Harras - Alles wird böse. Winfried Thamm

Harras - Alles wird böse - Winfried Thamm


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mit dem du machen kannst, was du willst. Das hast du mir doch oft genug gesagt, dass ich das bin, dass du das von mir hältst, du arrogante Sau!“

      „Du weißt genau, dass das nicht so gemeint war, höchstens mal im besoffenen Kopf so rumgesponnen. Ich weiß auch, dass ich manchmal ziemlich arrogant bin, ja, aber du weißt auch, dass ich viele Seiten an dir schätze, sogar bewundere und dir sogar neide. Jetzt mach dich nicht selbst so runter, das hab ich nie getan. Hier und da provoziert, ja. Und das mit Stasia? Du bist ein erwachsener Mensch, du kannst mit Tinte schreiben und kommst an die Klingel und bist für deine Taten selbst verantwortlich. Wenn du dich nicht zurückhalten kannst … also dafür kannst du mir die Schuld nicht in die Schuhe schieben.“

      „Ach so, ach ja? Dein ganzes manipulatives Vorgehen ist doch ein Zeichen für hochgradiges Misstrauen. Das soll also die Basis unserer Freundschaft sein? Und dann noch dein protziges Gehabe mit Chauffeur und Staatskarosse und Champagner bis zum Abwinken, ach hör doch auf!“

      „Das ist nicht fair, denn das hat dir imponiert, das hat dir Spaß gemacht, gib ’s zu!“

      „Wie soll ich dir denn noch über den Weg trauen, Harras?“

      „Tu’s einfach, Henning. Helen tut ’s auch. Vielleicht nimmst du sie als Garant. Frauen haben da einen besseren Instinkt als wir. Henning, gib mir eine Chance, bitte!“, sagte Harras und schaute Henning fest in die Augen.

      Er hielt den Blick nicht aus, schaute auf seine Hände am Bierglas, räusperte sich und flüsterte heiser: „Harras, was verlangst du da von mir?“

      Schweigen, hilflos.

      „Ich hab Durst, bestell mir ’n großes Pils und ’n Ouzo, ich muss zum Klo“, sagte Henning schroff.

      Unsicher stand Henning auf und verschwand im Inneren der Kneipe. Harras bestellte die Getränke.

      Henning hatte mehr als zehn Minuten auf der Toilette gesessen und nach Luft geschnappt. Seine Beine schmerzten, seine Rippen taten weh und sein Magen grummelte, als habe er etwas Falsches gegessen. Als er zurückkam, warteten die Getränke bereits auf dem Tisch.

      Henning setzte sich und Harras prostete ihm zu, wollte mit ihm anstoßen, doch Henning hob nur sein Glas und trank. Harras nahm es hin und sagte:

      „Nun gut, erst mal prost auf Distanz. Ich bin der böse Bube, ich weiß. Als wir uns damals als junge Spunde nach dem Streit aus den Augen verloren, nein, du mir aus dem Weg gingst, da haben wir im Nachhinein gemerkt, dass alles nur ein saublödes Missverständnis war. Oder anders ausgedrückt, ich zu hart mit dir umgegangen bin …“

      „Du wolltest ja nur mein Bestes, wie meine Mutter früher.“

      „Lass das jetzt, du mit deinem Mutterkomplex, dafür bin ich wirklich nicht zuständig“, fuhr Harras geduldig fort, „da habe ich gemerkt, dass ich eine Art habe, die nicht immer bei dir ankommt, aber wir haben ihn ausgeräumt, den Zwist. Und dann hatten wir doch eine schöne Zeit, das hat uns beiden doch viel Spaß gemacht und noch mehr: Wir hatten uns wieder gefunden. Wir haben uns wieder aneinander gerieben und uns gegenseitig unsere Sicht auf die Welt erklärt, uns gespiegelt und gerauft, Perspektiven getauscht und Verständnis gefunden und Erkenntnisse gewonnen. Das ist doch das, was Freundschaft ausmacht, oder?“

      „Ja, ja“, Henning grinste kühl. Der Friedensengel war für ihn noch lange nicht in Sicht. „Du hast ja nicht monatelang im Krankenhaus gelegen, mit Schmerzen ohne Ende, mit Erniedrigungen durch Bettpfannen und Pinkelflaschen, mit der Trennung von Frau und Sohn und Firma, völlig aus der Welt, ohne zu wissen, ob ich jemals mein altes Leben wieder aufnehmen kann. Das war meine Erfahrung, nicht deine. Und jetzt soll ich so tun, als ob nichts gewesen wäre, das alles so sehen, wie einen kleinen Unfall mit Blechschaden. Und das nur wegen deiner Sauferei und deinem Leichtsinn. Dass da Vertrauen verloren gegangen ist, ist wohl wieder nur meine kleingeistige, spießbürgerliche Sichtweise, oder was?!“

      „Nein, dass wir jetzt einfach wieder zur Tagesordnung übergehen können, erwarte ich gar nicht. Nur gib mir noch einmal eine Chance. Du …“, Harras versuchte vergeblich den Kloß im Hals wegzuschlucken, „bist für mich der wichtigste Mensch, den ich habe, also, den ich kenne. Und den möchte ich nicht verlieren.“

      Harras schaute auf seine Finger, die mit seinem Feuerzeug spielten, als seien sie nicht seine. Und Henning meinte einen feuchten Schimmer in seinen Augen zu sehen.

      „Und wie stellst du dir die vor, die Chance?“

      „Ja nun, ich stelle mir vor, dass ich weiterhin in deinem Hause willkommen bin, dass ich vorbeikommen kann, mit dir und Helen und Karl reden kann. Vielleicht normalisiert sich alles irgendwie, nicht sofort, aber nach einer gewissen Zeit. Dann können wir gemeinsam mal was unternehmen, oder so. Scheiße, ich weiß es ja auch nicht!“ Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, ein Ouzo-Glas fiel um.

      „Okay, ich sag’s mal so. Du hast kein Hausverbot, aber ich möchte, dass du vorher anrufst und nicht einfach so auftauchst, wie es dir passt“, sagte Henning in einem Tonfall, der Hoffnung auf Tauwetter zuließ. „Jetzt noch ein hartes, aber ehrliches Wort. Momentan scheine ich ja wichtiger für dich zu sein, als umgekehrt. Kein Wort über Stasia zu Helen, auch kein belangloses. Wenn sie fragt: Du hast dich von ihr getrennt und willst nicht drüber reden. Und wage es nicht, Stasia noch einmal mitzubringen, egal ob wir uns mit Helen treffen oder nur wir beide. Und schon gar nicht in mein Haus. Was hast du dir eigentlich dabei gedacht, mit ihr bei mir aufzutauchen?“

      „Ja, das weiß ich jetzt auch nicht mehr. Ich wollte … keine Ahnung. War wohl nicht so schlau.“

      „Ich will Stasia nicht mehr begegnen. Sie tut mir nicht gut.“

      „Ja, einverstanden, klar, selbstverständlich. Meinst du, ich bin so ein Merknix …“

      „Ja, der bin ich doch sonst immer, der Merknix. Weißt du noch, als du zum ersten Mal bei uns warst. Da hast du mich ziemlich getroffen, mit dem Merknix“, unterbrach ihn Henning.

      „Ach ja, ich wollte dich nicht … das ist mir so rausgerutscht.“

      „Du hast eben einen sehr empfindsamen Freund.“

      „Freund“, wiederholte Harras.

      Und zum ersten Mal nach langer Zeit wagten beide einen Anflug von Lächeln.

      Dann stand Harras auf und ging. An der Tür drehte er sich noch einmal zu Henning um und hob die Hand zum Gruß.

      Henning bestellte noch einen doppelten Ouzo und hing seinen Gedanken nach. Als er schließlich den Kellner wegen der Rechnung rief, war sie schon beglichen. Die alte Ratte, dachte er und grinste.

      Zu Hause angekommen merkte er, dass sein Hemd völlig durchgeschwitzt war. Er wechselte es schnell gegen ein T-Shirt, ging hinunter ins Wohnzimmer und erzählte Helen von seinem Treffen mit Harras.

      „Henning, das finde ich wunderbar, dass du ihm noch eine Chance gibst“, sagte Helen. „Er hat sich in der Zeit, als du in der Klinik warst, wirklich betroffen gezeigt. Er ist kein schlechter Mensch. Er hat mir auch oft ganz praktisch geholfen, hat auf Karl aufgepasst, wenn ich in den Laden zu meinem Vater musste. Und überhaupt. Das renkt sich alles wieder ein. Ich würde mich so freuen für euch und auch für mich. Er ist ein prima Kerl.“

      Sie gingen zu Bett und liebten sich, diesmal langsam und voller Zärtlichkeit, ja mit großer Vorsicht.

      Als er einschlief, spürte er seine Schmerzen nur noch als ein leichtes graues Laken auf seinen Gliedern und auf seiner Seele.

      Kapitel 6

      Mails

      Von: S. Wirkunowa: [email protected]

      An: H. Wennemann: [email protected]

      was ist passiert? harras hat mich in die wüste geschickt, will mich nicht mehr sehen. was ist los? was habe ich getan? muss dich sehen, brauche erklärung!!!

      Von: H. Wennemann: [email protected]

      An: S. Wirkunowa:


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