Der Bergpfarrer Staffel 20 – Heimatroman. Toni Waidacher
Und das durfte auf keinen Fall geschehen!
Karsten erreichte den Hof und parkte seinen Wagen vor dem Haus, wo auch Michaelas Auto stand.
Als er jetzt ausstieg, kam Michaela gerade aus dem Haus gelaufen.
»Was willst d’ hier?«, fragte sie schroff. Sie hatte ihre Jacke an und hielt den Autoschlüssel in der Hand, was darauf hindeutete, dass sie noch weg wollte.
Karsten schenkte ihr trotz der unfreundlichen Begrüßung ein Lächeln. »Ich wollt’ mich noch einmal mit dir unterhalten, Michaela«, sagte er. »Ich denk’, es gibt da noch einiges zu bereden. Wegen dem Kuss neulich, aber auch wegen…«
»Vergiss den Kuss!«, fiel sie ihm ins Wort. »Das Ganze ist für mich nie passiert, hörst du?«
»Ich will dem ja auch keine große Bedeutung beimessen«, erwiderte Karsten, »aber ich möchte dir wenigstens erklären, wieso ich…«
»Deine Erklärungen kannst d’ dir sparen!«, fuhr sie ihn an. »Ich will nix davon hören!«
Karsten seufzte. Er konnte sich einfach nicht erklären, wieso Michaela derart abweisend zu ihm war. »Dann lass uns wenigstens über dein Vorhaben reden, den Hof jetzt doch zu verkaufen, wenn auch nicht an mich.«
Sie kniff die Augen zusammen. »Woher weißt du davon?«
»Das spielt doch jetzt keine Rolle.« Karsten machte eine abwinkende Handbewegung. »Viel wichtiger ist doch jetzt, warum…«
Doch sie wollte ihn einfach nicht anhören. »Schluss jetzt damit!«, unterbrach sie ihn erneut. »Ich habe keine Lust, mich länger mit einem Lügner wie dir zu unterhalten. Ich hab’ keine Zeit mehr, ich bin mit einer Freundin verabredet. Außerdem will ich mich auch gar net weiter mit dir abgeben. Also lass mich g’fälligst in Ruh’, hörst d’? Jetzt und in Zukunft. Ich will nix mehr mit dir zu schaffen haben!«
Mit diesen Worten stieg sie in ihren Wagen und knallte die Tür hinter sich zu. Ehe Karsten noch irgendwie reagieren konnte, ließ sie den Motor anspringen und fuhr davon.
*
Nur mühsam konnte Michaela die Tränen zurückhalten, während sie fuhr. Jetzt war sie gar nicht mehr so recht in Stimmung, sich mit ihrer alten Schulfreundin zu treffen, die sie seit Jahren nicht gesehen hatte. Erst am Mittag waren sie sich im Ort begegnet und hatten direkt etwas ausgemacht, um mal in aller Ruhe ein wenig zu plaudern.
Und gerade, als sie losfahren wollte, tauchte Karsten auf und verdarb ihr die Laune.
Michaela war sich im Klaren darüber, dass sie ihn ziemlich schroff abgefertigt hatte. Aber war das ein Wunder? Schließlich hatte er sie die ganze Zeit über belogen, hatte mit ihren Gefühlen gespielt und selbige durcheinander gebracht. Und das alles nur, um sie weichzuklopfen, damit sie den Hof an seinen Chef verkaufte.
Niemals hätte Michaela sich dazu hinreißen lassen, ihn zu küssen, wenn sie gewusst hätte, dass er mit einer anderen Frau zusammen war.
Warum hab’ ich ihn eigentlich net mit den Tatsachen konfrontiert?, fragte sie sich. Ich hätte ihm sagen können, dass ich ihn mit seiner Flamme gesehen hab’.
Aber gleich darauf verwarf sie den Gedanken wieder. Was hätte das schon gebracht? Da war es doch viel angebrachter, ihn über die Frage, warum sie sich ihm gegenüber nun derart verhielt, im Ungewissen zu lassen.
Noch immer konnte Michaela nicht fassen, was in der letzten Zeit passiert war und wie schamlos
Karsten sie hintergangen hatte. Nie wäre sie darauf gekommen, dass er und diese Silvia Leutner ein Paar waren. Und dennoch in geschäftlicher Hinsicht Konkurrenten… Allzu häufig gab es so etwas wahrscheinlich auch nicht.
Michaela schüttelte den Kopf. Sie wollte jetzt nicht mehr weiter darüber nachdenken. Die Ereignisse der letzten Zeit hatten sie ohnehin schon ganz durcheinander gebracht. Was sie jetzt dringend brauchte, war ein bisschen Ablenkung.
Und sie hoffte, dass ihr das Treffen mit ihrer alten Freundin genau dazu verhelfen konnte.
*
Niedergeschlagen trat Karsten den Weg zurück zur Pension an. Er konnte sich einfach nicht erklären, wieso Michaela derart abweisend zu ihm war. Was hatte er verbrochen, dass sie sich ihm gegenüber so verhielt?
Karsten wusste es nicht, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass es dabei nur um sein Verhalten nach dem Kuss ging. Da musste noch etwas anderes dahinterstecken, bloß was?
Gerade, als er die Pension erreichte, in der er untergekommen war, meldete sich sein Handy.
Karsten fischte es aus seiner Tasche, und nach einem Blick auf das Display erhellte seine Miene sich. Bei dem Anrufer handelte es sich nämlich um Tom Westhofen, einen alten Studienfreund.
Karsten hatte ihn nach dem Gespräch mit Pfarrer Trenker angerufen, weil er vor einiger Zeit mal gehört hatte, was Tom inzwischen beruflich machte, und da war ihm sofort die Idee gekommen, dass er ihm bei seinem Vorhaben vielleicht helfen könnte.
Leider aber war Tom nicht erreichbar gewesen, und so hatte Karsten ihm nur eine Nachricht hinterlassen können.
Jetzt endlich meldete er sich also.
*
Karstens Finger zitterten vor Aufregung, als er das Gespräch annahm.
»Tom, alter Kumpel, wie geht’s dir denn?«, begrüßte er seinen alten Freund.
Auch Tom war anzumerken, dass er sich freute, mal wieder etwas von einem alten Freund zu hören. »Aber jetzt sag’ erst einmal, was dir auf dem Herzen liegt, Karsten«, sagte er schließlich. »Deine Nachricht hat sich ja wirklich dringend angehört.«
»Es ist auch dringend«, bestätigte Karsten. »Also, hör zu, es geht um Folgendes…«
In knappen Worten schilderte er sein Anliegen. Er war richtig aufgeregt und hoffte inständig, dass sein Freund ihm würde weiterhelfen können.
Nachdem Karsten geendet hatte, dachte Tom kurz nach, dann sagte er: »Ich denke tatsächlich, dass ich da etwas für euch tun kann.«
Karsten fiel ein Stein vom Herzen. »Ist das dein Ernst? Das wäre ja großartig!«
»Wir sollten uns auf jeden Fall zusammensetzen. Weißt du, wo ich inzwischen wohne?«
»Ja«, Karsten nickte, »das ist gar nicht weit von dem Ort, in dem ich mich im Moment aufhalte. Vielleicht anderthalb Stunden Fahrt. Wenn’s dir recht ist, könnt’ ich gleich morgen Vormittag bei dir aufkreuzen. Es ist nämlich wirklich sehr eilig.«
»In Ordnung, bis morgen also.«
Karsten beendete das Gespräch und atmete tief durch. Wie es aussah, konnte es gut sein, dass der Plan, den er zusammen mit Pfarrer Trenker ausgetüftelt hatte, tatsächlich realisierbar war.
Jetzt kam es nur darauf an, dass die ganze Angelegenheit möglichst schnell über die Bühne ging.
*
Als Michaela am nächsten Morgen recht früh vom Schrillen ihres Weckers aus dem Schlaf gerissen wurde, fühlte sie sich völlig erschöpft.
Gähnend kroch sie aus dem Bett und trottete ins Bad.
Als sie dort in den Spiegel blickte, zuckte sie regelrecht zusammen. Mein Gott, dachte sie, ich schau ja fürchterlich aus. Aber das ist ja auch kein Wunder. Nach der Nacht…
Tatsächlich hatte sie vergangene Nacht nur sehr wenig geschlafen. Nachdem das Treffen mit ihrer alten Freundin Vroni doch länger gedauert hatte als erwartet, war Michaela erst recht spät ins Bett gekommen. Und da hatte sie dann kein Auge zugekriegt, weil ihr einfach zu viele Gedanken durch den Kopf gegangen waren.
Sie hatte Vroni gestern ihr Herz ausgeschüttet und über alles mit ihr gesprochen. Vroni tat es natürlich sehr leid, dass es so schlecht um den Hof stand, sie hatte aber auch gemeint, dass alles besser war als eine Zwangsversteigerung, bei der Michaelas Vater am schlechtesten