Harras - Alles wird böse. Winfried Thamm

Harras - Alles wird böse - Winfried Thamm


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quasi das Leben gerettet und wirst mit so einem Unfall betraft. Hätte er nicht gesoffen und geturnt, wäre das alles nicht passiert.“

      „Ja, so habe ich das zuerst auch gesehen und im Krankenhaus hatte ich ja genug Zeit über alles gründlich nachzudenken. Ich wollte ihn eigentlich auch nicht wiedersehen. Aber als ich nach Hause kam, saß er auf meinem Sofa und bat um Verzeihung. Ich habe ihn erst mal rausgeworfen, aber reden muss ich schon noch mit ihm. Das bin ich ihm schuldig“, erwiderte Henning.

      „Schuldig ist er dir alles, du ihm nichts. Du bist zu gutmütig, Henning“, warf Walter ein.

      „Na ja, schau’n wir mal. Ich weiß noch nicht, wie ich damit umgehe“, beendete er das Thema.

      Nach Mitternacht brachen sie auf, alle zusammen, wie das oft ist, wenn einer den Anfang macht.

      „Das war ein richtig schöner Abend, Helen. Ich merke, ich komme gut wieder rein, in die Firma und in den Alltag und überhaupt. Die Welt hat mich wieder. Schön.“

      Henning lächelte Helen an, sie nahm ihn in den Arm: „Ja, Schatz, es renkt sich alles wieder ein. Vielleicht auch das mit Harras und dir. Es wäre euch zu wünschen.“

      Im Schlafzimmer zogen sie sich aus, ohne sich dabei aus den Augen zu lassen. Standen sich gegenüber, küssten sich hastig, tief, gierig, bissig. Stießen ihre Körper aneinander, umarmten, rangen eher, fielen aufs Bett und übereinander her. Schnell, hart, lüstern, konzentriert, freudlos, geil, kurz und schmerzhaft. Als es vorbei war, drehten sie sich voneinander weg und schwiegen.

      Nach einer Unendlichkeit fragte Helen: „Was war das gerade?“

      „Was meinst du mit ‚das‘?“

      „Das weißt du genau!“

      „Gier, lange Abstinenz, Unsicherheit? Weiß nicht.“

      „Es war so entsetzlich lieblos!“

      „Na ja …“

      „Findest du das nicht schlimm?“

      „Schlimm, wieso, ich meine, beim nächsten Mal …“

      „Nein, dass wir überhaupt …“, ihre Stimme bröckelte.

      „Ach Schatz, komm, wir kriegen uns schon wieder“, sagte Henning beruhigend und nahm sie in den Arm. Doch noch nie war er ihr so fern gewesen wie jetzt.

      Sie legte ihren Kopf auf seine Brust, fühlte seinen Brustkorb atmen und sein Herz schlagen, als sei es ein fremdes.

      Kapitel 5

      Ein klärendes Gespräch

      Harras war ein südländischer Typ mit fast schwarzen Haaren und einer großen, etwas schiefen Hakennase, einem schmallippigen, häufig arrogant wirkenden Mund und intensiven dunklen Augen. Sein Körper, etwas kleiner als Hennings, war mager, durchaus durchtrainiert, drahtig und ungeheuer zäh, aber nicht sehr schön anzuschauen mit seinen knochigen, krummen Beinen und seiner blassen Haut. Er war der einsame Wolf, unabhängig und kompromisslos, mit verrückten Ideen, viel Geld und Einfluss. Sein Luxusleben finanzierte er sich als Immobilien-Geier. Mit guten Drähten zu Banken, Steuerbehörden und anderen wichtigen Leuten – auch das Internet war da eine große Hilfe – kaufte er Immobilien von Leuten, die schlecht bei Kasse waren, billig auf und verhökerte sie teuer an Leute, die Geld genug hatten. Vorher ließ er die Objekte optisch gut durchrenovieren. Er kannte da so ein paar Polen, die das preiswert hinkriegten und dafür Geld bar auf die Hand bekamen. Dann gingen die Anwesen weg wie warme Semmeln. Er arbeitete meist von zu Hause mit PC, Internet und Telefon. Hier und da fuhr er auch mal zu Hausbesichtigungen und war oft unterwegs, um Kontakte zu halten oder neu zu knüpfen. Das war wichtig: Kontakte zu den Richtigen, unter ihnen auch einige aus dem Rotlichtmilieu und der Unterwelt.

      Was Frauen anging, war er ein Jäger. Die Jagd an sich fand er spannend. Das Balzen und Turteln und Lügen und Machen. Und das Erlegen. Der Fick. Danach war tote Hose. Nur einmal war sein Herz dabei gewesen, bei Anna. Die hatte was, was er bei keiner wiedergefunden hatte. Als er erfahren hatte, dass sie schwanger war und nicht bereit zu einer Abtreibung, hatte er sie geschlagen, einmal, mitten ins Gesicht. Das hatte er sich bis heute nicht verziehen. Dass sie daraufhin nichts mehr von ihm wissen wollte, bedauerte er in stillen Stunden immer noch.

      Seitdem verstand er sich eben als Jäger und Sammler, der die kleinen Mosaiksteinchen der sexuellen Reize vieler unterschiedlicher Frauen für das große Puzzle seines Frauenideals bei vielen Amouren zusammentrug, um so der ,Frau an sich‘ näherzukommen. Das redete er sich wenigstens ein.

      Mit Absicht kam Harras zehn Minuten später als verabredet zum „Stilbruch“. Das hatte zwei Gründe: Er wollte Henning das alte, ihm vertraute Bild des Harras bieten, der häufig, fast regelmäßig zu spät kam und nichts dabei fand. Und er wollte Henning ein wenig ärgern, weil er sich heranzitiert fühlte, wie ein untreuer Untergebener, der die Portokasse mitgehen ließ und sich jetzt seine Strafe abholen sollte. Das war Harras nicht gewohnt, das hasste er, das kränkte seinen Stolz.

      Er sah Henning am hintersten Tisch des kleinen Biergartens sitzen, entspannt zurückgelehnt, vor ihm ein Weizenbier, in der Hand eine Zigarette. Harras setzte sich ihm gegenüber und eröffnete moderat:

      „Schön dich zu sehen, Henning. Das letzte Mal passte es ja nicht so. Das zeigt, dass wir in manchen Dingen völlig unterschiedlich sind. Es sollte eine nette Überraschung sein, es war gut gemeint. Helen hat es auch so gesehen.“

      „Weißt du, was meine Mutter immer sagte, wenn sie sich besonders penetrant in mein Leben mischte? ,Ich meine es doch nur gut, mein Junge‘.“

      „Angekommen!“

      Beide maßen sich im Schweigen. Die Blicke gesenkt.

      Die Kellnerin kam vorbei, Harras bestellte sich ein großes Pils.

      Henning trank einen Schluck, nahm Harras fest in den Blick und griff an:

      „Was willst du von mir?“, fragte er bissig.

      „Ich hoffe, das Gleiche, was du von mir willst“, blieb Harras freundlich.

      „Und das wäre?“

      „Wenn du es nicht weißt, werde ich es dir sagen. Ich habe für heute Abend einen riesigen Sack Geduld mitgebracht und ein dickes Fell. Heute Abend ist wohl die Arschwäsche angesagt, habe ich auch verdient. Was ich von dir will, ist letztendlich Vergebung und eine Chance, wieder mit dir ins Reine zu kommen, dir wieder ein Freund sein dürfen, deine Akzeptanz meiner Fehler, ein Schwamm drüber, nicht heute, nicht morgen, aber bald. Bitte Henning!“

      „Wie stellst du dir das vor? Als ich nach der akuten Schmerzphase im Krankenhaus meine Gedanken sortierte, war der erste: Ich bringe dich um. Du besäufst dich, du turnst auf der Reling herum, du gehst über Bord, du wirst von mir herausgefischt, dann löst du noch den Knoten am Ruder, damit das Boot abdreht und der Mastbaum mich erwischt.“

      „Stopp! Das stimmt nicht! Alles richtig, alles Leichtsinn, alles grobe Fahrlässigkeit, aber das mit dem Knoten, nein.“ Harras jagte die Worte nur so heraus, ließ keinen Raum für Unterbrechungen. „Du hast einen halben Schlag auf Slip benutzt, in der Eile, ist klar, du weißt aber, wie leicht sich so ein provisorischer Knoten von selbst löst. Ich habe den Baumschlag nicht ausgelöst, das musst du mir glauben.“

      „Und wenn nicht?“, grinste Henning böse.

      „Du bist ein Arschloch! Was soll das jetzt? Vielleicht bleiben wir jetzt mal ernst?!“

      „Okay, nach viel Grübelei bin ich auch zu dem Schluss gekommen, dass du den Knoten nicht oder nicht absichtlich gelöst hast. So eine Sauerei traue ich dir dann doch nicht zu. Reichen die anderen Punkte denn nicht aus, einfach zu dem Schluss zu kommen: Tschüss Harras, das reicht. Es ist wirklich genug! Du tust mir eben nicht gut. Was soll ich denn sonst noch alles verzeihen? Dass du den kleinen Jazzauftritt mit Stasia im Billardklub, auf den ich so stolz war, der mich in seiner Spontaneität so berührt hat, selbst eingefädelt hast und mich damit wie einen dummen Jungen behandelt hast? Dass du sie auf mich angesetzt hast, mich zu verführen? Dass du Helen mit


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