemeinschaft (G1) und Gesellschaft (G2) dualistisch und zugleich in einer historischen Sequenz als Substitution (G1 in to wird von G2 in t1 abgelöst, also ersetzt) desorientierend zur Wirkung gebracht wird.58

      Mit den Aufgaben wächst man. Doch stetig linear59 – selbst ein Wahn der Modernisierungsideologie des Fortschritts60, der das Leben als Maschinenraum61 codiert – ist dieser Weg nicht. Die Zivilisationsgeschichte der Kultur der Menschen ist anders – brüchiger, voller Abgründigkeiten – zu erzählen. Krieg und Elend, Zerstörung der äußeren Landschaften und mit ihnen auch der inneren Landschaften der Seele62 der Menschen63, das daran sich knüpfende Erkranken des Geistes. Lotz hatte mit bedeutsamen Büchern auch zu den Themenkomplexen »Ich, Du, Wir« und »Eros, Philia, Agape« beigetragen.

      Doch auch hier ist die scharfe Kritik in der Frage geformt, warum personalistische Anthropologie des Dialoges und der Begegnung sowie der liebenden Öffnung des Menschen zur Welt immer im Theismus enden muss.64

      Zur Metaphysik der Begegnung bei Jean-Luc Nancy

      In der Ideengeschichte des Personalismus wird vor allem die dialogische Struktur des gelingenden menschlichen Daseins als ein Miteinander betont.65 Wir verweisen vor allem auf das Werk von Martin Buber und Romano Guardini sowie auch auf Ferdinand Ebner und Emil Brunner. In neuerer Zeit ist die Bedeutung des Werkes von Nancy stärker erkannt und diskutiert worden, zumal Nancy, anders als die klassische akademische philosophische und theologische Anthropologie der Person, explizit politisch dachte mit Blick auf die Chancen einer freien Vergemeinschaftung in der globalen Welt.

      Die Gemeinschaftlichkeit menschlichen Seins, auf die Jean-Luc Nancy66 seinen Fokus als den Modus des Mitseins des Menschen legt, macht er als »singulär plurales Sein«67 zu einer Grundfigur seiner Philosophie. Kommunikation


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