Sternentage. Frank Westermann

Sternentage - Frank Westermann


Скачать книгу
wie der Kurzo uns erklärte. Sie hatten sich bestimmt ganz schön Mühe gegeben, denn ich war überzeugt, dass sie diese Möbelstücke extra für uns irgendwie aufgetrieben oder hergestellt hatten. Wahrscheinlich sahen ihre Räume nicht im entferntesten diesem ähnlich.

      »Nun fehlt nur noch das Bad«, teilte Lucky mir mit und ich übermittelte es Obechan-Kol.

      Wieder fiel die Verständigung schwer. So etwas wie Waschen kannten die Kurzos offenbar nicht. Schließlich gelang es uns, dafür zu sorgen, dass wir jede »Wachperiode« (auch ein Kurzo-Ausdruck) mehrere Behälter warmes und kaltes Wasser bereitgestellt kriegten. Zum Glück besaßen sie eine ähnliche Einrichtung wie ein Klo. Es wäre uns sicher schwer gefallen, auch noch diese Notwendigkeit korrekt zu beschreiben.

      Nachdem uns der Kurzo verlassen hatte, ließen wir uns erschöpft auf die Stühle fallen.

      »Mann, bin ich müde,« stöhnte ich.

      Lucky nickte bestätigend. Wir nahmen noch ein paar Happen eines undefinierbaren Essens - schmeckte etwas nach Kohlrabi - zu uns, hofften, dass es uns nicht vergiftete, dann legten wir uns schlafen.

      Unserer Neugier waren halt auch Grenzen gesetzt. Trotzdem schlief ich schlecht, denn es war dermaßen viel Neues auf uns eingestürmt, dass mein überfordertes Gehirn mir ein Dutzend Alpträume bescherte.

      In den nächsten Tagen beschränkten wir uns hauptsächlich darauf, den näheren Bereich um unsere Kabine zu erforschen. Wir lernten aber nur sehr schwer uns zurechtzufinden. Dabei machten uns nicht nur die Farbmarkierungen zu schaffen - des Öfteren verliefen wir uns, weil wir sie nicht auseinanderhalten konnten -, sondern auch die völlig fremdartige Bauweise und Einrichtung des Raumschiffs. Wir übersahen Abzweigungen von Gängen, die überhaupt nicht gekennzeichnet waren, die Funktion von diversen Tunneln und Plattformen blieb uns fremd, unvermittelt tauchten riesige Maschinen und Aggregate vor uns in den Gängen auf, hinter ganz normalen Türen verbargen sich in allen Farben schillernde Abgründe und dergleichen Merkwürdigkeiten mehr.

      Selbst die Erklärungen der Kurzos, die wir danach befragten, verstanden wir selten, und nachdem ich einmal fast in eines dieser Löcher gefallen wäre, gingen wir noch vorsichtiger vor. Am einfachsten erwies es sich immer noch, einer bestimmten Farbkombination zu folgen, um ans Ziel zu gelangen.

      Das Raumschiff verfolgte unterdessen weiterhin einen uns unbekannten Kurs. Als wir Obechan-Kol um weitere Informationen über den Zielpunkt der Reise fragten, sprudelte er einen für uns unverständlichen Wust an Sätzen hervor, der uns nicht im Geringsten weiterhalf. Allmählich begann ich mich zu fragen, ob dieser Überlichtflug mit seinen kurzen Orientierungsstops überhaupt einen Sinn für uns haben konnte.

      Luckys Bemühungen, seine Sprache zurückzugewinnen, zeigten schon bald durchschlagenden Erfolg. Es drängte ihn danach, mir von seinen Erlebnissen aus der Zeit zu erzählen, wo ich mich in der anderen Realitätsebene aufgehalten hatte. Diese Rekonstruktion seiner Vergangenheit war sicher auch wichtig, damit er die Schreckenszeit von Bergotos verarbeiten konnte. All das wiederzugeben, würde wahrscheinlich ein ganzes Buch füllen.

      Unter dem vom Beobachter veränderten Einfluss des Buches hatte er eine Art Realitätsverlust erlitten, d.h. er konnte sich nicht mehr an einer bestimmten Realität orientieren. Als Folge davon driftete er in mehr oder weniger kurzen Zeitabschnitten durch eine Unmenge von Realitätsebenen, was ihn psychisch total fertigmachte, zumal er sich damals diesen Vorgang überhaupt nicht erklären konnte. Kaum hatte er sich auf eine veränderte Umgebung eingestellt, wurde er schon wieder in eine andere Realität gerissen. Alle diese Wechsel geschahen überraschend. Sie ließen sich nicht steuern. So war auch sein Auftauchen in der Realität zu erklären, in der ich mich befunden hatte. Auch er war ja zunächst mit dorthin verschlagen worden, aber plötzlich auf unerklärliche Weise verschwunden. Schließlich war er wieder in unserer Ursprungsrealität gelandet und dort in völlig aufgelöstem Zustand verhaftet und nach Bergotos eingeliefert worden. Die Realitätswechsel endeten dort, ähnlich wie ich wieder in der Ursprungsrealität gelandet war.

      So lautete jedenfalls Luckys Erklärung für das Phänomen und ich hatte keinen Grund daran zu zweifeln. Trotzdem blieben eine Menge Fragen offen:

      Wurden alle, die den Übergang in die Stammeswelt mitgemacht hatten, irgendwann wieder in die alte Realität zurückversetzt?

      Wenn ja, was geschah dann mit den Doppelidentitäten? Ich hatte immerhin Flie und Winnie in zwei Realitäten erlebt.

      Oder waren Lucky und ich besondere Fälle, wobei bei mir der starke Wunsch nach einem Handeln in sozialen und politischen Zusammenhängen eine Rolle gespielt hatte?

      Diese und andere Fragen hätte uns höchstens ein Beobachter beantworten können und sowohl der erste als auch Adlerauge hatten ihre Mission beendet. Ich bezweifelte allerdings, ob wir selbst mit Hilfe eines Beobachters imstande waren, dieses Zusammenspiel von anscheinend subjektiven und objektiven Realitäten zu erfassen. Aus Gründen unserer eingeengten Sozialisation waren wir bestimmt zu verkorkst, um sowas verstehen zu können.

      Mir hatten ja schon Traumschwesters Erklärungen erhebliche Schwierigkeiten bereitet.

      Ein weiteres Problem war für mich die Aufarbeitung der Zeit, die ich auf den Südlichen Inseln verbracht hatte.

      Dort hatte ich zwar zum ersten Mal das Gefühl gehabt, mich nicht nur für mich sinnvoll politisch und persönlich zu engagieren, aber das unrühmliche Ende dieser Phase steckte mir doch sehr in den Knochen. Wie hatte es nur so schnell zum Abbruch jeglicher verbindlichen Beziehungen kommen können? Die Gruppe war unter dem Repressionsdruck von außen und den starken inneren Spannungen wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen. Nach Lercs Tod und dem Abbruch der Beziehung zu Jenka hatte ich mich gefühlt wie ein einsames Blatt im Wind und wusste weder aus noch ein. Lucky hatte da ein paar gute Gedanken, die mich auf die Spur meiner Unzufriedenheit brachten.

      »Vielleicht haben euch die Anfangserfolge ein ganz falsches Bild von eurer Gruppe geliefert«, meinte er. »Ihr wart nie die militanten Kämpfer, die ihr sein wolltet, auch wenn ihr euch das so lange eingeredet habt. Als dann die ersten Misserfolge eintraten, konntet ihr die Zerstörung dieses Bildes nicht verkraften.«

      »Genau«, stimmte ich ihm zu. »Vor allem, weil wir die Misserfolge nicht verarbeiten konnten. Wir hatten kaum jemals über uns persönlich geredet, so dass die miese äußere Situation nur zu einer noch mieseren inneren führte. So kam es dann auch zu den Verzweiflungstaten von Lerc oder Hancos. Das waren ja totale Alleingänge, weil niemand vom anderen wusste, wie er oder sie sich fühlte.«

      »Tja, und genau so ein Alleingang war dein Rückzug auch. Wahrscheinlich wärst du hinter deinen Büchern verstaubt, wenn du mit Jungos Hilfe nicht auf Pantar gestoßen wärst.«

      »Ein sehr nettes Bild«, knirschte ich missmutig. »Aber es passt wohl ganz gut. Was mir noch wichtig erscheint, ist, dass ich trotz aller Zusammenhänge nie ein so starkes Selbstbewusstsein entwickelt hatte, dass ich mich über Wasser halten konnte. Ich habe mich vielen in der Gruppe nie ebenbürtig gefühlt und meine Beziehung zu Jenka war zum Schluss doch sehr von Eifersucht und Selbstmitleid geprägt gewesen. Wahrscheinlich habe ich mich immer zu sehr an andere Leute rangehängt, in der Stammeswelt waren es Willoc, Adlerauge und Traumschwester und auf den Inseln Lerc und die Gruppe. Klar, es ist wohl gut, solche Freunde zu haben, aber man darf nicht von ihnen abhängig sein, in so Beziehungskisten merkt man das ja besonders.«

      »Leicht gesagt«, gab Lucky zu bedenken. »Aber schaff diese Gratwanderung erstmal. Hast du schon mal einen total unabhängigen Menschen erlebt, der nicht eifersüchtig oder deprimiert werden kann? Dazu sind die gesellschaftlichen Zustände doch auch wieder viel zu schlecht. Wahrscheinlich packt man das nur, wenn man erlebt hat, dass man sehr viel Vertrauen zu sich selbst haben kann, und dass einen die Repression von außen nicht fertigmachen kann.«

      »Na, das ist ja schon bald eine Idealvorstellung: du kannst doch sehen, wie immer wieder alles auseinandergefallen ist: das Camp, die Wohngemeinschaft, die Gruppe, Change ... Letzten Endes sind die Herrschenden immer nur etwas angekratzt worden und wir mussten aufstecken.«

      »Du spinnst doch!« protestierte Lucky. »Du hast


Скачать книгу