Kommunale Pflegepolitik. Frank Schulz-Nieswandt

Kommunale Pflegepolitik - Frank Schulz-Nieswandt


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Wesen nach) bzw. sein kann (seinem Potenzial nach). Doch auch diese Interpretation ist reaktionärer Theologie schon zu weitgehend, würde sie den Menschen doch in blasphemischer Art und Weise zur Hybris verführen. Doch stimmt es religionsgeschichtlich denn nicht, dass schon im AT der Aufruf zur Horizontalisierung der vertikalen Liebe von Gott zu den Menschen als bundestheologisch verkündetes Telos vom Menschen zu erfahren war? Meinte diese euklidische Geometrie, die uns vertraute, anschauliche Raumtheorie des Zwei- oder Dreidimensionalen, in der es um Punkte, Linien, Geraden, Winkel und Ebenen geht, zum Ausdruck bringt165, dieser Achsendrehung – ohne hier more geometrico zu spielen – nicht, der Mensch solle in der Horizontalität der zwischenmenschlichen Beziehungen die Empathie-fundierte prosoziale Gabe-Bereitschaft als Ausdrucksform der Liebe und der Weltoffenheit zur Reziprozitätsordnung des bedarfsgerechten Gebens und Nehmens ausbauen? Empathie ist eine genetisch (von Natur aus) mögliche, sodann aber erst noch (Kultur) soziale erlernbare Fähigkeit zum Einfühlen in die Erfahrungswelt des Mitmenschen. Empathie ist eine insbesondere in der psychodynamischen Bindungsforschung fundiert erforschte Fähigkeit des Einfühlens166 durch Sinn-Verstehen fremden Ausdrucksverhaltens (Hermeneutik) und stellt durch Übergang zum Mitleiden die Grundlage für prosoziales Handeln dar. Empathie kann der Mensch auf der Grundlage der (neurowissenschaftlich erforschten komplexen Spiegelneuronen) im Zuge seiner primären Sozialisation (vor allem schon der frühen formativen Jahre) erwerben. Es handelt sich also um ein Wechselspiel von Natur (Biologie) und Kultur (Vergesellschaftung) und verweist auf das Phänomen der Aktualgenese. Empathie ist insofern auch die Voraussetzung des Erlernens der Moral (Sittengesetz) und des Werdens der Person. Vor diesem Hintergrund ist zu sehen, dass das Leben – so bekanntlich die Lebensweisheit – ein Geben und Nehmen ist, dies in vielerlei Hinsicht. Dieses System des gegenseitigen, wechselseitigen, nicht nur dyadischen, sondern komplexen Austausches folgt der Regel der Reziprozität von (bedingter, also begrenzt unbedingter) Gabe und (freiwilliger oder obligatorischer) Gegen-Gabe. Es handelt sich um Netzwerkbildung, bestimmten Haltungen und Motiven, bestimmten Situationen, Kontexten und Anlässen folgend, unterschiedliche Ressourcen einbringend, zeitnah oder auch zeitversetzt arbeitend: Eine materielle, aber auch symbolische Sorgekultur, vielfach sinnhaft mehr als ein kalkulatorisches ökonomisches Risikomanagement. Reziprozität ist eine zentrale Kategorie des Wesensverständnisses der Kultur des Sozialen und basiert auf der Anthropologie der Gabe im Verständnis der Personalität des Menschen. Sie ist netzwerktheoretisch von morphologisch konstitutiver Bedeutung für die Logik der Caring Communities. Reziprozität kann in Netzwerken der strong ties und weak ties unterschiedliche Formen annehmen (relative Unbedingtheit der Gabe: Geben > Nehmen; Äquivalenzlogik des Tausches: Geben ≈ Nehmen; moral hazard- bzw. Trittbrettfahrer-Modus: Nehmen ohne Geben). Die »Währung« von Geben und Nehmen kann homomorph (z. B. Zeit gegen Zeit) oder heteromorph (z. B. Zeit gegen Geld oder Zeit gegen Dankbarkeit) sein. Probleme lang gestreckter Inter-Temporalität von Gabe-Akt und Gegen-Gabe liegen in dem Bedarf von Vertrauensvorschuss bzw. in den Transaktionskosten des Risikomanagements.

      Wir thematisieren hier eine kulturgeschichtliche Innovation im Denken der Menschen, die heute noch aktualisierbar ist. Das soll hier nur insoweit geleistet werden, dass unser aktuelles Problem besser verstanden werden kann. Dieser Themenkreis ist entgrenzt weit. Was Karl Jaspers die Achsenzeit167 des ersten Jahrtausend zwischen Asien und der Ägäis nannte und die Altertumsforschung breit beschäftigte, war die Entstehung der personalen Ethik. Wir nennen diese Geschichte die große Achsendrehung (image Abb. 4). Wir halten das Thema hier kurz und abstrahieren von einer Fülle relevanter Dimensionen und Aspekte, deren Behandlung uns aber auf Abwege angesichts der hier gestellten Fragenkreise führen würde.

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      Wenn Gott als Symbol der figürlich gedachten Ur-Liebe als Geschenk (Ur-Gabe) gegenüber dem Menschen zu verstehen ist und somit den Mythos erzählt, wie denn die Liebe in die Geschichte der Menschen kam, so ist die vertikale Architektur (V) der Relation von Gott (Oben) und dem für diese religiöse Erfahrung offenen Mensch (Unten) in Analogie zur Eltern-Kind-Beziehung zu verstehen. Nicht zufällig ist von »Vater unser« die Rede, womit bereits deutlich wird, wie die Identitätsbildung eines Uns als ein Wir sich an dieser Urerfahrung festmacht. Nicht zufällig erzählen andere Kulturen oder Kulturphasen die Geschichte von der Muttergöttin. Vater und Mutter verkörpern (wie das Symbol »Gott«) das Dritte168. Gemeint ist die soziale Repräsentation der gesellschaftlichen Normativität, die sich im Recht der politischen Ordnung niederschlagend zum Ausdruck bringt.

      Unter Achsendrehung (Ad) in Schaubild 4 als das große Ereignis in der Phylo- wie Ontogenese der Menschen ist nun als Kipp-Dreh-Effekt die Übertragung der Ur-Liebe auf den zwischenmenschlichen Raum zu verstehen. Es geht um die wechselseitige, besser noch: spiegelbildliche Ich-Du- und Du-Ich-Beziehung, die einen sozialen Zwischenraum (H) konstituiert. Damit wird der soziale Raum definiert, der nun zum dramatischen Schau- und Spielplatz verschiedener Modalitäten der Wechselbeziehungen (MdWb) werden kann. Das eigentliche Ziel ist das immer noch ausstehende »personale Zeitalter«169 und somit der Pfad in die Weltgeschichte zunehmender Personalisierung (P) als Telos des dramatischen Geschehens im Lichte einer Philosophie der Hoffnung. Wir wissen, dass die Geschichte bislang mehr als gemischter Natur war.

      Es kommt somit zur großen Weichenstellung (image Abb. 5). Der Mensch muss sich entscheiden, ob er den lichtdurchfluteten Pfad der Dominanz des Homo donans auf der Suche nach dem Guten, Wahren, Schönen oder den dunklen Pfad der Dominanz des Homo abyssus gehen will.

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      Abb. 5: Die große Weichenstellung, eigene Darstellung

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      Abb. 6: Die große Spaltung, eigene Darstellung

      Es geht um die Frage, was Liebe sei.176 Liebe ist nicht im kosmologischen Modus


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