Reisen und Entdeckungen im südlichen Afrika. David Livingstone
obschon er mich gar zu gern auf meinen Reisen begleitet hätte. Diese Gehässigkeit gegen ihn rührte nicht von Viehdiebstahl her, den er etwa begangen hätte, denn in der Tat gab nie irgendein Stamm der Betschuanen Veranlassung, dass man ihn dieses unter den Kaffern so gewöhnlichen Verbrechens beschuldigen konnte. Der Viehdiebstahl ist tatsächlich in dieser Gegend unbekannt, außer im wirklichen Krieg. Sein Unabhängigkeitssinn und seine Liebe zu den Engländern waren die einzigen Vergehen, die sie ihm zum Vorwurf machen konnten. Auf meiner letzten Reise zu den Boers gab er mir das Geleit bis an den Fluss Marikwe, schenkte mir hier zur Abreise noch zwei Diener, die nach seinen eigenen Worten »seine Arme sein sollten, um mir zu dienen«, und drückte sein Bedauern aus, dass er nicht selbst mit mir gehen könne. – »Gesetzt den Fall, wir zögen nordwärts«, sagte ich, »würdest du mit mir gehen?« Er erzählte mir nun die Geschichte, wie Sebituane ihm das Leben gerettet hatte, und erging sich in Lobsprüchen über den weit und breit gerühmten Edelmut dieses wirklich großen Mannes. Bei dieser Gelegenheit fasste ich zuerst den Plan, durch die Wüste nach dem Ngami-See zu reisen.
Bei diesem Anlass enthüllte sich noch weit mehr als bisher das hinterlistige Betragen der Boers, welche, durch einen abgeschickten Brief meine Entfernung aus dem Land hatten bezwecken wollen, sowie ihre wohlbekannte Politik, welche ich bereits geschildert habe. Als ich mit Hendrik Potgeiter von der Gefahr sprach, welche damit verbunden sei, wenn man diesen armen Wilden das Evangelium Jesu Christi vorenthalte, geriet er in einen großen Zorn und rief einen seiner Begleiter herbei, der mir antworten sollte. Er drohte jeden Stamm zu überfallen, der einen eingeborenen Lehrer aufnehmen würde, und doch versprach er seinen ganzen Einfluss aufzubieten, damit die seiner Herrschaft unterworfenen Stämme mir keine Hindernisse in den Weg legen könnten. Ich musste deutlich einsehen, dass in dieser Richtung nichts weiter mehr geschehen konnte; darum begann ich alle mögliche Auskunft über die Wüste einzuziehen, mit dem festen Vorsatz, falls es irgend tunlich wäre, durch dieselbe hindurchzureisen. Sekomi, der Häuptling der Bamangwato, kannte einen Weg dahin, den er aber sorgfältig geheim hielt, weil die Gegend am See ungemein reich an Elfenbein war und er große Massen davon auf sehr billige Weise bezog.
Setschele, welcher alles europäische Wesen sehr hoch schätzte und auf seine eigenen Interessen stets ein sehr scharfes Auge hatte, wünschte natürlich ebenfalls einen Teil an jenem einladenden und ergiebigen Feld zu bekommen. Auch wollte er gerne Sebituane besuchen, teils vielleicht in dem Wunsch, vor demselben mit seinen neuen Kenntnissen zu prunken, hauptsächlich aber, wie ich glaube, weil er sich sehr übertriebene Vorstellungen von den Wohltaten machte, die er von der Freigebigkeit dieses berühmten Häuptlings empfangen würde. Dem Alter und der Familie nach ist Setschele dem Sekomi überlegen, denn als der ursprüngliche Stamm sich in die Bamangwato, Bangwaketse und Bakuena teilte, behielten die Bakuena sich die erbliche Häuptlingswürde vor; ihr Häuptling Setschele besitzt daher gewisse Vorrechte vor Sekomi, dem Häuptling der Bamangwato. Wenn die beiden miteinander reisten oder jagten, so konnte Setschele von Rechts wegen die Köpfe des von Sekomi erlegten Wildes beanspruchen.
Außerdem sind noch mehrere Spuren von sehr alten Übereinkommen und Hoheitsrechten unter den Stämmen vorhanden. Der ältere Bruder von Setscheles Vater wurde blind und übergab die Häuptlingswürde Setscheles Vater. Die Nachkommen dieses Mannes bezahlen dem Setschele keinen Tribut, obschon er der eigentliche Herrscher ist und über dem Haupt dieser Familie steht, und Setschele, der doch in allen anderen Beziehungen unumschränkt und der Oberste ist, nennt ihn Kosi oder Häuptling. Die übrigen Stämme werden die ersten Kürbisse einer neuen Ernte niemals essen, bevor sie hören, dass die Bahurutse sie »angebissen« haben, und es findet bei dieser Gelegenheit eine öffentliche Zeremonie statt, bei der der Sohn des Häuptlings zuerst von der neuen Ernte kostet.
Setschele sandte auf meinen Rat Boten an Sekomi, um mir die Erlaubnis zu erbitten, dass ich den Weg durch sein Land einschlagen dürfe, und begleitete dieses Gesuch mit dem Geschenk eines Ochsen. Sekomis Mutter jedoch, welche einen großen Einfluss auf ihren Sohn ausübt, verweigerte die Genehmigung, weil ihre Geneigtheit nicht durch ein Geschenk erkauft worden war. Dies veranlasste eine neue Gesandtschaft, und der angesehenste Mann im ganzen Stamm der Bakuena nächst Setschele wurde mit einem Ochsen für Sekomi und seine Mutter abgeschickt. Allein auch dieser erhielt einen abschlägigen Bescheid. Es hieß: »Die Matebele, die Todfeinde der Betschuanen, wohnen in der Richtung des Sees, und sollten sie den weißen Mann erschlagen, so wird ein großer Hass von seiner Nation auf uns fallen.«
Die genaue Lage des Ngami-Sees war mindestens ein halbes Jahrhundert lang ganz richtig von denjenigen Eingeborenen nachgewiesen und bezeichnet worden, die ihn besucht hatten, als der Regen in der Wüste noch häufiger und reichlicher war als in neueren Zeiten. Man hatte auch viele Versuche gemacht, ihn auf dem Weg durch die Wüste in der bezeichneten Richtung zu erreichen; allein diese Versuche hatten sich als unmöglich ergeben, sogar für Griquas, denen man, da sie von Buschmännern abstammen, eine größere Fähigkeit, den Durst zu ertragen, zutrauen sollte. Es wurde uns daher klar, dass wir einen Erfolg nur dann erwarten könnten, wenn wir die Wüste umgingen, anstatt sie der Mitte nach zu durchschneiden. Die geeignetste Zeit zu einem derartigen Versuch wäre etwa um das Ende der Regenzeit, im März oder April, gewesen, wo wir wahrscheinlich Tümpel von Regenwasser angetroffen hätten, welche während des regenlosen Winters immer austrocknen. Ich teilte meine Ansicht einem afrikanischen Reisenden, dem Oberst Steele mit, welcher damals Adjutant des Marquis von Tweedale in Madras war, und er setzte davon zwei andere Herren in Kenntnis, deren Freundschaft wir uns während ihrer Reisen in Afrika erworben hatten, nämlich den Major Vardon und Oswell. Alle diese Herren waren so entzückt von der Jagd und den Entdeckungsreisen in Afrika, dass die beiden Erstgenannten den Letzteren sehr um das Glück beneidet haben mögen, welches ihm vergönnte, Indien zu verlassen, um von Neuem die Vergnügungen und Strapazen des Wüstenlebens anzutreten. Ich glaube, Oswell entsagte seiner hohen Stellung und kam unter sehr bedeutenden pekuniären Opfern in keiner anderen Absicht herüber, als um die Grenzen des geografischen Wissens auszudehnen. Bevor ich noch etwas von seiner Ankunft wusste, war ich mit den von Setschele gestellten Führern dahin übereingekommen, ihnen als Vergütung ihrer Dienste meinen Wagen zu borgen, um darin so viel Elfenbein mit nach Hause zu nehmen, wie sie sich von dem Häuptling am See verschaffen könnten. Als aber Oswell endlich anlangte und Murray mitbrachte, übernahm er es, sämtliche Kosten für die Führer zu tragen, und hat auch diese freigebige Absicht vollkommen durchgeführt.
Setschele selbst wäre gern mit uns gegangen; allein ich fürchtete, der so viel besprochene und angedrohte Überfall der Boers könnte während unserer Abwesenheit stattfinden und alsdann mich ein Vorwurf treffen, weil ich ihn mitgenommen hätte. Ich redete ihm daher diesen Einfall aus und stellte ihm vor, er wisse wohl, dass Oswell ebenso entschlossen sein würde wie er, durch die Wüste hindurchzudringen.
Ehe ich jedoch die Begebenheiten dieser Reise schildere, will ich eine kurze Beschreibung der großen Wüste Kalahari geben, damit der Leser sich einen Begriff von den Strapazen machen kann, welche wir zu bestehen hatten.
Die ganze Strecke von dem Orange-Fluss im Süden, unter 29° südlicher Breite, bis zum Ngami-See im Norden, und ungefähr von 24° östlicher Länge bis in die Nähe der Westküste, ist eine Wüste genannt worden, weil sie kein fließendes Wasser und nur sehr wenig Brunnen enthält. Dieser Landstrich entbehrt aber keineswegs des Pflanzenwuchses und der Bewohner, denn er ist mit Gras und einer großen Menge Schlingpflanzen bedeckt und weist überdies auch weite Strecken von Gebüsch und sogar von Bäumen auf. Er ist außerordentlich flach, aber an verschiedenen Teilen von den Betten früherer Flüsse durchschnitten; ungeheure Herden Antilopen, welche wenig oder gar kein Wasser benötigen, schweifen über diese pfadlosen Ebenen hin. Die Bewohner, Buschmänner und Bakalahari, stellen dem Wild und den zahllosen Nagetieren und kleineren Arten des Katzengeschlechts nach, welche sich von den Letzteren nähren. Der Boden ist im Allgemeinen hell gefärbter weicher Sand, beinahe reine Kieselerde. Die Betten der alten Flüsse enthalten viel Alluvialboden, und da dieser durch die glühende Sonnenhitze ganz ausgetrocknet wird, so bleibt das Regenwasser in einigen Tümpeln mehrere Monate des Jahres hindurch stehen.
Die Menge Gras, welche in dieser merkwürdigen Wüste wächst, ist überraschend sogar für diejenigen, welche Afrika genauer kennen. Das Gras sprosst gewöhnlich in Büscheln, mit kahlen Stellen dazwischen, oder die Zwischenräume werden von Schlingpflanzen eingenommen, deren Wurzeln tief unter dem Boden liegen