Kontrolle. Frank Westermann

Kontrolle - Frank Westermann


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      Mein Alter wollte, dass aus mir ein tüchtiger, ordentlicher, fleißiger Beamter wurde - und ich wollte es auch - damals. Nun, es war nichts draus geworden und er konnte das nicht begreifen. Wie sollte er auch?

      Es war drei Jahre her, seit ich hier gewohnt hatte. Ich kannte Winnie da schon zwei Jahre und ich kannte fast ausschließlich sie. Das beruhte aber auf Gegenseitigkeit. Also zogen wir zusammen.

      Damit ließen wir zwar unser Elternhaus räumlich hinter uns, aber in uns selbst lebte es fleißig weiter. Woher sollten wir auch eine andere Lebensweise nehmen, wir kannten ja nichts anderes. Man hörte zwar ab und zu von irgendwelchen Outsidern, die angeblich versuchten, eine andere Lebensart zu praktizieren, aber wir hielten das meiste davon für Spinnerei und hatten auch keine Möglichkeit, diese Gerüchte zu überprüfen, da wir einfach nicht in Kontakt mit solchen Leuten waren.

      Winnie und ich fochten zusammen und gegeneinander die erbitterten Kämpfe einer eingegrenzten Beziehung aus, die Eifersuchtsszenen, die Wunschträume, die Versöhnungen, die Unterdrücker-Sexualität und vor allem, die alles abstumpfende zäh dahinfließende Gewohnheit. Es war ein einziges Gerangel um Liebesbeweise, eine ewige Konkurrenz, wer was besser wusste oder konnte, furchtbare Angst vor Liebesentzug, da wir glaubten, wir seien aufeinander angewiesen. Wir kamen praktisch gar nicht dazu, uns außer mit unserer Arbeit bzw. dem Studium und unserem häuslichen Kram noch mit anderen Sachen auseinanderzusetzen - eine sehr wichtige Funktion, die eine solche Beziehung damit für die Regs spielt.

      Alles lastete noch immer wie ein großer schwerer Schatten auf mir, ein Teil einer bedrückenden Vergangenheit, Fortsetzung und Höhepunkt aus Kindheit, Schule und allem, was dazugehört. Und eine Erfahrung, die mich auch jetzt noch in meinen Handlungen gehörig beeinflusste, sowohl positiv als auch negativ.

      Dann, unerwartet, traten Leute wie Lucky und Flie in mein Blickfeld. Es war reiner Zufall, dass ich sie kennengelernte. Winnie und ich hatten mal wieder Streit gehabt. Es ging darum, ob ich mich zum Militär melden sollte oder nicht. Ich hielt nichts davon, zu kämpfen und auf andere zu schießen. Außerdem hatte ich Angst, dass ich da total untergebuttert würde. Winnie vertrat die Ansicht, dass es praktisch meine Pflicht sei, mich zu melden, und ich außerdem keine Chance hätte, ohne Militärzeit sehr hoch in der staatlichen Hierarchie zu kommen. Da die Militärs Zulauf genug hatten, war die Entscheidung jedem selbst überlassen, das heißt, Winnie konnte sich letzten Endes nicht durchsetzen.

      Sie schloss sich schimpfend im Schlafzimmer ein, und ich rannte vor Wut kochend auf die Straße in der Absicht, mich irgendwo sinnlos zu besaufen. Ich ging in die erstbeste Kneipe in der City und bestellte ein Bier nach dem anderen. Ich kannte keinen Menschen hier, da wir selten in Kneipen gingen und schon gar nicht in solche. Irgendwann im Lauf des Abends fing sich alles um mich herum an, zu drehen. Ich schaffte es nicht mehr, nach draußen zu kommen und kotzte voll über den Tisch. Das passte anscheinend zwei Typen nicht, und ich sah verschwommen, dass sie Anstalten machten, mich zu verprügeln. Dann kam ein anderer dazwischen. Ich kriegte nur noch mit, wie er versuchte, die beiden zu beruhigen, dann wurde mir so schlecht, dass ich ganz vom Stuhl kippte. Ich wusste nicht mehr, wie ich in Luckys Bude gekommen war, aber er hatte mich den ganzen Weg geschleppt! Den nächsten Tag ging ich auch nicht nach Hause, weil es da nur weiteren Ärger gegeben hätte und Lucky mich im Augenblick weitaus mehr interessierte als Winnie. Bald darauf packte ich meine Klamotten und zog aus. In der ersten Zeit traf ich mich noch öfter mit Winnie, dann nur noch zufällig und jetzt hatte ich sie bestimmt ein paar Monate nicht gesehen. Unsere Lebensweisen hatten sich im Lauf der Zeit so voneinander entfernt, dass wir uns nur noch schwer verständigen konnten, und es auch einfach nicht wollten, da nichts dabei rauskam. Soweit ich wusste, lebte sie seit ungefähr einem Jahr wieder mit einem Typen zusammen in unserer alten Wohnung. Ich kannte ihn nicht.

      Die Denkanstöße, die ich damals bekam, der Strudel der Ereignisse der mich mitriss - alles änderte mein Leben von Grund auf. Ich verstand die Gedanken, Worte und Taten eigentlich erst richtig ne ganze Zeit später, und auch meine Änderung und die Richtung, in die sie zielte, wurde mir erst später bewusst. Auf jeden Fall führte es weg von Studium, Gleichgültigkeit und Winnie.

      Plötzlich stand ich vor Yukas Haustür. Ich musste schon länger hier stehen, war aber so in Gedanken gewesen, dass ich es gar nicht wahrnahm. Ich hatte irgendwie etwas anderes erwartet, aber es war ein Wohnblock wie alle anderen auch. Zögernd stieg ich die Treppen rauf. Sie wohnte schon in der dritten Etage. Ich klopfte. Es dauerte ne Weile, und dann stand sie vor mir mit nassen Haaren und lachte mich an.

      »Komm rein. Ich bin gerade fertig mit Haare waschen.«

      Sie brachte mich in ein großes Zimmer, das unheimlich gemütlich eingerichtet war. Mit dicken bunten Teppichen und selbstgemalten Bildern an der Wand. Ich stellte meine Tasche in die Ecke und setzte mich auf den Boden. Sie setzte sich mir gegenüber. Ihre Haare trieften vor Nässe.

      »Du siehst ja nicht gerade sehr fröhlich aus.«

      »Bin ich auch selten in letzter Zeit. Leider.«

      »Man hat auch nicht viel Grund dazu«, meinte sie verständnisvoll.

      Ihr schien es nicht viel auszumachen, dass ich nicht gerade in bester Laune war. Dann sprang sie wieder auf.

      »Komm mit in die Küche. Ich zeig dir alles und mach erst mal Kaffee.«

      Ich hatte den Eindruck, dass sie ständig in Bewegung sein musste. Irgendwie versucht man wohl immer, sich gleich zu Anfang ein Bild zu machen. Ich musste mich bloß davor hüten, sie nicht in irgendeine Kategorie einzuordnen. Aber das würde mir bei ihr auch bestimmt schwerfallen.

      Auch die Küche war bunt und bequem. Alles in allem passte die Wohnung überhaupt nicht in diesen trostlosen Block.

      »Wie wollen wir das mit dem Zimmer machen?«, fragte ich vorsichtig, während sie Kaffee machte.

      »Ach, es ist ja groß genug. Und wenn wir Ruhe voneinander haben wollen, muss eben einer in die Küche ausweichen.«

      »Na ja, ganz so einfach wird es nicht sein.«

      »Wir werden ja sehen. Du machst dir Gedanken über Sachen, die du nicht vorausplanen kannst.«

      Das stimmte. Ich machte das immer. Und es kam natürlich immer anders, als ich gedacht hatte.

      »Hast du Hunger?«, fragte sie.

      Ich musste zugeben, dass ich ganz schrecklichen Hunger hatte. Andererseits gefiel es mir nicht, dass ich mich wie ein Gast bedienen lassen musste. Aber ich wusste nicht, wo die Sachen waren und konnte es nicht ändern. Aber das würde mit der Zeit auch anders werden.

      Später saßen wir lange zusammen in dem einzigen Zimmer und langsam wurde mir warm. Ich merkte, dass ich mich hier wohlfühlen konnte. Die Gegenstände würden mir vertraut werden und eine Bedeutung für mich bekommen. vielleicht konnte ich mich hier zuhause fühlen.

      Yuka wurde mir schon an diesem Abend vertrauter. Wir sprachen über alles Mögliche, schmusten herum, versuchten uns kennenzulernen und näherzukommen. Es war ein guter Anfang, mal sehen, was draus wurde. Dann gingen wir zusammen ins Bett, und ich wusste, dass wir morgen zusammen aufstehen, essen und zur Arbeit gehen würden.

      Die nächsten Tage wurden ziemlich schwer für mich. Ich musste mich an die Arbeit gewöhnen, und das war reichlich hart. Sie bestand hauptsächlich darin, dass ich den ganzen Tag in riesigen, dreckigen Maschinen rumkriechen musste. Hier putzen und da kratzen, mit Pulvern und Lösungen, die mir fast die Haut verbrannten. Es war wie in einem dunklen Dschungel aus Metall und Plastik. Ich hatte immer Angst, irgendwo steckenzubleiben oder mich ernsthaft zu verletzen. Einige Maschinen waren so groß wie ein vierstöckiges Haus, andere waren zwar kleiner, aber ich musste sie vollständig auseinandernehmen. Da alle in einem bestimmten Turnus gereinigt werden mussten, hatte ich immer alle Hände voll zu tun. Ich hatte den Eindruck, als hätten sie nur auf mich gewartet, weil niemand diese Sauarbeit erledigen wollte. Die Sonne bekam ich selten zu sehen, obwohl ich auf einer offenen Baustelle arbeitete. Dafür schwitzte ich tierisch und fühlte mich jeden Tag wie gerädert.

      Zu allem kam ein Höllenlärm, wenn die Maschinen in Betrieb waren


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