Sternentage. Frank Westermann
Aber vielleicht war das ein Weg, die Situation in den Griff zu kriegen.
So blöd Luckys Vorschlag klang, was anderes fiel mir auch nicht ein. So baute ich mich vor dem Kasten auf und sprach ihn direkt an:
»Wir hätten gern Material über die Kurzos.«
Sofort öffnete sich an der Vorderseite der Konstruktion ein Schlitz, und ein Streifen buntes Papier schoss daraus hervor. Lucky lachte aus vollem Hals.
»Sehr witzig«, knurrte ich. Dann stockte ich: »Moment mal, Lucky, wenn du lachen kannst ...«
Er brachte ein paar Laute hervor, dann reichte er mir seinen Block.
»Ich sag ja, mit etwas Übung dauert es nicht mehr lange. Aber was fangen wir jetzt damit an?«
Er zeigte auf den Computerausdruck.
»Achtung! Übersetzung!« schnarrte es plötzlich von meinem Handgelenk.
»He, der kann wohl auch lesen!« rief ich aus.
Und tatsächlich las uns mein Übersetzer die Daten der Positronik von dem Papierstreifen ab:
»Möchtet ihr alles per Monitor oder lieber Akten/Papier/Unterlagen?«
Wieder kriegte ich den Block von Lucky: »Die Computersprache ist mir näher als das Kurzo-Kauderwelsch.«
»Tja, merkwürdig«, murmelte ich. »Aber vielleicht ist das eine freie Übersetzung. Und ich denke, wir nehmen den Monitor. Und, wenn's geht, bitte eine Kurzfassung.«
Der Computer spuckte einen neuen Streifen aus.
»Okay«, übersetzte mein Übersetzer.
»Ob da wirklich ›Okay‹ draufsteht?« fragte Lucky.
Ich wusste es ebenso wenig und gab ihm den Block zurück. »Diese Übersetzer werden mir direkt unheimlich.«
Im nächsten Moment sprang ich erschrocken zurück. Es klickte und knackte um uns herum und in der Mitte des Raumes schob sich ein Pult aus dem Boden, auf dem eine Art Fernsehschirm montiert war.
»Puh!« stöhnte ich. »Vor Überraschungen kann man hier nie sicher sein. Aber ich glaube, jetzt geht es los mit den Informationen.«
»Und wieder keine Sitzgelegenheit«, ergänzte Lucky.
Dann flimmerte der Bildschirm und die ersten Schrift- und Farbzeichen erschienen. Diesmal übernahm Luckys Übersetzer die Verständigung.
»Kurzos: Heimatplanet Syn-Kuro im Sternsystem Syn-Al-Tysk.
Gehört zu den Dunkelwelten der Galaxis. Grobeinteilung der Spezies: humanoid, Arbeiter. Das Volk gehört der Interstellaren Handelsvereinigung und den entsprechenden Sicherheitsorganen an. Sonst keine Zugehörigkeit zu intergalaktischen Organisationen. Die Kurzos leben sehr zurückgezogen und beteiligen sich, soweit bekannt, nie an Konflikten unter verschiedenen Völkern. Kaum Militär oder Schutztruppen. Wenig Kontakt zu anderen humanoiden Sternenvölkern. Unbestätigte Vermutungen für Beziehungen zu Völkern oder Wesen der C-Rubrik (nicht einzuordnende Spezies). Einzeln leben die Kurzos extrem individuell. Sie schließen sich nur zu »Aufträgen« zusammen. Weitere Besonderheiten: unklare Regierungs- und Hierarchieformen, ungeklärte Leidenschaft für eine Art »Spiel« (zusammen mit dem Volk der Renen), differierende Geschlechterzugehörigkeit im Zusammenhang mit einem religiösen Kodex.
Quelle dieser Kurzinformation: Handbuch der intergalaktischen Völker, ihrer Formen, Organisationen und Einrichtungen mit einem Zusatzabschnitt über Kuriositäten.
Damit endete die Information.
»Viel schlauer als vorher sind wir nun auch nicht«, sagte ich langsam. »Da muss man wohl erst die größeren Zusammenhänge wissen, bevor einem das etwas nützt. Auf jeden Fall ist es ganz schön kompliziert, sich da zurecht zu finden.«
»Aber dies ist doch erst unser erster Tag hier«, beschwichtigte Lucky. »Was erwartest du? Nicht nur eine völlig fremde Zivilisation kennenzulernen, sondern gleich galaxisweite Zusammenhänge?«
»Ich weiß, ich weiß, aber das hilft mir auch nicht weiter.« Ich wandte mich nochmal dem Computer zu. »Kann man hier ein Bild von außerhalb des Raumschiffs kriegen?« fragte ich aus einer Laune heraus.
Die Art der Antwort verblüffte mich erneut: Die rückwärtige Wand des Raumes wurde völlig schwarz und verwandelte sich in eine riesige Projektionsfläche. Es erschienen zunächst ein paar Lichtpunkte, dann ein silbriges Band, das sich aus Millionen Sternen zusammensetzte: die Milchstraße. Das Bild wechselte.
»D.. die Sonne!« stammelte Lucky.
Tatsächliches wurde es hell im Archiv. Rechts im Bild der Feuerball unserer Heimatsonne. Die Erde war nicht zu sehen, aber ein paar andere Planeten. Saturn konnte ich auf jeden Fall erkennen und in den anderen vermutete ich Jupiter und Neptun.
In der Aufregung war es mir fast entgangen, dass Lucky gesprochen hatte. Ich klopfte ihm auf die Schulter.
»Du machst ja Fortschritte.«
Wir starrten weiterhin gebannt auf den Bildschirm - so ganz abgebrüht waren wir also doch nicht, dass uns das nicht mehr beeindrucken konnte - und erlebten so mit, wie die Sonne und die Planeten langsam kleiner wurden. Ein dumpfes Gefühl machte sich in meinem Magen breit und wieder stand ich kurz vorm Heulen, als das Bild total grau wurde. Dann erlosch die Projektion ganz und aus der Positronik ratterte ein neuer Lochstreifen.
»Lichtsprung in die Grauzone,« erläuterte mein Übersetzer.
»Tja, nun wird's wirklich Sci-Fi-mäßig«, murmelte ich. »Ich nehme an, wir haben jetzt Überlichtgeschwindigkeit oder sowas.«
Nachdenklich standen wir eine Zeit in dem dunklen Raum herum. Jetzt war die Verbindung zur Erde endgültig abgerissen. Eine Umkehr war unmöglich. Mitten in unsere düsteren Überlegungen hinein erscholl plötzlich eine Lautsprecherstimme:
»Obechan-Kol bittet die Erdbewohner, sich in Sektion blau/hellgelb/orange einzufinden. Ich möchte meinen Gästen ihre Quartiere zeigen.«
»Das kommt gerade richtig«, seufzte ich. «Ich bin total geschafft. Hoffentlich gibt es keine Probleme mit der Unterbringung. Aber sie hätten uns wohl kaum mitgenommen, wenn sie das nicht arrangieren könnten. Und was zu essen könnte ich auch gut gebrauchen. Also, wie war das? Blau/hellgelb/orange. Mal sehen, ob wir das mit unseren beschränkten Sinnen auseinanderhalten können. Aber eins ist sicher: hier im Archiv war ich nicht das letzte Mal. Hier lagert wahrscheinlich alles, was wir wissen wollen. Man muss nur die richtigen Fragen stellen.«
»... auch rech ...«, brachte Lucky hervor.
Unglaublich, dass er noch die Energie aufbrachte, seine Stimme wiederzubekommen! Nacheinander traten wir wieder auf den Gang. Wieder wirkte auf mich alles kahl und fremd. Ich zweifelte daran, dass wir uns hier irgendwann heimisch fühlen konnten. Na, abwarten ...
Die Farbunterscheidungen machten uns zwar zu schaffen, aber nach mehrmaligem Fragen erreichten wir einen Sektor, der tatsächlich ganz in blau/hellgelb/orange gehalten war. Auf dem Weg hierher hatte ich den Eindruck bekommen, dass es mindestens zwanzig verschiedene Nuancen jeder Farbe gab. Sie waren für unsere Augen kaum mehr wahrnehmbar.
Obechan-Kol erwartete uns in einer Nische.
»Ich hoffe, euer Besuch im Archiv war von Erfolg gekrönt«, empfing er uns.
Manchmal hegte ich die Vermutung, dass etwas mit unseren Übersetzern nicht stimmte. Wie konnte man nur so einen Satz formulieren? Aber da Luckys Gerät immer synchron übersetzte, war auch das unwahrscheinlich. Es lag wohl einfach an der Schwierigkeit der Kommunikation zwischen zwei völlig verschiedenen Kulturen. Wer weiß, wie unsere Sätze für die Kurzos klangen. Vielleicht waren wir bereits als ungehobelte Burschen eingestuft.
Obechan-Kol führte uns zu einem Raum - oder musste man hier von Kabine sprechen? -, der entfernte Ähnlichkeit mit einem beliebigen, wahllos eingerichteten Zimmer auf der Erde aufwies: zwei gepolsterte Stühle(!),