Kinderärztin Dr. Martens Staffel 3 – Arztroman. Britta Frey
Mann machte auf ihn einen sehr gepflegten Eindruck, und er sah gut aus, das mußte er selbst als Mann neidlos zugeben. Im Gesicht des sich nähernden Mannes machte er eine gewisse Ähnlichkeit mit Nils aus.
Kay fragte sich, was wohl der Grund dafür gewesen sein mochte, daß Madlons Ehe mit ihm zerbrochen war. Doch lange Zeit zum Überlegen hatte er nicht, denn wenig später klopfte es, und dann standen die beiden Männer sich gegenüber.
»Dr. Martens?«
»Ja, und Sie sind Herr van Enken, nicht wahr? Ich freue mich, daß Sie so rasch kommen konnten. Bitte, nehmen Sie Platz.«
Kay wies auf einen Besuchersessel und wartete, bis Guido Platz genommen hatte, dann setzte er sich ihm gegenüber.
»Ich bin so rasch wie möglich gekommen, Dr. Martens. Ich mache mir seit Ihrem Anruf verständlicherweise große Sorgen um meinen Jungen. Sagen Sie mir also bitte ohne Umschweife, was ihm fehlt.«
Wie schon Stunden zuvor Madlon, erklärte er Guido van Enken nun ebenso ausführlich wie vorsichtig, was die Auswertungen der Untersuchungen an Nils ergeben hatten.
Mit unnatürlicher ruhiger Stimme, aber kalkweißem Gesicht sagte Guido, als Kay geendet hatte:
»Das bedeutet also im schlimmsten Fall, daß Sie Nils das betroffene Bein amputieren müssen, wenn sich herausstellt, daß es sich um ein Spindelzellensardom handelt?«
»Nur dann, wenn sich schon Metastasen gebildet haben oder die Gefahr dahingehend besteht, Herr van Enken. Aber lassen Sie uns noch nicht so weit daran denken.«
»Doch, Herr Doktor, wir müssen daran denken. Ich weiß nicht, wie Madlon es verkraftet, wenn es wirklich soweit kommen sollte. Aber eines sollen Sie wissen. Wenn auch unsere Ehe zerbrochen ist, und zwar durch meine Schuld, so liebe ich Madlon trotzdem immer noch. Nein, sogar mehr als zuvor. Ich habe die Hoffnung nie aufgegeben, daß wir durch unseren Sohn wieder zusammenkommen könnten, und es zerreißt mir beinahe das Herz, wenn ich an die Krankheit von Nils denke, weil ich weiß, wie sehr Madlon ihn liebt. Wie hat sie Ihre Information denn aufgenommen?«
»Erwarten Sie darauf wirklich eine Antwort, nach dem, was Sie gerade über Ihre Beziehung zu Nils sagten?«
»Sie haben recht, es war eine dumme Frage. Ich kann mir vorstellen, wie Madlon zumute ist. Ist sie jetzt bei dem Jungen?«
»Ja, sie ist oben auf der Krankenstation. Wenn Sie hinaufgehen, lassen Sie sich von einer Schwester zu Nils’ Zimmer bringen. Reden Sie aber mit Ihrer Frau nach Möglichkeit nicht im Beisein des Jungen über dessen Erkrankung. Wir möchten Nils gern psychisch stabil halten, das ist für die Operation vorteilhafter, zu der ich im übrigen noch Ihre Einwilligung benötige.«
»Geht es denn nicht auch ohne Operation?«
»Nein, die Geschwulst muß in jedem Fall operativ entfernt werden. Ich möchte zunächst eine Gewebeprobe entnehmen, die wir im Pathologischen Institut in Lüneburg untersuchen lassen wollen. Wenn das Ergebnis dieser Untersuchung vorliegt, kann ich weiter entscheiden. Mehr kann ich im Augenblick nicht dazu sagen. Entschuldigen Sie mich jetzt bitte, ich habe noch viel zu tun.«
»Ja, sicher. Ich danke für die gründliche Aufklärung. Auf Wiedersehen.«
»Auf Wiedersehen, Herr van Enken.«
Kay atmete auf, als er wieder allein war. Da hatte dieser Mann doch von seiner Hoffnung gesprochen, sich wieder mit Madlon auszusöhnen, weil er sie noch immer liebe… Er aber liebte Madlon doch auch von ganzem Herzen. Er konnte nicht glauben, daß sie bereit wäre, die Scherben ihrer zerbrochenen Ehe zu kitten. Und Kinder waren nicht dazu da, um…
Ach was, unterbrach er seinen Gedankengang. Diese Entscheidung mußte Madlon ganz allein treffen. Was hatte er sich da einzumischen, wenn auch nur in Gedanken? Sie hatte ihn nur um Zeit gebeten, um ein wenig Abstand zu gewinnen, sich von ihrer Vergangenheit zu lösen.
Trotzdem bereitete ihm allein schon der Gedanke, daß sie sich doch gegen ihn und für ihren geschiedenen Mann entscheiden würde, fast körperliche Schmerzen.
Ein Anruf Schwester Margrets, der ihn dringend zur Intensivabteilung rief, lenkte ihn von seinen trübsinnigen Gedanken ab.
*
Nils war glücklich, die geliebte Mutti bei sich zu haben. Ihrem geduldigen und liebevollen Zureden war es zuzuschreiben, daß er sich nach erstem Aufbegehren darein schickte, noch in der Klinik zu bleiben. Ruhig lag er im Bett und hörte geduldig der weichen Stimme seiner Mutter zu, als sie ihm aus einem seiner Bücher vorlas.
So vertieft, überhörten beide das Klopfen an der Tür. Erst als die Tür sich öffnete, sah Nils hoch.
»Vati, Vati!« rief er glückstrahlend aus. »Daß du gekommen bist!«
Madlon zuckte erschrocken zusammen und fuhr herum.
»Hallo, mein Junge, du machst ja vielleicht Sachen. Ich kann doch da nicht so in meiner Wohnung herumsitzen, während du hier im Krankenhaus liegen mußt.«
»Ich freue mich ja so, daß du gekommen bist. Wer hat dir denn gesagt, daß ich hier bin? Mutti wollte dich doch erst heute abend anrufen.«
»Dr. Martens hat mich angerufen, Nils.«
»Ehrlich?«
»Wenn ich es doch sage.«
»Dann weißt du bestimmt auch schon, daß Dr. Martens mich vielleicht am Bein operieren muß.«
»Ja, das weiß ich auch schon. Aber darüber reden wir auch noch. Jetzt muß ich etwas mit Mutti besprechen. Es ist dir doch recht, Madlon?«
Fragend sah er sie an, und sie nickte wortlos.
»Gibt es hier im Haus eine Ecke, in der wir uns ungestört unterhalten können?«
Madlon hatte ihre Sprache wiedergefunden. Sie antwortete:
»Ja, wir können in die Kantine gehen. Mir würde eine Tasse Kaffee ganz guttun. Für ein Viertelstündchen wird Nils sich schon allein beschäftigen, hab ich recht?«
»Ja, Mutti, aber bitte, kommt alle beide wieder zurück.«
»Klar, schon versprochen«, sagte Guido schnell, noch ehe Madlon etwas einwenden konnte. »Ich habe den weiten Weg ja schließlich nicht gemacht, um dir nur eben guten Tag zu sagen. Also, halt die Ohren steif, bis gleich.«
Nils sah weder im Gesicht seiner Mutter noch in dem des Vaters den versteckten Ernst und die Unruhe. Für ihn war in diesen Minuten nur von Bedeutung, daß sein Vati und seine Mutti sich unterhalten wollten. Das hatten sie schon lange Zeit nicht getan. Und wenn sie doch einmal einige Worte am Telefon gewechselt hatten, war das stets in Streit ausgeartet.
Mit leuchtenden Augen sah Nils den beiden nach, als sie sein Krankenzimmer verließen. Hoffnung keimte in ihm auf. Vielleicht würden die beiden sich ja wieder vertragen. Ja, er wollte doch so gern alle beide wieder um sich haben und seinen Vati nicht nur einmal in der Woche besuchen dürfen.
Die Gedanken des dreizehnjährigen Jungen gingen in die Vergangenheit zurück. Er konnte sich noch gut an die Zeit erinnern, zu der sein Vati zum Dienst gekommen war und sie immer Fußball gespielt hatten. Überhaupt, er hatte immer mit all seinen Sorgen zu ihm gehen können, hatte immer Verständnis erwarten können.
Damals war auch seine Mutti immer lieb zu ihm gewesen, und sie war immer fröhlich gewesen. Gut, heute war sie auch lieb zu ihm aber auch oft traurig, und sie war eben eine Frau. Sein Vati war sein großer Freund gewesen, das war er heute zwar auch noch, aber leider war er für ihn nur einmal in der Woche erreichbar.
So hing der Junge in Gedanken seinen Wunschträumen nach, und die beiden Menschen, um die sich seine Gedanken drehten, saßen sich in diesen Minuten in der Kantine gegenüber.
»Ich weiß, daß dir meine Anwesenheit alles andere als angenehm ist«, sagte Guido. »Aber nach dem Anruf von Dr. Martens hielt mich nichts mehr in Celle. Ich mußte mit dem Arzt sprechen und Nils sehen. Wir sollten jetzt zuerst nur an den Jungen denken. Bitte, laß uns nicht als Feinde gegenübersitzen.«