Esmeraldas Geheimnis. Karoline Toso
Gatten vertrieb. Noch nie hatte sie sich danach gesehnt, von einem Mann in die Arme genommen zu werden. Es hatte einfach keine Zeit dafür gegeben, auch keinen Mann, mit dem sie es sich gewünscht hätte. Nun aber ergriff sie eine Leidenschaft, die ihr fast den Atem raubte. Wie brennender Durst rührte sich Verlangen in ihr. Etwas taumelnd erhob sie sich. Im Morgengrauen durfte sie sich als Frau allein hinauswagen, durfte frei durchatmen. Das arbeitende Volk draußen vermittelte Sicherheit. Sie musste hinaus, suchte Bewegung und den weiten Himmel über sich, um nicht in den lodernden Gedanken zu verbrennen. In zartem Licht erstrahlte die Landschaft. Alle Wege lagen im Nebel, hinter den Häusern wallte es weiß über den Feldern. Jeder Schritt erfrischte sie mehr, das zarte rosa Band am Himmel schien ihr zuzulächeln. Furcht löste sich wie Nebel in der Sonne auf, Sehnsucht beflügelte sie.
Kapitel 3
U
ngewohnt aufgewühlt eilte Madame Veronique de Valois in den kleinen Empfangssaal und begutachtete persönlich, was alles vorbereitet worden war. Duc Raphael wunderte sich über die Aufregung seiner Mutter, denn ein paar Honoratioren aus Chartres, ein langjähriger Freund aus Valencia und ein Marquis, welcher seine Burg verkaufen wollte, bedeuteten keinen großen Empfang. Er fragte sich auch, wo Julien de Bonarbre blieb, der sonst gewissenhaft und pünktlich war.
»Ist denn Eure Gemahlin auch bereit für die Gäste? Hat sie den Schmuck Eurer Vermählung angelegt und die Perlen besetzte Ehehaube? Hat die Zofe Anweisung, auf keinen Fall die Prinzessin wie einen Wirbelwind durch die Räume fegen zu lassen? Bei aller Liebe, aber die Familie Jardinverde ist äußerst gebildet und verkehrt gewöhnlich in höchsten Kreisen. Ich möchte, dass sich diese Leute gerne hier ansiedeln. Mit etwas Glück folgen weitere Händler, die aus Chartres einen reichen Umschlagplatz für Waren aus dem Orient machen könnten. Ruben Jardinverde ist eigens für die Begutachtung der Burg und für Verhandlungen angereist und heute unser Ehrengast.«
»Die Universität samt der Druckerei scheinen mir für Chartres wichtiger zu sein als der Handel mit fast unerschwinglichen Stoffen«, erwiderte Raphael.
»Ihr macht Euch keine Gedanken darüber, woher unser Reichtum stammt, der allerdings in den letzten Jahren zunehmend schrumpft. Eure Milde kleinen Bauern und den Zünften gegenüber wird noch unser Ruin sein. Wenn es so weitergeht, müssen wir dringend eine reiche Vermählung Eurer Tochter in die Wege leiten.«
»Madame! Ihr beliebt zu scherzen!«
»Wacht auf, Raphael! Das Leben ist nichts weiter als ein guter Handel. Sorgt für eine gediegene, christliche Ausbildung Claudines. Ich habe die Kleine wahrlich in mein Herz geschlossen, das könnt Ihr mir glauben. Sie zaubert jedem, der ihr begegnet, ein Lächeln ins Gesicht, jedoch ist ihr Benehmen in höchstem Maße unziemlich. Sie sollte bald schon einem Kloster anvertraut werden.«
Der Gedanke, das aufgeweckte Töchterchen strenger Ordensobhut zu überlassen, erschütterte Raphael. So schwer es ihm auch fiel, seiner Mutter zu widersprechen, erwiderte er mit klarer Deutlichkeit: »Meine Tochter wird täglich von einer strengen Nonne unterrichtet. Claudine beherrscht bereits das Lesen und sogar ein wenig das Schreiben. Als ihr Vater habe ich den Wunsch, mich täglich ihrer Gegenwart zu erfreuen, Madame. Jede weitere Überlegung bezüglich ihrer Ausbildung obliegt mir und meiner Gemahlin, denn ich bin es müde, dies ständig mit Euch zu erörtern, bei allem gebührenden Respekt!«
Madame Veronique war wie vor den Kopf gestoßen. Sie musste sich etwas sammeln, doch als hätten die Worte des Vaters das Kind herbeigelockt, hörte man sein helles Rufen auf den weitläufigen Gängen: »Ich muss meinen Gott begrüßen. Schwester Maria Pilar kann mir ihre langweiligen Erklärungen ja auch bei der Linde erzählen!«
»Aber Mademoiselle! Ich bitte Euch! Zieht wenigstens Schuhe an!«
Das war Anouks Stimme. Raphael schmunzelte, doch Madame Veronique schüttelte den Kopf.
»Seht Ihr? Das meine ich.«
»Unsere Claudine betet eben gerne im Freien, in Gottes Schöpfung, dagegen ist doch nichts einzuwenden.«
»Und bei der heiligen Messe kann sie keinen Augenblick ruhig sitzen. Nein, nein, je früher das Kind eine ordentliche christliche Erziehung erhält, desto besser!«
Lächelnd lehnte Julien de Bonarbre am hinteren Tor des Schlosses, durch das man auf die Wiese und zur großen Linde gelangte. Er hatte so eine Ahnung, Claudine an diesem Morgen hier anzutreffen. Schon sauste sie an ihm vorbei. Anouk wunderte sich, den Baron hier zu treffen, und grüßte mit einem tiefen Knicks. Er nickte freundlich. Das Kind wandte sich um. Erst jetzt registrierte auch sie den Baron.
»Komm!«, rief es und winkte ihn heran. Er näherte sich und legte wie Claudine und Anouk seine Hände auf den Stamm der Linde. Als Claudine die Augen schloss, war ihm, als zwitscherten die Vögel noch vielfältiger, als duftete die Linde noch süßer. Tief atmete er ein und seufzend wieder aus.
»Nicht wahr, Baron de Bonarbre? Das ist ein schöner Morgengruß.«
»Ja, mein Kind, wirklich schön. Schade, dass ich nicht länger bleiben kann, aber dir und Anouk wünsche ich noch viel Freude hier.«
»Wir müssen auch hinauf in den Unterricht«, antwortete Anouk.
Glücklich über diese Begegnung ging er in den kleinen Empfangssaal. Eine geraume Weile später betrat auch Madame Agnès den Saal.
»Guten Morgen, Madame!«, sie knickste tief und senkte das Haupt vor ihrer Schwiegermutter.
»Guten Morgen, meine Liebe.«
Kurz zuvor hatte sich die junge Duchesse im Studierraum von Claudine verabschiedet, weil der Empfang wohl den ganzen restlichen Tag in Anspruch nehmen würde. Das Morgenmahl zu dritt im eigenen Gemach einzunehmen hatte allerdings Spaß gemacht. Anouk, Claudine und Agnès hockten rund um ein Tuch am Boden, tranken warme Milch und aßen Brot, während Dienerinnen emsig den Zuber im Nebenraum mit heißem Wasser füllten. Die junge Duchesse mit Tochter und Zofe am Boden sitzen zu sehen erstaunte sie.
»Wir spielen Zigeuner, die essen auch auf dem Boden«, erklärte ihnen die Prinzessin.
»Aber Mademoiselle, woher wollt Ihr denn wissen, wie Zigeuner essen?«, fragte Anouk. Die Mägde im Nebenraum kicherten verhalten.
»Maman hat es mir erzählt«, sagte Claudine ungerührt. Anouk errötete.
»Nur keine Sorge, das Kind sagt die Wahrheit. Ich habe es von den Nonnen im Kloster erfahren«, erklärte die Duchesse.
»Und die wussten darüber Bescheid?«
»Warum nicht, sie waren schließlich nicht immer Nonnen.«
Doch bald wurde es Zeit, Madame Agnès auf den Empfang vorzubereiten. Allein das Bad im Zuber, die Frisur und das prächtige Gewand nahmen fast drei Stunden in Anspruch. Drei Dienerinnen bemühten sich um den feierlichen Auftritt der Duchesse, die sich mit der kostbaren Ehehaube, dem Seidenschleier und den Brokatgewändern unbeweglich und beladen fühlte.
»Ich wünsche dir einen schönen Tag, mein Herz. Schade, dass wir uns erst am Abend wiedersehen«, sagte sie, als sie während des Unterrichts nach Claudine sah. Die Nonne erstarrte über diese unerwartete Unterbrechung.
»Du schaust schön aus, Maman, aber fremd«, fand Claudine.
»So fühle ich mich auch in dem Gewand«, lachte Agnès fröhlich.
Der kleine Empfangssaal war prächtig geschmückt. Bei geöffneten Fenstern strahlte die Vormittagssonne golden auf die selten ausgelegten Teppiche. Blumen leuchteten bunt in kostbaren Vasen auf dem großen Tisch und den Anrichten. Schwere Sessel standen reihum. Kristallkaraffen und Gläser, dazu kleine Käsestücke, Olivenbrot, Trockenfrüchte und Nüsse auf zart bemalten Tellern luden ein, sich zu bedienen, wobei edel livrierte Diener diskret einschenken würden, wann auch immer jemand nach einem Glas griff. Was diesen Raum besonders auszeichnete, waren kunstvolle Schnitzereien an der Decke, den Holzverkleidungen und den Fensterrahmen. Ahornblatt- und Blumenornamente rankten sich ineinander, an den Fenstern zudem schillernde Perlmutteinlegearbeiten;