Salomos Söhne. Philomène Atyame

Salomos Söhne - Philomène Atyame


Скачать книгу
ein Mann, der nicht viel über die Erziehung eines Mädchens weiß.«

      Nane Abe war ein schweigsames Mädchen, widersprach ihrem Vater nie, selbt wenn er im Unrecht war. Sie blieb zuhause. Tage und Nächte vergingen. Wieder ein Tag, wieder eine Nacht. Nane Abe ließ sich nicht sehen. Erst nach Wochen wagte sie wieder hinauszugehen und längere Strecken über die einzige Dorfstraße zu gehen, um Nachbarn zu besuchen, die sich über ihr Verhalten beschwerten, über ihren »Rückzug aus dem Gemeinschaftsleben«, wie sie das nannten. Welch ein großes Wort! Gemeinschaftsleben. Dieses Wort bedeutet mehr als sich nur besuchen: Es verpflichtet die Menschen, Behinderte zu versorgen, zu pflegen, zu beschützen, zu unterhalten. Jedoch, in Meyozo fühlte sich nur ein Mann dazu verpflichtet: Vamba Essono Medjo, Nane Abes Vater. Die anderen redeten nur vom Gemeinschaftsleben. Oooh! Sie hatten keine Ahnung davon. Hätten sie etwas darüber gewusst, dann hätten sie dafür gesorgt, dass nicht Nane Abe, sondern sie selbst sich regelmäßig auf den Weg machten, um Nane Abe zu besuchen.

      Aber sie blieben in ihren Häusern, aus Angst vor Nane Abe, die sie für eine kleine Hexe hielten. Nane Abe besuchte sie, bis sie die Kinder wieder traf. Überrascht hörte sie einige »Entschuldigung, Verzeihung« sagen, auf Anweisung ihrer Eltern, denn sie blieben ungezogen. »Mon Evou, Mon Evou«, riefen sie wieder, bis Nane Abe das Dorf verließ. Sie wollte die Kinder von Meyozo, ihrem Geburtsort, nicht mehr sehen, und sie sah sie nie wieder, denn mit Unterstützung ihres entsetzten Vaters zog sie zu einer Verwandten nach Mbaangok und kehrte nie wieder heim.

      Dort lernte sie Vamba Obeme kennen. Mit ihm, dem Sohn von Afane, wollte sie ihren Schicksalsschlag bewältigen, sie wollte beweisen, dass sie kein außergewöhnlicher Mensch war, auch wenn sie ein Bein nachziehen musste, wollte beweisen, dass sie ein normales Leben führen konnte. Sie träumte, schwärmte vom Eheglück. Sie sehnte sich so danach! Und sie fand es! Sie verliebte sich in Vamba Obeme, billigte später freudig seine Heiratsabsicht und ließ sich mit ihm trauen.

      Ein Traummann! Auch einer von den wenigen in jener Zeit! Er verwöhnte sie Tag und Nacht, erleichterte ihr das Leben, übernahm mehr als die Hälfte der ursprünglichen Frauenarbeiten, holte täglich Wasser von der Quelle, putzte, kochte an manchen Tagen, machte die schwersten Feldarbeiten und trug jeden Abend Nane Abes Hotte vom Feld nach Hause, was üblicherweise kein Mann aus Mbaangok tat. Durch dieses große Eheglück gewann Nane Abes Leben einen neuen Sinn.

      Aber ihr Eheglück war nur von kurzer Dauer. Nane Abe wurde schwanger, hatte kaum den ersten Hoffnungsschimmer des Mutterglückes gesehen, da lag sie gelähmt, Zwillinge im Bauch einer so zarten Frau, das konnte nicht gut ausgehen. Sie musste liegen, wie ihre Mutter, bis sie starb, wie ihre Mutter. Die schwierige Schwangerschaft Nane Nkolo Medjos endete mit einer schweren Geburt im Koma. Auch Unannehmlichkeiten begleiteten Nane Abes Schwangerschaft bis zum letzten Atemzug.

      Das erste Kind starb im Mutterleib. Es war zwei Uhr morgens. Nane Abe lag in einem Geburtsbett im Krankenhaus der Mission von Ebolowo’o. Man hörte Neugeborene in dem Kreißsaal weinen, während ein ungeborenes Kind im Bauch seiner Mutter erstickte. Entsetzt, aber nicht überrascht, sah die Geburtshelferin ein lebloses Baby kommen, ein Mädchen. Das zweite Kind lebte noch, das wusste die Geburtshelferin. Aber Vamba Obeme wusste es nicht, machte sich wieder Sorgen, rechnete schon mit einem zweiten Toten, als das Kind sich meldete. Die Krankenschwestern hatten schon das tote Baby gewickelt und es Vamba in einem Korb überreicht, als sie den Kopf des zweiten Kindes sahen. Schnell kehrten sie zu dem Kommenden zurück, den sie ohne große Mühe herausholten. Mit lautem Geschrei begrüßte Opa Otam seine neue Welt. Aber neben dem schreienden Kind lag eine tote Frau. Nach einer Doppelgeburt erlag meine Urgroßmutter ihren Schmerzen. Meine Mutter erzählte, dass Nane Abe mit dreißig verstarb.

      »Gott, musste das sein?«, fragte ich.

      »Was?«, forschte meine Mutter.

      »Musste sie schwanger werden?«

      »Ada, jede Frau wünscht sich ein Kind, weil Kinder so niedlich sind, kleine unschuldige Wesen. Kinder sind ein Geschenk Gottes! Auch Abiaye Abe wollte ein Kind, daran gibt es keinen Zweifel, sonst hätte sie Obeme nicht geheiratet.«

      »Ich meine, Vamba Obeme liebte sie, er wusste aber auch, dass sie nicht viel Kraft hatte.«

      »Das stimmt, aber – das wirst du später verstehen – die Liebe macht blind. Obeme liebte Abiaye Abe so sehr, dass er sich Kinder von ihr wünschte, um den Yemezem zu zeigen, dass auch er ein Mann ist, ich meine, dass auch er zeugungsfähig ist. Er konnte das spöttische Lachen seiner Onkel und Vetter nicht mehr aushalten. Die Yemezem, seine eigenen Verwandten, lachten ihn aus, weil er nur eine Frau hatte, eine behinderte noch dazu, die – das glaubten sie am Anfang – kein Kind gebären konnte. Schlimmer war sein Vater Afane, ein Mann mit sechs Frauen und zweiundzwanzig Kindern, der immer darüber jammerte, dass sein erster Sohn Obeme kein Mann wäre.«

      »Aber Mama, eine Sache verstehe ich immer noch nicht: Wie konnte Vamba Obeme Nane Abe lieben?«

      »Kind, wieso nicht? Dein Vamba war nicht der einzige, der Abiaye Abe liebte. Auch diese Yemezem, die Obeme auslachten, liebten sie, selbst wenn sie es heute nicht zugeben. Abiaye Abe war sehr hübsch. Das kann man noch aus ihren alten Fotos sehen. Obeme hat noch einige. Außerdem, das muss ich dir noch sagen, Abiaye Abe war nicht schwer behindert. Sie hatte eine leichte Behinderung, die bei einer so hübschen Frau wie sie gar nicht auffiel. Ich glaube, sie hätte auch ohne tödliche Folge ein Kind gebären können, aber Zwillinge waren ihr zu viel … Wie gesagt, Obeme liebte sie und wünschte sich Kinder von ihr. Schwierigkeiten bei der Geburt hat er leider nicht geahnt, oder er hat sie geahnt und mit einem Wunder gerechnet.«

      »Das ist alles sehr traurig«, bemerkte ich.

      »Ja, dein Vamba ist deswegen bis heute ein sehr trauriger Mann. Nach Abes Tod verfiel Obeme in Schwermut. Seine Schuldgefühle verbitterten ihn Tag und Nacht. Man konnte es in seinem Gesicht sehen, und man sieht es ihm immer noch an. Obeme hat nach Abes Tod viel gelitten. Das Schlimmste für ihn war, was die Leute über ihn und seine verstorbene Frau erzählten. Allerlei Geschichten: Obeme sei ein Dämon, habe deswegen eine Hexe geheiratet. Hexen sterben immer, wenn sie gebären. Sie sterben immer mit ihrem Kind. Otam habe nur überlebt, weil er ein Zwilling ist und so weiter. Das Gerede verbitterte Obeme so sehr, dass er niemanden mehr sehen wollte. Seine Ehe mit Abes jüngster Kusine, Otams Stiefmutter – sie hieß Issama – änderte nichts daran. Obeme war so verbittert, dass er ein ganzes Jahr in seinem Haus eingeschlossen lebte, ohne zu merken, wie seine neue Familie, das Baby und seine Stiefmutter darunter litten. Hübsch war Issama, Otams Stiefmutter, aber Obeme liebte sie nicht. Sein Kummer war zu groß, um wieder eine Frau zu lieben. Erst nach einem Jahr kam Obeme wieder zu Kräften, widmete seinem Kind und nur seinem Kind immer mehr Zeit. Bis zum letzten Tag ihres Lebens gelang es der wunderschönen Issama nicht, sein Herz zu gewinnen.

      Otam machte schon seine ersten Schritte, als er die volle Zuneigung seines Vaters gewann. Zuerst fielen Obeme die Augen des Kindes auf, danach seine Nase und sein Mund. »Er ist ganz seine verstorbene Mutter! Ganz meine Abe! Ein hübscher Junge!«, rief er immer, wenn man ihn darauf aufmerksam machte. »Ich liebte ihn über alles, er bedeutete mir alles. Er ist der einzige Mensch, der mich am Leben erhalten hat«, verriet mir Obeme eines Tages. »Ich wollte ihn nicht allein lassen, aber ich wollte mich bestrafen, durch einen Selbstmord. Es hört sich grausam an, aber ich wollte es tun, um meiner Schuld ein Ende zu setzen, um mich von diesen quälenden Gefühlen zu befreien. Aber das wäre ein neues Vergehen gewesen, das zweite nach Abes Tod, die Flucht vor meiner Verantwortung gegenüber meinem Sohn, eine neue Schuld, von der der liebe Gott mich nie befreit hätte … Abe ist mit Gewissheit im Himmel, ich aber wäre in die Hölle gekommen. Aber, wie du siehst, ich lebe noch, ich habe meine Pflicht getan. Jetzt bin ich frei. Otam ist ein besonders lieber Vater, er hat ein sehr gutes Herz. Er ist leider kein verantwortungsbewusster Mann. Ich bin nicht so stolz auf ihn, aber immerhin froh, dass er gutmütig ist. Dafür danke ich Issama, seiner Stiefmutter. Auch Issama hat ihre Pflicht getan, hat mich in der Erziehung Otams viel unterstützt. Sie starb vor zwei Jahren. Möge der liebe Gott mir verzeihen, dass ich nie Zeit genug für sie hatte. Und möge der liebe Gott, wenn ich tot bin, Otams Erziehung im besten Sinne vollenden. Meine Zeit ist gekommen. Ich warte nur noch auf den Tag, an dem Gott mich rufen wird.«

      »Armer Vamba!«,


Скачать книгу