Harras - Alles wird böse. Winfried Thamm

Harras - Alles wird böse - Winfried Thamm


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      „Und jetzt die Überraschung!“, sagte Helen hinter ihm. „Rate mal, wer da ist?“

      „Keine Ahnung. Dein Vater?“, war seine Antwort auf dem Weg zum Wohnzimmer. Seine Frau überholte ihn und stand in stolzer Haltung neben dem Sofa.

      „Schau, dein Freund Harras. Ich habe ihn eingeladen. Und er hat seine Freundin mitgebracht. Darf ich vorstellen: Henning, mein Mann! Anna, Harras Freundin.“

      Auf seiner Couch saßen: Harras und Stasia

      Alles wird gut

      „Freundschaft ist wie Heimat“

       Kurt Tucholsky

      Misslungene Überraschung

      Wie einen arktischen Strom spürte er die Angst durch seinen Körper fluten, als er Harras und Stasia erblickte. Sie schwemmte jede Farbe aus seinem Gesicht und sog ihm alle Kraft aus den Knochen, sodass er seitlich wegknickte und zu fallen drohte. Jegliche Empfindung war vereist. Nur seine Angst strahlte kalt.

      Harras fing ihn auf, bevor er fiel. Auch Stasia war aufgesprungen. Henning machte sich von Harras los und ließ sich von Helen zu seinem großen Lesesessel führen. Vorsichtig setzte er sich hin und atmete hörbar aus.

      „Ja, so ganz der Alte bin ich noch nicht, wie man sieht“, sagte er ernst.

      „Das wird schon wieder, Schatz, Hauptsache, du bist erst mal zu Hause. Alles wird gut!“, lächelte Helen und spürte sofort, welchen Schwachsinn sie da von sich gab. Sie wandte sich ab vor Scham.

      Harras und Stasia standen verloren im Raum und wussten nicht, wohin mit ihren Blicken. Nur Karl war bei sich, lief zu seinem Vater und sagte: „Papa, wir haben dich sooo viel vermisst“, und breitete seine Arme so weit aus, wie er nur konnte.

      „Ja, ich euch auch. Na, komm mal her, kleiner Mann“, sagte er und nahm ihn vorsichtig auf den Schoß. Karl legte den Kopf an seine Brust und spielte mit den Knöpfen an seinem Hemd. Seine Nähe taute Hennings Angst mit jedem Atemzug.

      „Nehmt Platz, meine Lieben, willkommen in meinem Haus. Steht der Champagner hier auf dem Tisch nur zur Dekoration?“, versuchte Henning einen schalen Scherz.

      Stasia setzte sich auf die Sofakante, wie eine Novizin zur Beichte bei der strengen Mutter Oberin. Helen und Harras stießen peinlich zusammen, als sie beide zum Champagner griffen. Sie überließ ihm schließlich das Einschenken und sagte: „Entschuldige Henning, ich bin ein bisschen durcheinander. Dein …, ja, was war es, … Schwächeanfall hat mich ein bisschen erschreckt. Also, es ist schön, dass du wieder da bist, ich finde keine Worte dafür.“

      Sie ging zu ihm, setzte sich auf die Sessellehne, ihr Gesicht ganz nah an seinem. Sie fuhr ihm durchs Haar, über die Schläfe und Wange und küsste ihn ganz zart, ganz warm, ganz sacht. Jetzt fühlte sie sich nicht mehr dumm. Henning nahm sie in die Arme, roch ihr Haar, spürte ihre Wärme und einen Hauch von Glück.

      „Wenn ihr jetzt hier rumknutscht, gehe ich besser auf mein Zimmer, darf ich?“, fragte Karl.

      „Klar. Du musst eh von meinen Beinen runter, die halten noch nicht so viel aus.“

      Harras hatte die Gläser gefüllt und reichte sie den anderen.

      „Auf dich, mein Freund, dass du bald wieder der Alte bist.“

      Sie prosteten sich zu und tranken.

      „Du hast dich bestimmt gewundert, uns beide hier anzutreffen“, fuhr Harras fort.

      „Das kannst du wohl sagen“, unterbrach ihn Henning. „Was wollt ihr eigentlich hier? Einen Asylantrag stellen. Oder Familienanschluss? Soll ich euch adoptieren?“ Hennings Tonfall war weit davon entfernt zu scherzen.

      „Du wolltest nicht, dass ich dich im Krankenhaus besuche. Deshalb bin ich jetzt hier. Ich wollte dich sehen. Ich wollte dir sagen, wie unendlich leid mir das alles tut. Und ich wollte dich bitten, mir noch eine Chance zu geben“, erklärte sich Harras. Seine Bitte lag auch in seinem Blick. Seine Finger rangen miteinander.

      „Ich höre immer nur: Ich wollte, ich wollte, ich wollte ... Ich wollte dich nicht mehr sehen. Das zählt wohl gar nicht?! Bitte geht jetzt. Harras, lass uns später darüber reden. Ja, ich glaube, das kann ich dir nicht verwehren. Ich muss mich jetzt ausruhen.“

      Harras und Stasia standen auf und schlichen hinaus wie geprügelte Hunde. Auf dem niedrigen Couchtisch blieb eine Visitenkarte zurück von Hans-Joachim Stelzer mit Adresse, E-Mail-Adresse, Festnetz- und Handy-Nummer. Auf der Rückseite stand in krakeliger Handschrift: Harras (Dein Freund).

      „Das hatte ich mir anders vorgestellt mit meiner Heimkehr“, sagte Henning mit einem Seitenblick auf Helen.

      Sie setzte sich wieder auf seine Lehne strich ihm durchs Haar und sagte: „Ja, du hast recht. Verzeih. Ich hätte ihm nicht erlauben sollen zu kommen. Aber er hat so gebettelt. Da konnte ich nicht Nein sagen. Du weißt ja, wie er ist. Aber kannst du ihm nicht noch eine Chance geben? Er hat viel falsch gemacht, aber doch nicht mit Absicht. Oder glaubst du das immer noch? Eigentlich ist er doch ein netter Kerl. Und eine arme Wurst.“

      „Nein, das glaube ich jetzt nicht mehr. Er tut mir nicht gut. Das waren übrigens deine Worte, Helen. Das weißt du.“

      „Ja, das habe ich mal gesagt. Aber jetzt sehe ich das anders. Er hat mir sehr geholfen in letzter Zeit, besonders mit Karl. Ja, ich habe ihn schätzen gelernt.“

      „Hoffentlich nicht lieben“, grinste Henning.

      „So gefällst du mir schon besser“, lachte sie und gab ihm einen Klaps. „Hast du Hunger? Ich mach was.“

      „Prima, ich gehe mal zu Karl. Der will mir bestimmt ganz viel zeigen und erzählen.“

      Henning spielte mit Karl, bis das Essen fertig war. Dann aßen sie gemeinsam. Karl erzählte von der Schule, von seinen Freunden und vom Fußballverein. Nach dem Essen brachte Henning Karl zu Bett und las ihm eine Seeräubergeschichte vor. Dann nahm er ihn in den Arm und küsste ihn auf die Wange: „Es ist so, so gut, dass es dich gibt, Karlchen.“

      „Ich hab dich lieb, Papa“, strahlte er seinen Vater an.

      Henning spürte, dass er noch nicht richtig angekommen war, zu Hause, in seiner Familie. Karl war ihm ein Trost. Aber wieso brauchte er ihn, diesen Trost? In sich spürte er eine ungewisse Trauer, als sei jemand, den er liebte, nicht mehr da. Zwischen ihm und Helen war eine Distanz, wie eine Panzerglasscheibe. Er konnte sie sehen, sehnte sich nach ihrer Nähe, erreichte sie aber nicht. Der Kuss vorhin hatte gut getan, er hatte ihn aber nicht geschmeckt.

      Langsam stelzte Henning die Treppen hinunter – die Beine taten ihm weh – und setzte sich wieder in seinen Sessel. Helen nahm auf dem Sofa Platz. Beide hatten ein Glas Rotwein vor sich.

      Sie berichtete ihm das Neueste aus dem Institut: Zwei kleinere Kunden seien abgesprungen. Sie ständen kurz vor der Pleite. Aber das Honorar von der letzten Fortbildung hätten sie noch bekommen. Ansonsten lief der Laden wie immer. Eine Menge Büroarbeit sei liegen geblieben. Das Dringendste habe sie mit Walter, seinem Organisationsleiter und Stellvertreter, weggearbeitet, aber an einige Verträge und Entscheidungen hätten sie sich nicht herangetraut, ohne ihn.

      Helen trank einen Schluck von ihrem Wein und wechselte das Thema: „Henning, das mit Harras will ich dir erklären. Er war in letzter Zeit häufiger hier. Wir haben viel über diese schreckliche Geschichte geredet. Ihm tut …“

      „Helen, warte mal!“, unterbrach sie Henning. „Das ist mir jetzt alles zu viel. Jedenfalls war diese“, er lachte freudlos, „Überraschung keine gute Idee. Und dann bringt er auch noch diese Stasia mit. Die hat mit allem doch gar nichts zu tun.“

      „Wieso Stasia? Ich denke, sie heißt Anna?“, warf Helen ein.

      „Sie heißt Anastasia. Ich kenne sie von einer Fete


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