Sklavenjagd. Tomàs de Torres

Sklavenjagd - Tomàs de Torres


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Sie besaß kein einziges »traumhaftes Kleid« und war auch nicht in der Lage, eines zu kaufen – nicht nach den Reparaturkosten für den Wagen. Überdies: Nie und nimmer würde sie in so eine Gesellschaft hineinpassen; sie wüsste sich gewiss nicht einmal korrekt zu benehmen.

      Nein, so gut Teresa es auch gemeint haben mochte – so eine Party war nichts für Dolores Muñoz Carrasco.

      Am Montag ging sie in der Mittagspause wieder zum Essen; zum ersten Mal seit einer Woche. Doch sie vermied ihr altes Bistro; stattdessen schlug sie die entgegengesetzte Richtung ein, in der nach Auskunft einer Kollegin ein Schnellrestaurant liegen sollte. Auf dem ihr bislang unbekannten Weg, höchstens 200 Meter vom Büro entfernt, entdeckte sie einen kleinen Kleiderladen, dessen Auslage sie unwillkürlich innehalten ließ.

      An exponierter Stelle, in der Mitte des Schaufensters, prangte eines der entzückendsten Kleider, die Dolores jemals gesehen hatte. Es war ganz in Samtblau gehalten, ihrer Lieblingsfarbe, und etwa knielang. Die Träger entsprangen in der Mitte, am Brustansatz, und liefen beiderseits des Halses nach hinten. Schultern und Arme blieben frei. Zwischen den Brüsten gab es ein kleines, ovales »Fenster«, das jedoch erheblich mehr der Phantasie des Betrachters überließ, als es tatsächlich zeigte, und das Kleid so – zumindest in Dolores’ Augen – zu einem echten »Hingucker« machte. Es war kein »Traumkleid« und auch kein »superelegantes« Kleid, aber Dolores fand es schlichtweg bezaubernd. Genau das richtige für eine kleine Party …

      Und es kostete nur 99 Euro.

      Plötzlich entstand eine Bewegung hinter dem Schaufenster, und Dolores wandte sich rasch ab und ging weiter. Sie fand das Restaurant, aß so hastig, als ob sie auf der Flucht wäre, und brach dann ebenso hastig wieder auf. Neben dem Eingang zum Restaurant befand sich ein Unicaja-Geldautomat, den sie zuvor nicht bemerkt hatte. Doch nun schien er sie plötzlich magisch anzuziehen. Nach kurzem Zögern fingerte sie ihre EC-Karte aus der Handtasche und hob hundert Euro ab. Immer noch unentschlossen, ob sie das Kleid wirklich kaufen sollte, ging sie weiter.

      Vor dem Schaufenster blieb sie abermals stehen. Es schien, als blicke das Kleid sie an, und nicht umgekehrt. Als sehne es sich danach, sich um Dolores’ Körper schließen zu dürfen, sie mit seinem samtblauen Stoff zu streicheln wie ein sanfter Abendwind …

      Endlich gab sie sich einen Ruck und betrat das Geschäft.

      Als sie fünf Minuten später mit einer Plastiktasche in der Linken auf dem Rückweg ins Büro war, kam sie nicht umhin, sich zu fragen, was für ein Kleid sie wohl gekauft hätte, wenn sie über 100.000 Euro verfügte. Überhaupt dachte sie in diesen Augenblicken zum ersten Mal seit dem Treffen mit Verdugo an das Geld, mit dem er sie zu locken versucht hatte. 100.000 Euro! Das war eine für sie gerade noch vorstellbare Summe, wenn sie diese auch niemals würde ansparen können. Eine Million hingegen war nur eine abstrakte Zahl, eine Eins mit sechs Nullen, mehr nicht. Von hunderttausend Euro könnte sie, vorsichtig geschätzt, sechs bis sieben Jahre leben – wenn die Zinsen stiegen und sie einen Teil längerfristig anlegte, vielleicht sogar zehn Jahre. Schließlich war sie ein sparsamer Mensch. Und sie könnte die geschenkte Zeit nutzen, sich eine neue Arbeit zu suchen, sich vielleicht auch besser zu qualifizieren, denn dazu war sie mit ihren 27 Jahren noch nicht zu alt.

      Und sie könnte sich – möglicherweise! – von Jorge lösen …

      Unfug!, schalt sie sich. Träume sind Schäume!

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