Kinderärztin Dr. Martens Staffel 3 – Arztroman. Britta Frey
Ausgang zustrebte. Diese Mutter hatte der Unfall ihrer Tochter hart getroffen.
Solche Situationen erlebte Hanna häufiger, nur war sie in diesem Fall sehr zuversichtlich, daß Ina wieder gesund werden würde, wie das leider in manchen Krankheitsfällen nicht war.
Sie wandte sich ab und ging hinauf zur Krankenabteilung, um die verspätete Visite nachzuholen. Sie mußte an Kay und seinen überraschenden Besuch denken. Was mochte diese junge Frau wohl von ihrem Bruder gewollt haben?
*
Den Rest des Samstags und den ganzen Sonntag über hatte Madlon ihren Jungen ganz bewußt beobachtet. Dabei fiel ihr zum wiederholten Mal auf, daß er müde und hinfällig wirkte. Unter seinen Augen hatten sich bläuliche Schatten gebildet, die sie sonst an ihm nicht kannte. Große Sorgen bereitete es ihr auch, daß sein Appetit sehr gering war, obwohl sie ihm doch seine Lieblingsspeisen zubereitet hatte. Sie stellte besorgt fest, daß er nur lustlos darin herumstocherte.
Erneut und viel deutlicher merkte sie, daß Nils tatsächlich sein linkes Bein leicht nachzog. Das steigerte ihre Angst um ihn beträchtlich.
Sie wartete am Montagmorgen bis nach dem Frühstück, zu dem Nils wieder nur ein Glas Milch trank, und sagte dann zu ihm:
»Wir werden uns gleich auf den Weg machen und zu einem Arzt fahren, Nils. So kann und darf es mit dir nicht weitergehen. Ich werde dafür sorgen, daß du sehr gründlich untersucht wirst. Wir fahren zu Herrn Dr. Martens in die Kinderklinik Birkenhain. Er ist ein guter Arzt, und du kennst ihn ja schon aus unserem Urlaub. Er wird schon herausfinden, was mit dir los ist.«
»Ich will aber nicht in eine Klinik, Mutti, und zu Dr. Martens schon mal gar nicht.«
»Du hast überhaupt gar nichts zu wollen, mein Kind. Wir fahren jetzt, und von dir möchte ich dazu gar keinen Kommentar mehr hören, hast du mich verstanden? Dr. Martens hat dir ja wohl schon bewiesen, daß er dich mag. Denk daran, daß er dir dein Leben gerettet hat. Ich erwarte von dir, daß du dich jetzt endlich mal vernünftig benimmst. Außerdem habe ich Vati versprochen, daß ich mit dir zu einem Arzt fahre.«
»Ich sag ja schon nichts mehr, Mutti, aber…«
»Kein Aber, Nils. Ich packe gleich Wäsche und Nachtzeug für dich zusammen, denn es könnte ja möglich sein, daß man dich für ein paar Tage zur Beobachtung in der Klinik behalten möchte. Also, in einer Viertelstunde fahren wir. Es ist ja knapp eine Stunde Fahrzeit bis nach Ögela.«
Nils gab seiner Mutter nichts mehr zurück, sondern trottete mit gesenktem Kopf nach oben in sein Zimmer.
Kopfschüttelnd sah Madlon ihrem Jungen nach. Gerade wollte sie ihm folgen, um die Tasche für ihn zu packen, als lautes Gepolter sie zusammenzucken ließ.
Die Schrecksekunde war schnell vorüber, und sie hastete los, um zu sehen, was vorgefallen war. Sie bekam noch mit, daß Nils sich mühsam aufrappelte.
»Um Gottes willen, Kind, was ist denn passiert?« kam es entsetzt über ihre Lippen, und schon war sie an seiner Seite.
»Hast du dir weh getan?«
»Es war schon wieder mein verflixtes Bein, Mutti, genau wie am Samstag, als ich mit Vati unterwegs war. Was ist das denn bloß mit meinem Knie, Mutti? Es ist so komisch schwer. Aber es tut gar nicht weh. Mutti, ich habe auf einmal solche Angst.«
»Du mußt keine Angst haben, Nils. Doch du siehst jetzt sicher ein, daß wir keine Zeit mehr verlieren dürfen. Komm, setz dich ins Wohnzimmer. Du läufst mir keinen einzigen Schritt mehr allein.«
Widerstandslos ließ Nils sich ins Wohnzimmer führen, wo seine Mutter ihn mit sanfter Gewalt in einen Sessel drückte.
»So, und hier bleibst du jetzt, bis ich wiederkomme. Ich werde mich beeilen, damit wir schnellstens fahren können. Soll ich dir noch etwas aus deinem Zimmer mit runterbringen? Vielleicht ein paar Bücher?«
»Nein, Mutti, ich brauche nichts, ich fahre bestimmt wieder mit dir zurück.«
»Nun, wir werden sehen. Aber wenn du nichts mitnehmen willst, gut.«
Madlon ging schnell nach oben und beeilte sich, Nils’ Sachen zusammenzupacken. Obwohl er nicht gewollt hatte, packte sie ihm doch vorsichtshalber zwei von seinen Jugendbüchern in die Tasche und brachte sie anschließend schon einmal in ihren Wagen.
Danach sorgte sie dafür, daß Nils bequem im Auto saß, und schon machte sie sich auf den Weg.
Je näher Madlon ihrem Ziel kam, um so heftiger begann ihr Herz zu pochen. Was würde Kay denken, wenn sie so unverhofft vor ihm stand? Hatte sie zu lange damit gewartet, sich bei ihm zu melden? Oder war sie für ihn vielleicht nur eine Urlaubsbekanntschaft, die er längst wieder vergessen hatte?
Wie viele unbeantwortete Fragen ihr doch durch den Kopf gingen.
Sie warf einen Blick in den Rückspiegel auf das blasse Gesicht ihres Sohnes und wurde wieder ruhiger.
Ganz gleich, wie ihre und Kays Gefühle auch immer aussahen, sie mußten zurückstehen, denn ihre Sorgen um Nils nahmen die erste Stelle in ihrem Herzen ein. Nur um Nils ging es jetzt, und alles andere war dagegen so banal und unwichtig.
Mit diesen Gedanken beschäftigt, erreichte sie schließlich ihr Ziel, die Kinderklinik Birkenhain.
Schon vor der hohen Eingangstür fragte Nils drängend:
»Müssen wir denn wirklich hier hineingehen, Mutti? Können wir nicht zu einem anderen Arzt einfach in eine Praxis fahren?«
»Geh, Nils, benimm dich doch nicht kindisch. Jetzt sind wir einmal hier und werden auch bestimmt nicht wieder umkehren. Sei vernünftig und nimm dich zusammen. Wenn ich bei dir bin, brauchst du keine Angst zu haben.«
Sie legte einen Arm um die schmalen Schultern ihres Sohnes, und mit leichtem Druck schob sie ihn weiter. Sie ging mit Nils zum Aufnahmeschalter und bat:
»Kann ich den Chefarzt Dr. Martens sprechen? Mein Name ist van Enken.«
»Es tut mir leid, Frau van Enken, im Augenblick ist Dr. Martens verhindert. Er befindet sich mitten in einer schwierigen Operation. Wenn Sie warten wollen?«
»Ja, ich warte, denn es geht um meinen Jungen. Sagen Sie Herrn Dr. Martens bitte Bescheid, wenn die Operation vorüber ist?«
»Selbstverständlich. Bitte nehmen Sie so lange dort drüben in der Besucherecke Platz. Die Kantine steht Ihnen auch zur Verfügung, falls Sie sich die Wartezeit mit einem Imbiß oder eine Tasse Kaffee verkürzen wollen.«
»Danke, im Augenblick nicht«, antwortete Madlon freundlich lächelnd.
Sie steuerte mit Nils auf die Besucherecke zu, und sie nahmen in den bequemen Sesseln Platz. Es begann ein zermürbendes Warten.
*
Nachdem Kay von Martin Schriewers gehört hatte, wer ihn da so unverhofft zu sprechen wünschte, begann sein Herz unvernünftig schnell zu schlagen. Endlich würde er die heimlich geliebte Frau wiedersehen. Im ersten Augenblick war es für ihn zweitrangig, daß Madlon Nils mit nach Ögela gebracht hatte.
Konnte es sein, daß sie ihm die so sehnlich erwartete Antwort brachte?
Als es Augenblicke später zaghaft an die Tür seines Sprechzimmers klopfte, rief er mit belegter Stimme: »Herein.«
Die Tür öffnete sich und Madlon, nach der er sich so sehr gesehnt hatte, trat ein. Wie verzaubert starrte er sie an. Sie war noch schöner, als er sie in Erinnerung behalten hatte.
Doch bevor er etwas sagen konnte, kam ihm zum Bewußtsein, daß sie ja nicht allein gekommen war. Nils stand neben ihr, und er glaubte in seinen Augen so etwas wie Feindseligkeit sehen zu können.
»Guten Tag, Kay. Hast du etwas Zeit für uns?« fragte Madlon auch schon mit ihrer dunklen liebenswerten Stimme.
»Guten Tag, Madlon, guten Tag, Nils.«
Mit ausgestreckter Hand ging er auf sie zu. Er reichte beiden die Hand und entgegnete:
»Ich