Esmeraldas Geheimnis. Karoline Toso

Esmeraldas Geheimnis - Karoline Toso


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hier kann unser Kind frei heranwachsen. Das würde ich niemals aufs Spiel setzen, indem ich einen anderen als Euch in meine Arme schließe.«

      Agnès legte das Ohr auf sein Herz.

      »Wie schön, dass es dich gibt!«

      »Ich bin es, der gesegnet ist, Euch als Gemahlin zu haben.«

      Er umarmte sie, genoss ihre Nähe, ihre Wärme, ihre Liebe.

      »Schöpfer des Himmels und der Erde. Du schenkst uns das Leben. Ich flehe Dich an, schenke uns auch den ersehnten Erben. Schenke ihn uns auf verschlungenen Wegen, wenn es Dein Ratschluss ist, aber niemals unter Gram und Schmerz für meine Gemahlin, niemals mehr!«, betete er flüsternd.

      »Weil du Claudine ein liebevoller Vater bist, ist längst jeder Schmerz ihrer Zeugung getilgt. Du hast mich davon befreit, du und Claudine selbst. Gott schreibt auch auf krummen Wegen gerade. Er wird uns mit einem Erben segnen, davon bin ich überzeugt.«

      Das sagte sie und meinte es auch so, doch tief verborgen blieb die andere Seite der Wahrheit wartend übrig; der Ekel und die Angst, welche sich damals auf dem Turm der Notre-Dame in Paris in ihr eingenistet hatten.

      »Ihr verwandelt Scham in Trost, Not in Freude, Agnès.«

      Noch enger umschlang er sie, ihr Schenkel rieb gegen seine Lenden, doch er spürte nichts als unendliche Zuneigung, wie man sie für die eigene Schwester empfinden könnte.

      Als Agnès de Valois am folgenden Morgen erwachte, lag sie noch auf dem breiten Lager im Gemach ihres Gemahls. Er jedoch war nicht mehr da. Sie hatte lang geschlafen, ihn im Traum an ihrer Seite gespürt und Sehnsucht nach seiner Umarmung erlebt. Doch da war auch ein anderer Traum gewesen: Entsetzen, Schreie, die ihr in der Kehle stecken blieben. Im Erwachen spürte sie ihr Herz rasen. Sie sah die schreckliche Szene wieder vor ihrem inneren Auge. Wie so oft beim Erwachen, drückte sie der Dämon nieder, zwang ihre Beine auseinander, rammte ihr das Unaussprechliche in den Leib, rammte immer wieder, keuchte und wollte nicht enden. In qualvoller Wiederholung schändete sie der Dämonenpriester, tanzte den Satanstanz auf und in ihr. Ihr wurde bei diesen Gedanken übel, sie wollte einen Schluck Aufguss trinken, der morgens an ihrem Lager bereitstand. Doch ins Gemach des Duc wurde der beruhigende Trank nicht gebracht. Agnès de Valois wollte vor ihren Erinnerungen fliehen, sich den Aufguss selbst aus der Küche holen. Durch die Gänge zu laufen, die Treppen nach unten zu nehmen, würde ihr rasendes Herz beruhigen. Aber sie lag wie in einem Bann und konnte sich nicht rühren. Das Entsetzen ließ sie nicht los, sie konnte den Albdruck nicht abschütteln. Erst als sie von Ferne die Stimme ihrer Zofe hörte, atmete sie ruhiger und entkam endlich ihrem Traumbild.

      »Mademoiselle! Claudine! Wo steckt Ihr denn schon wieder? Schwester Maria Pilar beginnt bald mit Eurem Unterricht und Ihr müsst zuvor noch Euer Morgenmahl essen!«

      Anouk hatte für die Prinzessin nur das Obergewand aus der Truhe geholt, schon war das Kind verschwunden. Mit seinen bald fünf Jahren entwischte es der Zofe oft flinker als eine scheue Katze. Doch die Zofe kannte den kleinen Wildfang und auch dessen Lieblingsplätze. Hinter dem Schloss auf der noch taunassen Wiese stand Claudine de Valois barfuß bei der uralten Linde, stützte die Hände gegen den Stamm und starrte unbewegt zur mächtigen Krone empor. Es duftete betörend, der Baum stand in voller Blüte. Tausendfach zwitscherten Vögel im Geäst. Außer Atem und doch beeindruckt verharrte Anouk.

      »Da ist es wirklich sehr schön, alles duftet! Aber Ihr habt auch Pflichten, Mademoiselle Claudine. Kommt jetzt! Bitte!«, mahnte die Zofe.

      »Stör mich nicht. Ich bin sehr beschäftigt!«, flüsterte das Kind. Anouk lachte laut auf.

      »Sagt bloß! Was habt Ihr denn so Dringendes zu erledigen, barfuß auf der feuchten Wiese unter der Linde?«

      »Ich muss dem Baum zuhören und seinen singenden, summenden Gästen und den kriechenden Würmern und den flüsternden Blättern. Das ist äußerst wichtig.« Das Kind wandte den Blick nicht von der Baumkrone, dabei atmete es tief den süßen Duft der Lindenblüten ein.

      »Äußerst wichtig also. Wieder so ein Ausdruck Eurer Großmutter, nur dass die Duchesse tatsächlich Wichtiges zu tun hat im Gegensatz zu Euch, kleiner Wildfang.«

      »Pst! Ich verstehe nichts, wenn du ständig redest!«, war alles, was sie als Antwort bekam. Anouk wurde langsam nervös. Das Versäumnis der Kleinen würde man ihr in die Schuhe schieben. Nach einer Weile trat sie an das Kind heran, umfing es fest und trug es in die Kemenate hinauf. Claudine strampelte, quietschte und lachte gleichzeitig.

      »Du hast meine Morgenandacht gestört, dumme Anouk!«, rief sie, gab der Zofe aber beim Ankleiden einen Schmatz auf die Wange.

      »Sagt das aber bitte nicht Schwester Maria Pilar, sie hält Eure Worte womöglich für Blasphemie«, sagte Anouk.

      »Was ist Blas Feni?«

      »Das erkläre ich Euch später. Rasch jetzt, trinkt die Milch und esst das Brot.«

      Das Kind war früh aufgestanden und hatte reichlich Appetit. Auf den langweiligen Unterricht mit der Schwester freute es sich allerdings gar nicht.

      »Gelobt sei Jesus Christus«, grüßte die Nonne.

      »In Ewigkeit. Amen«, antwortete die Prinzessin sittsam und setzte sich an den Tisch, auf dem bereits die große Bibel lag.

      »Habt Ihr am Abend Eurer Sünden gedacht und sie bereut und beim Erwachen Euer Morgengebet gesprochen?«

      »Oh ja, Schwester Maria Pilar! Mein Morgengebet war fein, voller Gesang und Frische!«

      »Erstaunlich. Und die Reue für Eure gestrigen Sünden?«

      »War nicht nötig. Es gab keine Sünden.«

      Die Schwester bekreuzigte sich, wusste aber, dass die Duchesse Agnès dem Unterricht bestimmt wieder beiwohnen würde, und beließ es dabei. Es war der Dominikanerin unverständlich, wie dieses Kind aus königlichem Hause so ungezügelt, fast gottlos, heranwachsen konnte, doch der Duchesse durfte sie sich auch mit den ehrlichsten moralischen Grundsätzen nicht widersetzen. Zunächst hatte Madame Agnès de Valois das Kind sogar allein erziehen wollen. Es beherrschte deswegen bereits in seinem zarten Alter beträchtliche Kenntnisse des Lesens und Schreibens. Die Mutter des Duc, Madame Veronique hatte es schließlich durchgesetzt, für ein paar Stunden wöchentlich auch den nötigen christlichen Unterricht von einer Ordensfrau erteilen zu lassen.

      »Sprecht mit mir das Confessio pecati mei.«

      Die Prinzessin rollte die Augen. Was für ein ungehöriges Verhalten, wie die Schwester empfand. Da trat die Duchesse Agnès in den Raum. Schwester Maria Pilar erhob sich und grüßte stumm, indem sie das Haupt senkte.

      »Maman!«, rief das Kind und lief seiner Mutter in die Arme, die es an sich drückte.

      »Ich habe heute früh die Linde hinter dem Haus begrüßt und sie hat es mir mit tausend Vogelstimmen gedankt und mit Flüstern und mit ihrer starken Nähe. Ihr Stamm ist so groß wie das Haus von Martin, der die Hühner und Schweine versorgt und auch die Tauben!«

      Schwester Maria Pilar wollte schon protestieren, doch die Duchesse lachte laut und antwortete:

      »Ja, die Linde ist ein besonderer Baum. Da hast du ja den Tag sehr gut begonnen, mein Liebes!«

      »Hat Papa heute wieder so viel langweiligen Besuch, oder können wir am Nachmittag miteinander hinunter zum Bach gehen? Dort gibt es eine Ente mit vielen süßen Küken!«

      »Papa hat leider wichtige Besprechungen, denen auch ich beiwohnen werde. Du wirst den Nachmittag mit Anouk verbringen, Claudine. Aber jetzt dürfen wir Schwester Maria Pilar nicht länger warten lassen.

      »Was gibt es denn heute Wissenswertes zu lernen?«, wandte sie sich an die ratlos Dastehende.

      »Ich wollte den Unterricht mit dem ›Confessio‹ beginnen.«

      »Das ›Confessio pecati mei‹ für ein kleines Kind? Ich halte einen Lobpsalm für geeigneter. Unsere Linde steht in voller Blüte, die Sonne strahlt, die Vögel singen, da kann man ja nur loben.


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