Harras - Alles wird böse. Winfried Thamm

Harras - Alles wird böse - Winfried Thamm


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S. Wirkunowa: [email protected]

      An: H. Wennemann: [email protected]

      nein, es geht um meine existenz. was soll das alles? verstehe die welt nicht mehr.

      bin morgen um 17 uhr im solo in der lichtburg. bitte komm, bitte!!!

      Von: H. Wennemann: [email protected]

      An: S. Wirkunowa: [email protected]

      okay, wenn es sein muss

      Kapitel 7

      Erstes Wiedersehen mit Stasia

      Als Henning gegen halb fünf die Firma verließ, spürte er deutlich den Schmerz in seinen Beinen. Ich sollte mich mehr schonen. Ein Angestellter wäre wahrscheinlich noch krankgeschrieben, dachte er. Aber er wusste, dass das nicht der Grund war. Seine Anspannung, seine Angst vor dem Treffen war der Grund der Schmerzen in seiner Muskulatur. Was wollte sie von ihm? Was hatte er damit zu tun, dass Harras ihr den Laufpass gegeben hatte? Was hieß, ihre Existenz sei bedroht?

      Um kurz vor fünf betrat er das angesagte Szenecafé im Haus des Premierenkinos „Lichtburg“ mit zerrissenen Gefühlen. Er sah sie in der hintersten Ecke der Raucherlounge an einem abgelegenen Zweiertisch sitzen. Rückenschauer, Gänsehaut und Brechreiz, kalte Hände, Ziehen im Bein, heißes Blut unterm Gürtel. Fast hätte er kehrt gemacht, aber sie war zu schön. Sie sah sich unruhig um und saugte am rettenden Strohhalm ihrer Zigarette.

      „Hallo Stasia“, sagte er nur.

      „Henning, danke, dass du gekommen bist.“ Nur ein kurzer scheuer Blick.

      Er setzte sich, sah auf ihre grazilen Hände und wusste nicht weiter. Die Bedienung kam, er bestellte Cappuccino, sie Espresso, keiner fand Worte.

      Schweigen.

      „Hör mal, ich will gar nicht von früher reden, das hat sich ja alles …“

      „… als Irrtum erwiesen“, unterbrach er sie, „oder besser als Komödie, als Harras’ Intrige, früher sagte man Kabale, kennst du ,Kabale und Liebe‘ von Schiller? Ist wohl nicht gerade Schulliteratur in einer russischen Dorfpenne, solltest du aber mal lesen“, giftete er, ohne zu wissen, was ihn trieb, schaute sie nicht an, blieb mit den Augen auf der Walnussholztäfelung des Cafétisches. Wieso fiel ihm gerade jetzt auf, dass das Walnuss war? Sein linkes Bein tat weh, dort wo die Tasche seiner Segelhose gesessen hatte, in der er ihre Visitenkarte mit ihrer E-Mail-Adresse wiedergefunden hatte, als alles vorbei war.

      „Ich will ehrlich sein …“

      „Ha!“

      „Lass mich endlich ausreden. Ich habe dich um dieses Gespräch gebeten. Also lass mich reden oder geh.“ Ihr direkter Blick hielt ihn zurück. „Also, ich will ehrlich sein bei all dieser Unehrlichkeit, die dir widerfahren ist, durch Harras und mich. Ja, wir haben dich reingelegt. Harras wollte den Kontakt zu dir, unbedingt, versessen war er, wollte dich umgarnen. Aus ehrlicher Freundschaft oder aus Kalkül, was weiß ich, wollte er dich beeindrucken mit seinem Geld und seinem Luxus und hatte Angst, dass das nicht reicht. So hatte er mich zu einem Geschenk für dich auserkoren. Ja, ich habe mitgespielt. Wenn du wüsstest, welche Spiele ich vorher schon mitgespielt habe in meinem Leben, du würdest kotzen. Das lief schief, weil du dich ehrlich in mich verliebtest und ich mich in dich, ehrlich. Auch wenn du mir das jetzt nicht mehr glaubst. Als du bei diesem Wahrheitsspielchen sagtest, dass du die letzten Tage deines Lebens mit mir verbringen wolltest, wenn du vor dieser Frage stündest, da hat es bei mir ,klick‘ gemacht und ich war geliefert.“

      Sie sah sich im Raum um, suchte nach einem Halt für ihren Blick, weil sie nicht wusste, wohin damit. Ein Geständnis ohne Akzeptanz, ein Gefühl ohne Resonanz. Sein Gesicht, eine Folie.

      Sie zwang sich fortzufahren: „Natürlich wusste ich von Harras, dass dein Lieblingssong ,As time goes by‘ war und du ,Night and Day‘ spielen konntest. Natürlich wusste ich, was ich zu tun hatte bei Harras zu Hause, aber als das Wahrheitsspiel kam und was du da sagtest, hat mir die Schuhe ausgezogen. Danach war alles echt. Wie hatte ich mich gefreut, als Harras Jana und mich nach Amsterdam bestellte. Ich kam nicht mehr raus aus der Nummer. Ich hatte mich in dich verliebt. Das Gefühl war echt. Es war so … unschuldig mit dir. Und das ist wichtig, dass du das weißt, obwohl uns beiden ja klar ist, dass das keine Zukunft hat. Bitte glaube mir das wenigstens, bitte.“

      Sie sah ihn an mit ihren ach so schönen, türkisfarbenen Augen in dem Gesicht voll Jugend und … Stopp, dachte er. Nicht wieder das.

      „Stasia, wenn ich das alles glauben könnte, und ich würde es gerne glauben wollen, auch das brächte uns nicht weiter. Unter die ganze unsägliche Geschichte will ich einen Schlussstrich ziehen. Ich liebe meine Frau und meinen Sohn und mein Leben, so wie ich es lebe. Und da passt du nicht rein. Du tust mir nicht gut, obwohl du mir einmal gut getan hast, bei allem Dilemma. Ja, ich war einmal sehr verliebt in dich. Doch ich hatte viel Zeit im Krankenhaus über all das nachzudenken. Was willst du von mir? Es tut mir nämlich auch nicht gut, mit dir hier zu sitzen. Es tut mir weh“, sagte Henning und ihre Blicke trafen sich.

      „Ich bitte dich zuerst um etwas Geduld. Denn ich muss ein bisschen weiter ausholen, um dir all das zu erklären“, begann sie ihre Geschichte.

      „Okay, reichen zwei Stunden?“, und zum ersten Mal konnte er lächeln.

      „Danke. Also: Ich kam mit meinen Eltern nach Deutschland, sogenannte Russlanddeutsche, du verstehst, als ich zehn Jahre alt war. Ziemlich schnell lernte ich Deutsch. Ich habe ein Faible für Sprachen. Meine Eltern wollten ein neues Leben anfangen, mein Vater hatte sich vorgenommen, nicht mehr zu saufen. Er war Ingenieur, hatte aber keine Chance in Russland als Russlanddeutscher. Hier in Deutschland wurden seine Qualifikationen aber nicht anerkannt. So arbeitete er in einer Fabrik als Hilfsarbeiter. Das half ihm nicht gerade von seiner Sauferei wegzukommen. Nebenbei brannte er hier schwarz Wodka für die russischen Kollegen und sackte immer weiter ab. Mit fünfzehn habe ich das nicht mehr ausgehalten, besonders die Prügel nicht, die er meiner Mutter verabreichte. Als ich dann merkte, dass er sich immer mehr für mich und meine Kurven interessierte, hab ich die Biege gemacht. Hoch lebe das Klischee, ich landete am Bahnhof auf dem Strich. Die Einzelheiten will ich dir ersparen. Jedenfalls hat mich Harras da rausgeholt.

      „Wie alt warst du, als du ihn kennenlerntest?“

      „Ich war achtzehn, drei Jahre habe ich in einem Sumpf gelebt, aus Scheiße, Gewalt und Drogen. Erspar mir die Details. Von einer Straßennutte stieg ich auf zu einem Callgirl, dank Harras. Um es kurz zu machen: Er kaufte eine Eigentumswohnung für mich, die ich zwar nutzen konnte, aber nicht besitze. Und er finanzierte mein Leben, weil ich ihm für spezielle Aufträge zur Verfügung stand. Das heißt, vornehme Herren begleiten, umgarnen, eine geschäftlich günstige Atmosphäre schaffen, wie Harras das nennt, und notfalls auch mal mit ’nem Geschäftspartner vögeln, aber nur mit netten, die nicht vergewaltigen, sondern vornehm bumsen. Dafür hatte ich die Wohnung und für meine Verhältnisse viel Geld. Und Harras’ Freundschaft. Mich hat Harras nie gezwungen, mit ihm zu schlafen. Er ist mein Freund, mein einziger Freund. Und bei meinem Lebenslauf ist das nicht schwierig mit einem Freund ins Bett zu gehen. Das mit der großen Liebe habe ich schon mit fünfzehn abgehakt. Dazu kommt noch, dass er sehr angenehm im Bett ist. Wie es aussieht, ist er es jetzt nicht mehr, nachdem ihr euch getroffen habt, denn er hat mir die Wohnung gekündigt. Ich sei alt genug und könne jetzt allein zurechtkommen. Was ist da passiert, als ihr euch neulich getroffen habt? Warum lässt er mich so hängen? Sag mir das, ich will das verstehen!“

      „Ich war völlig geschockt, als ich euch beide bei mir auf dem Sofa sitzen sah. Was sollte das?

      „Das kann ich dir auch nicht sagen. Als Harras mich bat mitzukommen, wollte ich nicht. Er hat mich gezwungen.“

      „Also, ich habe von Harras gefordert, dich nie wieder mit mir oder mit meiner Familie zusammenzubringen. Er solle Helen sagen, er habe sich von dir getrennt.“

      „Na prima, das hat er aber sehr wörtlich genommen“, bemerkte sie sarkastisch.

      „Wir machen es


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