Harras - Alles wird böse. Winfried Thamm

Harras - Alles wird böse - Winfried Thamm


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helfe dir.“

      „Lass mal, ich muss langsam wieder auf eigenen Beinen stehen, im wahrsten Sinne des Wortes.“

      Sie lagen im Bett, seine Schulter in ihrem Arm, sein Kopf an ihrer Brust, sein Arm auf ihrem Bauch, sein Bein zwischen ihren beiden. Ein schönes Bild. Doch nichts war schön. Alles wird gut. Der dumme Satz von Helen am Nachmittag. Er weinte lautlos. Sie spürte es, sagte aber nichts. Es gab nichts zu sagen. Auch nicht zu tun. Sie schwiegen sich in den Schlaf.

      Kapitel 2

      Der erste Tag zu Hause

      Helen stand wie immer um sieben Uhr auf, um Karl das Frühstück zu machen, die Schulbrote zu schmieren und ihn gut in den Tag zu bringen. Dann frühstückte sie selbst, schaute kurz in die Zeitung. Sie wollte um neun in der Buchhandlung ihres Vaters sein, in der sie zwei- bis dreimal in der Woche arbeitete. Später, wenn Karl älter war und ihr Vater nicht mehr so konnte, wollte sie den Buchladen übernehmen, aber noch war ihr alter Herr fit genug. Bevor sie aufbrach, schrieb sie für Henning eine kurze Nachricht und legte sie auf den Küchentisch.

      Sie warf sich ihren Trenchcoat über, griff ihre Tasche und mit der anderen Hand wählte sie Harras’ Nummer auf ihrem Handy.

      „Hey, Helen“, meldete er sich.

      „Deine Aktion gestern war ja wohl gar keine gute Idee. Das hab ich dir doch im Voraus gesagt. Henning war ganz fertig.“

      „Ja, klüger ist man hinterher immer. Aber was willst du? Er hat mich nicht für immer und ewig aus seinem Leben geschmissen, sondern will mit mir reden. Wollte ich mehr?“

      „Du kannst so schäbig sein. Den ganzen Abend hast du versaut. Zählt das nicht?“

      „Ja, das tut mir leid“, sagte er wenig überzeugend, „aber damit habe ich nicht gerechnet.“

      „Und warum hast du deine neue Flamme, diese Anna, mitgebracht, die ja eigentlich Stasia heißt?“

      „Also, das muss ich dir erklären. Erstens heißt sie Anastasia, da sind ja wohl beide Kürzel nachvollziehbar. Zweitens nennen sie alle zwar Stasia, ich aber Anna, weil ich nun mal ein besonderes Verhältnis zu ihr habe. Das verstehst du doch hoffentlich. Dass ich sie mitgenommen habe, liegt daran, dass eben diese, nennen wir sie Stasia, mit Henning in einem Jazz-Klub einen kleinen, aber sehr netten Spontan-Auftritt hatte. Er hat Klavier gespielt und sie dazu gesungen. Das hatte ihm viel Spaß gemacht und daran sollte er sich gestern erinnern. Das war also nur gut gemeint. Ach, Helen, das passiert mir mit Henning so oft. Ich meine was gut und es geht daneben.“

      „Das war wirklich alles? Du verschweigst mir nicht noch irgendwas?“, fragte sie nach.

      „Nein, glaub mir. Du traust mir doch, oder?“

      „Ja, ja, ist schon gut. Und bevor Henning mit dir gesprochen hat, lässt du dich bei uns nicht blicken, versprochen?“

      „Versprochen, großes Indianer…“

      „Lass deine Karl-May-Kindereien und …“, das klang schon versöhnlicher, „schöne Grüße von Karl. Du bist für ihn ein Held.“

      „Och, nicht für dich?“, flachste er.

      „Nee, erst wenn du mit Henning wieder im Reinen bist. Ciao und hab Geduld.“

      Während des Gesprächs hatte sie im Auto gesessen, ohne losgefahren zu sein. Sie hasste diese unkonzentrierten, telefonierenden Autofahrer, die vielleicht irgendwann ihren Karl übersehen würden, nur weil … Daran durfte sie gar nicht denken. Wer Kinder hat, hat immer Angst.

      Dann gab sie Gas. Ihr Vater wartete schon.

      Henning wachte erst gegen elf Uhr auf. Die Schmerzen in seinen Beinen hatten ihn geweckt. Er quälte sich aus dem Bett und machte die gymnastischen Übungen, die sein Physiotherapeut ihm gezeigt hatte. Die Muskeln wurden geschmeidiger, die Bewegungen fließender und die Schmerzen verschwanden. Er ging unter die Dusche und fühlte sich wach und agil.

      Als er in die Küche kam, fand er Helens Zettel auf dem Tisch: Sie sei im Buchladen und gegen zwölf wieder zurück. Er warf die Espressomaschine an, machte sich einen Cappuccino, fütterte den Toaster mit zwei Scheiben, stellte Butter, Wurst und Marmelade auf den Tisch. Ihm ging es gut und er freute sich auf sein erstes ausgiebiges Frühstück zu Hause.

      Dann verabredete er um 14 Uhr ein Treffen mit Walter. Er solle die wichtigsten Unterlagen mitbringen. Nein, er komme nicht ins Institut, er dürfe noch nicht Auto fahren.

      Anschließend fuhr er den Laptop hoch und checkte seine E-Mails. Einige Kunden fragten nach Terminen für Verhandlungen über neue Verträge und wünschten ihm gute Besserung. Eine lange Liste von Mails fand er von alten und neuen Freunden und deren Familien, die fragten, wie es ihm ginge und wann man sich endlich wiedersehen würde. Henning war gerührt wegen dieser herzlichen Anteilnahme. Er beantwortete sie alle, zum Teil recht ausführlich und lud gleich seine Freunde aus der Nachbarschaft zu einer Wiedersehensparty in drei Wochen ein. Seinen alten Freundeskreis wollte er zu seinem Geburtstag bei sich versammeln. Der nächste Samstag war reserviert für seine Mitarbeiter. Einerseits musste er wieder auf den neuesten Stand gebracht werden, andererseits war es ihm wichtig seinen Leuten deutlich zu zeigen, wie sehr er sich darüber freute, wie engagiert sie den Laden geführt hatten, während seiner Abwesenheit. Es war an der Zeit ihnen dafür zu danken, mit einem netten Abend bei guten Essen und noch besserem Wein. Auch Helens Einsatz wollte er an diesem Tag herausstellen.

      In diesem Moment hatte er das Gefühl, das Leben habe ihn wieder.

      Henning Wennemann war mittelgroß, also knapp über eins achtzig, hellblond und stämmig gebaut, immer auf der Hut, ja nicht dick zu werden. In diesem Herbst würde er 43 Jahre alt werden und sein Sohn Karl acht. Seine Frau Helen, fast so groß wie er und fast so blond, lernte er vor zwölf Jahren auf einem Jazzfestival kennen, als er selbst noch an den Tasten saß, als Pianist seiner Combo „Bar-Jazz-O“. Helen war fünf Jahre jünger als Henning, trug ihr Haar mittellang und hatte eine schlanke, weibliche Figur mit breiten Hüften und vollem Busen. Helen und Henning, das war ein Paar wie der Sound ihrer beiden Namen. Das klang nach Swing und Harmonie. Obwohl Henning nie bewusst einen Wunsch nach Kindern verspürt hatte, war Karl nur die logische Folge aus ihrer so selbstverständlichen und klaren Liebe. Hätte man sie gefragt, hätten beide nicht gewusst, wann sie das letzte Mal im Streit aneinandergeraten waren. So war es zumindest, bevor Harras wieder in Hennings und dann auch in Helens Leben trat. Nachdem Henning sein Studium als Lehrer abgeschlossen hatte, schwappte über ihm die Lehrerschwemme zusammen und spie ihn aus in die Arbeitslosigkeit. Ein paar Jahre hatte er versucht von seiner Jazz-Musik zu leben, was ihm aber nur wenig Ruhm und ewig leere Taschen einbrachte. Nach einigen Fortbildungsmaßnahmen vom Arbeitsamt entschied er sich ein Unternehmensberatungsbüro zu gründen, das mittleren Betrieben und sozialen Trägern im Bereich der Personalführung und des Betriebsmanagements auf die Sprünge half. Ein kleines, aber frei stehendes Haus am Rande des Siepentals in Essen-Bergerhausen konnte er fast sein Eigen nennen, mit Garten und Baumhaus für den kleinen Karl. Das Zentrum seines Lebens war seine Familie, seine Firma und seine Freunde. Seine Musik war auf das Gerippe eines gelegentlichen Hobbys abgemagert. Gelegentlich, ein paar, Sweet Georgia Brown‘ oder ,Lady Be Good‘, wenn Freunde da waren und der Wein nostalgisch machte. Sonst war keine Zeit für Jazz.

      Kapitel 3

      Mails

      Von: H. Wennemann: [email protected]

      An: H. J. Stelzer: [email protected]

      wir treffen uns am 24.08. um 20.00 h im stilbruch in steele, vorher keine zeit.

      wenn du vorher aufkreuzt oder am o.g. termin nicht erscheinst, war’s das.

      henning

      Von: H. Wennemann: [email protected]

      An: S. Wirkunowa:[email protected]

      hallo stasia,

      ich will nur wissen, ob diese e-mail-adresse noch aktuell ist, dann mehr.

      henning


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