Arbeits- und Tarifrecht. André Mangion
Arbeitsrechts umfasst wiederum sog. Allgemeine Arbeitsgesetze und Besondere Arbeitsgesetze. Zu den Allgemeinen Arbeitsgesetzen zählt man z. B. das BGB, das KSchG, das ArbZG, das ASiG oder das BUrlG. Diese Normen nennt man deswegen „allgemeine Arbeitsgesetze“, weil sie auf alle Arbeitsverhältnisse anzuwenden sind. Davon unterscheiden sich die sog. „besonderen Arbeitsgesetze“, die sich eben nicht auf alle, sondern nur auf spezielle Arbeitnehmergruppen beziehen. Hier wären beispielhaft das MuSchG, das JArbSchG, das SGB IX, das BBiG oder das ArbPlSchG zu nennen. Zu beachten ist allerdings, dass es in Deutschland eben nicht „das eine Arbeitsgesetz“ gibt, in dem alles rund um das Arbeitsverhältnis geregelt ist. Vielmehr ist einzelfallbezogen die Anwendbarkeit einer Vielzahl von Normen zu prüfen.
Rechtsverordnungen sind abstrakt-generelle Regelungen, die von der Exekutive, meist einem Bundes- oder Landesministerium, aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung erlassen werden. So werden in Rechtsverordnungen z. B. arbeitssicherheitstechnische Mindestanforderungen für Arbeitsstätten geregelt. Als Beispiel auch mit Bedeutung für den kommunalen Bereich könnte man hier die Arbeitsstättenverordnung anführen.
Tarifverträge sind Verträge zwischen tarifvertragsfähigen Parteien, meist Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden (siehe auch Kapitel 3, Kollektives Arbeitsrecht). Bedeutsam ist hier die Abgrenzung zu gesetzlichen Regelungen: Gesetze werden von den Parlamenten erlassen, Rechtsverordnungen aufgrund gesetzlicher Ermächtigungen von staatlichen Exekutivorganen erlassen und Tarifverträge zwischen mindestens zwei Parteien nach entsprechenden Verhandlungen vertraglich abgeschlossen. Unter bestimmten Umständen finden Tarifverträge auf der Arbeitnehmerseite nur auf Gewerkschaftsmitglieder, also auf Mitglieder einer tarifvertragsfähigen Partei, Anwendung. Die beiden Tarifverträge mit der größten Bedeutung für den öffentlichen Dienst in Deutschland heißen TVöD (mit Geltung für die Kommunen und den Bund) und TV-L (mit Geltung für die Beschäftigten der Länder).
Im Bereich des öffentlichen Dienstes können die Dienststellen in ihrer Arbeitgeberfunktion mit den jeweiligen Personalvertretungen (siehe auch Kapitel 4, Beteiligungspflichten) in Vertragsform Dienstvereinbarungen über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen
Der Arbeitsvertrag wird individuell zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geschlossen und regelt – unter Umständen ergänzt durch Tarifverträge oder Betriebs-/ Dienstvereinbarungen – verbindlich die gegenseitigen Rechte und Pflichten (siehe auch Kapitel 6, Begründung des Arbeitsvertrags).
Während der Arbeitsvertrag lediglich den rechtlichen Rahmen für die Leistungspflicht des Arbeitnehmers vorgibt, beinhaltet das Direktionsrecht das Recht des Arbeitgebers, die Arbeitsleistung des Beschäftigten nach Zeit, Ort und Art zu bestimmen. So gibt Ihnen Ihr Arbeitgeber sicherlich vor, in welchem Verwaltungsgebäude oder Ortsteil Ihrer Kommune Sie Ihre Arbeit zu verrichten haben. Meist wird Ihnen auch ein Arbeitszeitrahmen, z. B. werktäglich zwischen 06.00 und 19.00 Uhr, vorgegeben. Bekanntermaßen bestimmt der Arbeitgeber auch Art und Inhalt der von Ihnen auszuübenden Tätigkeit. So können Sie bei der täglichen Arbeitsaufnahme beispielsweise nicht frei wählen, ob Sie lieber Sozialhilfeanträge bearbeiten oder Ordnungsverfügungen formulieren möchten. Die Aufgabenzuweisung erfolgt – selbstverständlich im Rahmen der rechtlichen Grenzen – einzig durch den Arbeitgeber.
Angesichts der Vielzahl der oben beschriebenen Quellen mit arbeitsrechtlichen Regelungsinhalten mag man sich die berechtigte Frage stellen, nach welcher Systematik oder nach welcher Reihenfolge diese denn nun anzuwenden sind. Erfreulicherweise finden hier dieselben Regeln Anwendung, wie Sie sie bereits aus dem Fach „Methodik der Rechtsanwendung“ kennen: Das ranghöhere Recht geht dem rangniedrigeren Recht vor.
Diese Rangfolge der arbeitsrechtlichen Rechtsgrundlagen lässt sich als „Arbeitsrechtspyramide“ darstellen (s. o.).
2.4BESONDERHEIT DES „GÜNSTIGKEITSPRINZIPS“
Unter Kapitel 2.3 (u. a. „Normenpyramide“) haben Sie gelernt, dass die Regelungsinhalte einer höherrangigen Rechtsquelle eine zwingende Bindungswirkung für die rangniedrigeren Rechtsquellen entfaltet.
Das Günstigkeitsprinzip beschreibt nun eine Ausnahme von dieser Regel. Es besagt, dass die rangniedrigere Regelung entgegen der Normenhierarchie dann anwendbar ist, wenn sie für den Arbeitnehmer günstiger ausfällt. Es dient also dem Schutz des Arbeitnehmers.
Eine gesetzliche Regelung für das Günstigkeitsprinzip findet sich nur in § 4 Abs. 3 TVG und bezieht sich auf das Verhältnis von Tarifverträgen zu rangniedrigeren Rechtsquellen. Es ist aber von der Rechtsprechung für die Anwendung auf allen Ebenen des Arbeitsrechts anerkannt.
Anhand des folgenden Beispiels soll dies verdeutlich werden:
Der Bundesgesetzgeber hat in der Vorschrift des § 3 des Bundesurlaubsgesetzes für Arbeitnehmer einen Mindesturlaubsanspruch von 24 Werktagen pro Jahr (bei einer Sechstagewoche) festgelegt. Dies entspricht einer Dauer von vier Wochen.
In § 26 Abs. 1 TVöD haben die Tarifvertragsparteien für jedes Kalenderjahr einen Urlaubsanspruch von 30 Arbeitstagen (bei einer Fünftagewoche), somit einer Dauer von sechs Wochen, vereinbart.
Das Bundesurlaubsgesetz ist höherrangig als der TVöD, es enthält allerdings nur die Festlegung eines Mindestanspruchs, der – dem Günstigkeitsprinzip folgend – im Tarifvertrag für den Arbeitnehmer vorteilhafter gestaltet werden durfte.
FALL 2.3
Angenommen, ein Behördenleiter würde sich bei seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für deren außergewöhnlich gute Leistungen bedanken wollen, dürfte er ihnen dann einen über die Regelungen des Tarifvertrags hinausgehenden Urlaub gewähren, z. B. zwei Tage „Extra-Urlaub“?
Zumindest nach arbeitsrechtlichen Vorschriften wäre dies zulässig, denn die Arbeitnehmer würden durch diese Maßnahme ja begünstigt.
Als Faustformel für die Anwendung des Günstigkeitsprinzips kann man sich den Ausspruch „Der Großzügigkeit des Arbeitgebers sind keine Grenzen gesetzt“ einprägen.
3KOLLEKTIVES ARBEITSRECHT
3.1VERFASSUNGSRECHTLICHER AUFTRAG DES KOLLEKTIVEN ARBEITSRECHTS
Bevor die rechtliche Bedeutung und die Inhalte des kollektiven Arbeitsrechts dargestellt werden, ist zunächst eine Abgrenzung zum Individualarbeitsrecht geboten und sinnvoll. Aus dem Wortsinn des Substantivs „Individuum“ oder dem zugehörigen Adjektiv „individuell“ kann man ableiten, dass es sich bei dem „Individualarbeitsrecht“ um Rechtsbeziehungen zwischen Individuen, also zwischen Einzelnen, handelt. Ganz konkret geht es hier um die arbeitsvertraglichen Verhältnisse zwischen einem einzelnen Arbeitnehmer und einem einzelnen Arbeitgeber.
Demgegenüber beschäftigt sich das kollektive, also das gemeinschaftliche Arbeitsrecht, mit den Rechtsverhältnissen zwischen Gruppen von Arbeitnehmern und Gruppen von Arbeitgebern. Als Oberbegriff für beide Gruppen verwendet man im Arbeitsrecht das Wort „Koalition“. Eine Koalition ist laut Duden ein „Bündnis zur Durchsetzung gemeinsamer (politischer) Ziele“.
Die Zusammenschlüsse, also die Koalitionen von Arbeitnehmern zur Durchsetzung gemeinsamer Ziele, nennt man Gewerkschaften. Schließen sich hingegen mehrere Arbeitgeber zu Koalitionen zusammen, um ihre Interessen zu bündeln, so nennt man diese meist Arbeitgeberverbände.
Das Recht, sich zu Gewerkschaften oder Arbeitgeberverbänden zusammenzuschließen, nennt man Koalitionsfreiheit. Diese ist in Deutschland über Artikel 9 Abs. 3 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich geschützt. Das Koalitionsrecht ist ein selbstständiges