Musikergesundheit in der Praxis. Claudia Spahn

Musikergesundheit in der Praxis - Claudia Spahn


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Daumenbeugemuskels. Daumen und kleiner Finger haben meist durchgehende Sehnenscheiden, während die Beugesehnen der Finger II–IV im Bereich der Hohlhand keine Sehnenscheiden besitzen. Im Handgelenksbereich kann es durch mechanische Überbelastung zur Entzündung der Sehnenscheiden kommen, man spricht dann von einer Sehnenscheidenentzündung oder Tendovaginitis.

      Abb. I.9: Sehnenscheiden am rechten Handrücken

      Wie bereits oben dargestellt, erfolgen Bewegungen im Zusammenwirken mehrerer Muskeln in Muskelketten und Muskelschlingen. Hierbei kommen verschiedene Funktionseinheiten vor, die sich aus dem anatomischen Aufbau des Bewegungsapparates ableiten. Diese Funktionseinheiten finden sich in einer Vielzahl von Bewegungen wieder – sei es beim Musizieren, bei Alltagsbewegungen oder sportlichen Aktivitäten.

      Im Folgenden werden drei für die Musizierbewegungen besonders wichtige Funktionseinheiten beschrieben und ihre Relevanz für optimale und gesunde Bewegungsabläufe verdeutlicht. Den Ausgangspunkt bildet die Bewegungseinheit von Kopf, Wirbelsäule, Becken und unterer Extremität, da sie die Basis – Stehen und Sitzen – für jegliche Musizierbewegung darstellt. Hierauf aufbauend wird die Funktionseinheit Schultergürtel, Schultergelenk, Arm und Hand als zentrale Bewegungseinheit für das instrumentale Musizieren beschrieben. Als dritte Funktionseinheit werden die an der Ansatzbildung und Stimmproduktion beteiligten – für Bläser und Sänger besonders wichtigen – Strukturen und Organe Brustraum, Kehlkopf und Vokaltrakt vorgestellt.

      Die hier beschriebenen Grundprinzipien funktioneller Haltung und Bewegung beim Musizieren werden in Kap. II.6 »Instrumenten- und gesangsspezifische Prävention« auf das Spiel der einzelnen Instrumente sowie das Singen und Dirigieren angewandt. Gerade die im Folgenden besprochenen Grundpositionen Stehen und Sitzen, die Schultergürtel-Arm-Kette sowie Ansatzbildung und Atmung sind in ihrer Funktionalität für Instrumentalisten von zentraler Bedeutung für die Gesundheit. Ungünstige Bewegungsmuster stellen bedeutsame Ursachen für das bei Musikern häufigste Beschwerdebild – das Überlastungssyndrom (synonym auch als »Overuse Syndrom« oder »Repetitive Strain Injury« (RSI) bezeichnet) – dar (Kap. II.5).

      Bewegungen zu erkennen und zu beschreiben ist nicht einfach. Dies trifft gerade auf Musizierbewegungen zu, die grundsätzlich komplexe Abläufe darstellen und sich zudem während des Spielens je nach musikalischer Aufgabe verändern. Die individuellen Eigenschaften des Spielers – sein Körperbau, seine Art sich zu bewegen – und die spezifischen Eigenschaften des jeweiligen Instruments spielen zusätzlich eine große Rolle. Für das Verständnis der eigenen Spielbewegungen als Musiker und für die Beobachtung von Schülern im Instrumentalunterricht bietet die Beschreibung von Bewegungen nach der Einteilung in Körperachsen und Körperebenen eine wichtige Orientierung.

      Durch den Körper lassen sich in der Vorstellung drei Achsen legen, die zueinander senkrecht stehen (Abb. I.10): die Vertikalachse, die Horizontalachse und die Sagittalachse. Die Vertikalachse verläuft im Stehen von Kopf bis Fuß durch den Körper, d. h. senkrecht von oben nach unten. Die Horizontalachse geht von einem Ohr zum anderen, d. h. waagerecht von links nach rechts. Die Sagittalachse (lat. sagitta, »Pfeil«) bohrt sich wie ein Pfeil durch die Brust, d. h., sie verläuft von vorn nach hinten.

      Aus diesen Körperachsen lassen sich nun drei zugehörige Ebenen bilden: die Frontalebene (synonym Koronarebene), die Horizontalebene (synonym Transversalebene) und die Sagittalebene. Auch die drei Ebenen stehen senkrecht zueinander (Abb. I.10). Die Frontalebene steht wie eine Wandfläche vor dem Körper, die Horizontalebene verläuft waagerecht wie eine Tischplatte, die Sagittalebene »schneidet« den Körper von vorn nach hinten senkrecht durch.

      Abb. I.10: Bewegungsachsen und Ebenen des Körpers

      Körperachsen und Körperebenen beziehen sich immer auf den Körper selbst, d. h., der Körper nimmt die Achsen und Ebenen mit, wenn er sich im Raum bewegt. Es gibt wenige Bewegungen mit dem Instrument, die nur in einer Ebene um ihre dazugehörige Achse stattfinden. Ein Beispiel hierfür ist die Drehung (Rotation) des Oberkörpers nach links bei Flötisten. Sie findet um die Vertikalachse in der Horizontalebene statt (Abb. I.11).

      Abb. I.11: Beispiel für Drehung um die Vertikalachse bei einem Querflötisten

      Die meisten Bewegungen sind jedoch kombinierte Bewegungen um mehrere Achsen in verschiedenen Ebenen. Ein Beispiel hierfür ist die Bewegung des Bogenarms beim Geigenspiel auf der E-Saite (Abb. I.12). Die Bewegung lässt sich hauptsächlich als ein Anheben des rechten Oberarms in der Frontalebene um die Sagittalachse beschreiben. Allerdings bewegt sich der Arm dabei auch nach vorn in der Sagittalebene und um die Horizontalachse. Spielt die Geigerin auf der G-Saite, kommt noch eine Drehkomponente in der Horizontalebene hinzu (Abb. I.13). Wie dieses Beispiel zeigt, kann eine Bewegung sehr komplex sein. Hier unterstützt die systematische Beschreibung anhand der Körperachsen und Körperebenen die Wahrnehmung und die Beobachtungsgenauigkeit (vgl. Tab. I.1, S. 28).

      In der Unterrichtspraxis empfiehlt es sich, Spielbewegungen bei Schülern zunächst in jeder der drei Ebenen getrennt zu beobachten. Dies ermöglicht auch zu überprüfen, welche Folgen Bewegungsänderungen in einer Ebene auf die Bewegungsabläufe in den anderen Ebenen haben.

      Abb. I.12: Position des Bogenarms beim Spiel auf der E-Saite

      Wirbelsäule

      Die Wirbelsäule besteht aus 24 freien Wirbeln mit paarigen Wirbelgelenken (Abb. I.14) und ist mit ihrer doppelten s-förmigen Krümmung ein Meisterwerk an Bewegung, Federung und Stabilität. Bandscheiben zwischen den Wirbeln ermöglichen eine große Flexibilität, gleichen einwirkende Kräfte aus und wirken als Puffer gegen Stoßbelastungen (Abb. I.15).

      Von unten nach oben besteht die Wirbelsäule aus den vier zusammengewachsenen Wirbeln des Steißbeins und den fünf verschmolzenen Wirbeln des Kreuzbeins. Die Lendenwirbelsäule mit fünf Wirbeln weist die für sie typische physiologische Krümmung (sog. Lordose) auf. Im Anschluss an die Lendenwirbelsäule folgen zwölf Wirbel der Brustwirbelsäule, welche eine entgegengesetzte (sog. kyphotische) Krümmung zeigen. Daran schließt sich die Halswirbelsäule an, welche aus den sieben Halswirbeln gebildet wird und wiederum eine lordotische Krümmung besitzt (Abb. I.14).

      Betrachtet man die Wirbelsäule von hinten, so zeigt sie einen geraden Verlauf. Bei manchen Menschen besteht in einem oder mehreren Wirbelsäulenabschnitten jedoch eine seitliche Abweichung (Abb. I.16). Diese wird als Skoliose bezeichnet. Am häufigsten ist eine Skoliose im Bereich der Brustwirbelsäule nach rechts anzutreffen. Unterschiedlich hohe Schultern und das Abstehen eines Schulterblatts auf einer Seite können Hinweise sein auf eine funktionelle Skoliose. Diese Anzeichen sind auch für einen Instrumentalpädagogen beim Schüler leicht erkennbar. In einem solchen Fall sollte eine orthopädische Untersuchung erfolgen, um die Fehlhaltung richtig einzuordnen. Auf keinen Fall sollte der Schüler gezwungen werden, die hoch stehende Schulter nach unten zu drücken, da dies die Skoliose zusätzlich fixieren würde.

      Abb. I.13: Position des Bogenarms beim Spiel auf der G-Saite

      Abb. I.14: Aufbau der Wirbelsäule