Befreite Schöpfung. Leonardo Boff
Material selbst, erlangt. Sie haben sich Lebensformen und sogar einzelne Gene patentieren lassen. Der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen, wie sie von transnationalen Konzernen wie Monsanto und Aventis produziert und kontrolliert werden, hat sich seit 1995 stark ausgebreitet und betrifft heute mehr als hundert Millionen Hektar (das ist ungefähr die Größe Boliviens oder Frankreichs und Deutschlands zusammengenommen). Bereits 60 % der Sojabohnen weltweit und 25 % der Maispflanzen enthalten Gene aus anderen Arten.
„Transgene“ Feldfrüchte bergen eine doppelte Gefahr in sich. Da das Saatgut dem produzierenden Konzern gehört, entzieht es den Bauern die Kontrolle über die Versorgung mit Saatgut (dieser Prozess begann in kleinerem Maßstab bereits mit den Hybridpflanzen im Zuge der „grünen Revolution“ im letzten Jahrhundert). Um dieses Saatgut verwenden zu dürfen, sind die Bauern gezwungen, einen „Vertrag über die Verwendung der Technik“ zu unterzeichnen, der es verbietet, Saatgut aus der Ernte für die Aussaat im kommenden Jahr aufzuheben. Die Konzerne haben sogar daran gedacht, in das Saatgut selbst genetische Kontrollen einzubauen, die es faktisch steril machen würde. Doch bislang fand diese „Terminator“-Technik noch keine Billigung.
Beunruhigender aber ist vielleicht die Tatsache, dass transgene Pflanzen das Ergebnis einer künstlichen Übertragung von Genen von einer Art auf eine andere sind, indem man die DNA manipuliert. Dieser im Wesentlichen zufallsgesteuerte Prozess der Einbringung fremder Gene kann unbeabsichtigte Auswirkungen auf das Genom einer Pflanze haben. Tatsächlich ist nur ein verschwindender Teil genetischer Experimente erfolgreich. Doch Gene vermehren sich und breiten sich aus, und jeder unbeabsichtigte Effekt ‒ darunter spätere Mutationen aufgrund eines weniger stabilen Genoms – könnte sich sehr rasch durch Pollen auf wichtige Arten von Feldfrüchten übertragen.
Warum verbietet man angesichts der potenziellen Risiken gentechnisch veränderte Organismen nicht einfach? Große Chemie- und Agrokonzerne behaupten, transgene Pflanzen seien notwendig, um die Nahrungsmittelproduktion zu steigern und sogar, um den Einsatz von chemischen Substanzen in der Landwirtschaft zu verringern. Doch keines der Argumente scheint wirklich zu tragen. Wie wir gesehen haben, ist die Hauptursache für Hunger und Armut die unzulängliche Verteilung des Wohlstands und die Verschlechterung der Ökosysteme. Transgene Pflanzen werden, indem sie den Konzernen die Kontrolle über das Saatgut sichern und die Ökosysteme genetisch kontaminieren, diese Probleme nur noch verschlimmern. Selbst wenn die Nahrungsmittelproduktion bedeutend gesteigert würde, hätte das höchstwahrscheinlich keine Auswirkungen auf die Armut. Tatsächlich führen höhere Erträge oft zu niedrigeren Preisen, was bedeutet, dass die Kleinbauern faktisch verarmen.
Dazu kommt, dass keine der bislang in den Handel gebrachten transgenen Pflanzen die Ernteerträge oder die Ernährung verbessern sollte. Fast alle Veränderungen zielten auf eine Herbizidtoleranz (die es Farmern ermöglicht, Unkraut auszutilgen, ohne die Feldfrüchte dabei zu schädigen) oder Insektizidresistenz ab. Sie erleichtern es Konzernen und Großgrundbesitzern auch, ihre bebauten Flächen zu erweitern. Tatsächlich haben Großgrundbesitzer in Argentinien und Paraguay Herbizide auf benachbarte Grundstücke versprüht, um die Feldfrüchte der kleineren Bauern zu vernichten und sie zum Landverkauf zu zwingen.
Die beste Art, Nahrungssicherheit zu gewährleisten, ist es, eine große Bandbreite von pollenbefruchteten Pflanzen zu verwenden. Dies garantiert eine genetische Vielfalt und damit eine Kombination von Eigenschaften, die die Anpassung an Wetter und Bodenbedingungen ermöglichen. Lovins und Lovins schreiben: „Die neue Pflanzenkunde zielt darauf ab, die Entwicklung der Pflanzen nicht an ihrem evolutionären, sondern an ihrem wirtschaftlichen Erfolg auszurichten: Überleben nicht der am besten Angepassten, sondern der Fettesten, derer, die am besten geeignet sind, vom Verkauf monopolisierter Produkte in großem Stil zu profitieren.“ (2000)
Aufgrund der massiven Investitionen transnationaler Konzerne in ökologisch zerstörerische Technologien sind sie zu einem mächtigen Faktor geworden, der sich ökologisch vernünftigeren Vorgehensweisen widersetzt. Wesentlich mehr Geld wurde in den letzten zwanzig Jahren in Atomenergie als in Sonnen- und Windenergie gesteckt, vor allem, weil es für die transnationalen Konzerne leichter war, aus dieser zentral kontrollierten Technik (und deren militärischen „Spin-off-Effekten“) Profit zu schlagen. Gleichzeitig haben Ölkonzerne massive Werbekampagnen gestartet, um Zweifel an der Wissenschaftlichkeit der Annahme von der globalen Erwärmung zu streuen, obwohl es unter Wissenschaftlern Konsens ist, dass die Aktivität des Menschen einen deutlichen (und die meisten würden sagen: einen bei Weitem vorherrschenden) Einfluss auf die globale Erwärmung hat.
Natürlich gibt es Konzerne, die tatsächlich die Ökologie fördern. Große Versicherungsgesellschaften machen sich Sorgen über Sturmschäden aufgrund der globalen Erwärmung und betreiben deshalb seit einiger Zeit Lobbyarbeit für eine Reduktion der Treibhausgase. Es gibt viele Konzerne – meist kleinere ‒, die ökologisch besser verträgliche Technologien entwickeln, wie zum Beispiel Solarmodule, Windgeneratoren und Brennstoffzellen. Doch insgesamt widersetzen sich die größten und mächtigsten transnationalen Konzerne alternativen Technologien, wenn sie keine Mittel finden, sie um ihres Profits willen zu kontrollieren und zu beherrschen.
Es ist also klar, dass große transnationale Konzerne immer noch den Hauptteil der Verantwortung für die ökologische Zerstörung tragen, die wir derzeit erleben. Dies wird sich wahrscheinlich nicht ändern, wenn nicht die Art und Weise, wie Konzerne strukturiert und gelenkt sind, einem radikalen Wandel unterzogen wird. Paul Hawken (1993) schreibt, dass Unternehmen von ihrer Bilanz her besser dastehen, wenn sie die Tatsache, dass sie um des heutigen Profits willen die Zukunft bestehlen, einfach ignorieren. Wenn ein Konzern versucht, wirklich ethisch, gerecht und ökologisch zu werden, dann bedingt das Ausgaben, die andere nicht haben. Langfristig gesehen, untergraben viele Konzerne ihre eigene Profitabilität, doch Aktienkurse berücksichtigen selten langfristige Perspektiven.
Korporative Personen in großem Maßstab
Viele Analytiker stellen fest, dass unser derzeitiges Problem mit den Konzernen darauf zurückzuführen sei, dass Gerichte in den USA (und später die anderer Länder) den Konzernen das Recht zugesprochen haben, wie juridische Personen behandelt zu werden. Man hat eine ganze Reihe von Rechten auf sie ausgedehnt, darunter das Recht auf freie Meinungsäußerung und politische Teilhabe. Doch, so zeigt Kalle Lasn auf, Konzerne sind in Wirklichkeit gar keine Personen:
„Ein Konzern hat kein Herz, keine Seele, keine Moral. Er kann keinen Schmerz empfinden. Man kann mit ihm nicht streiten. Deshalb ist ein Konzern nichts Lebendiges, sondern ein Prozess, eine effektive Art und Weise, Einkünfte zu erzielen […]. Um weiter ‚am Leben‘ zu bleiben, muss er lediglich eine Bedingung vorfinden: Sein Einkommen muss seine Ausgaben langfristig übersteigen. Solange dies der Fall ist, kann er auf unbestimmte Zeit existieren. Wenn ein Konzern Menschen verletzt oder die Umwelt schädigt, wird er kein Bedauern und kein schlechtes Gewissen verspüren, denn von seinem inneren Wesen her ist er nicht dazu in der Lage […]. Wir dämonisieren Konzerne wegen ihres unerschütterlichen Strebens nach Wachstum, Macht und Wohlhaben. Doch sie erfüllen nur die Befehle, die ihrer inneren Anlage entsprechen. Genau dafür wurden Konzerne – von uns – geschaffen.“ (1999, 221)
In ähnlicher Weise behauptet Joel Bakan, dass die überdimensionalen korporativen Personen als kranke Wesen geschaffen wurden. Wir können von ihnen nicht erwarten, dass sie sich ethisch verhalten, solange sie in einer Weise strukturiert sind, dass sie wie Psychopathen denken und handeln:
„Von seinem Zuschnitt her schützt das Konstrukt der Korporative die Menschen, welche Konzerne betreiben, vor der gesetzlichen Haftung, indem man dem Konzern – einer ‚Person‘ mit einer psychopathischen Missachtung gesetzlicher Schranken – die Hauptlast der Strafverfolgung aufbürdet […]. Als Psychopath kann der Konzern moralische Gründe, anderen nicht zu schaden, weder anerkennen noch danach handeln. Von seiner rechtlichen Verfasstheit her gibt es nichts, was dem Grenzen setzen könnte, was er in der Verfolgung seiner eigennützigen Ziele anderen antut, und er ist dazu gezwungen, Schaden anzurichten, damit die Einnahmen die Kosten übersteigen. Lediglich die pragmatische Sorge um seine Eigeninteressen und die Gesetze eines Landes legen dem Raubtierinstinkt eines Konzerns Beschränkungen auf, und oftmals reicht das nicht aus, um ihn darin zu stoppen, Leben zu zerstören, Gemeinden zu schädigen und den Planeten insgesamt in Gefahr zu bringen.“ (2004, 79 und 60).
David