Sternentage. Frank Westermann
»Wahrscheinlich ist es doch das beste, wenn wir zur Erde zurückkehren«, schlug ich vor.
»Damit sprichst du nur das aus, was wir beide wohl schon die ganze Zeit denken«, meinte Lucky trocken.
»Ja, ich glaube, das hier ist einfach zu viel für uns. Und irgendwo müssten wir doch auf der Erde einen neuen Ansatzpunkt finden. Fragt sich halt nur, wie wir dahin kommen.«
Genau das war unser Problem und auch die nächsten Tage brachten uns in dieser Hinsicht keinen Schritt weiter. Dafür hatten wir genug andere Sachen zu tun. Lucky erklärte mir die Steuerung des Bootes und alles, was er sonst
über die technische Einrichtung wusste. Doch selbst der Computer konnte uns nicht weiterhelfen, auch wenn wir ihn noch so sehr mit uns bekannten Sternbildern fütterten. Er fand einfach keine Anhaltspunkte für eine Standortbestimmung.
Weiterhin musste Lucky zugeben, dass er nicht wusste, wo sich ein Funkgerät befand und wie es aussah. Wir suchten immer wieder danach, scheuten aber davor zurück, einfach eines der vielen geheimnisvollen Geräte auszuprobieren. Nicht, dass wir aus Versehen eine Selbstzerstörungsanlage in Gang setzten.
Weiterhin bauten wir, so gut es ging, den Aufenthaltsraum und die Pilotkanzel um. Wir zerlegten die Kurzo-Einrichtung in ihre Einzelteile und bastelten Sitzgelegenheiten und einen kleinen Tisch. Nervig war auch, dass es keinerlei sanitäre Anlagen gab. So nahmen wir zum Waschen wasserähnliches Zeug, das normalerweise den Kurzos als Lieblingsgetränk diente. Der meiste Abfall konnte auch einer Wiederaufbereitungsanlage zugeführt werden. Alles übrige kam ganz einfach in den Triebwerkskonverter. Der schluckte das ohne Mühe.
So vergingen ungefähr zwei Wochen buchstäblich wie im Flug. Wir hatten immer was zu tun oder zu erzählen und drängten unser eigentliches Problem damit auch schön in den Hintergrund. Natürlieh machte sich das irgendwann bemerkbar und schließlich grübelten wir nur noch darüber, welchen Weg es gab, unsere festgefahrene Situation zu ändern. Fest stand nur eins: dadurch dass wir uns hier einfach weiter durch den Weltraum treiben ließen, änderten wir nichts.
Ab und zu kam es in der Enge auch schon abwechselnd zu Aggressionsausbrüchen, bis Lucky vorschlug, einfach aufs Geratewohl einen Punkt anzufliegen, in der Hoffnung, irgendwann eine Sternkonstellation zu finden, die der Computer identifizieren konnte. Ich stimmte zu, weil es einfach keine andere Möglichkeit gab, und wusste dabei, dass auch diese Methode angesichts der riesigen Ausdehnung der Milchstraße ewig zu keinem Ergebnis führen konnte. Aber dieses Handeln war auf alle Fälle besser als das untätige Herumsitzen.
Wir suchten uns also einen Stern heraus und flogen los. Dabei wechselten wir uns ab beim Steuern und Instrumente
beobachten. Die Treibstoffvorräte waren groß genug und wir führten unsere Suche hauptsächlich mit kurzen Sprüngen durch die Grauzone durch. Schließlich hatte es wenig Zweck mit Unterlichtgeschwindigkeit durch die Gegend zu »schleichen.«
So ging das einige Tage: Eintauchen in die Grauzone, auftauchen und beobachten. Jedes Mal wenn wir ein paar Sternen näher gekommen waren, waren wir voller Hoffnung und warteten fieberhaft auf die Auswertung des Computers.
Aber es gab immer nur ein Ergebnis: negativ!
Wir wurden von Mal zu Mal deprimierter, sprachen kaum noch ein Wort miteinander und erledigten bald einfach nur noch die Routine. Irgendwann hatte Lucky einen Verzweiflungsausbruch. Danach heulte er stundenlang, und ich wusste nichts, außer stumm daneben zu sitzen. Ich selbst war zu kaputt, um ihn irgendwie trösten zu können. Und dabei waren erst ein paar Wochen vergangen, eine lächerliche Spanne angesichts der Wahrscheinlichkeit eines Erfolges. Aber wenn sich nicht bald etwas änderte, würden wir beide mit den Nerven am Ende sein.
Doch so ging es erstmal routinemäßig weiter: rein in die Grauzone, raus, wieder nichts und nochmal von vorn. Was blieb uns schon anderes übrig?
Zwei Tage später geschah es dann. Ich hatte gerade »Dienst« im Pilotraum und das Boot befand sich seit einigen Minuten in der Grauzone, da wurde es plötzlich von einem heftigen Schlag erschüttert. Es knirschte und krachte. Ich flog aus dem Sitz und verstauchte mir die Hand, als ich gegen die Wand prallte. Dann wurde das Boot ohne unser Zutun aus der Grauzone gerissen und auf den Monitoren erschien der normale Weltraum, wie er uns schon zum Hals raushing.
Lucky stolperte herein. Er blutete aus dem Mund.
»Was zum Teufel ...?«
Aber ich starrte wie gebannt auf einen »Gegenstand«, der sich auf dem Frontbildschirm abzeichnete.
»Was ist denn das für eine Behausung?« fing sich Lucky wieder.
Das Ding sah aus wie ein metallisch glänzender Felsbrocken, bizarr und mit allerlei Kanten und Vorsprüngen. Automatisch las ich die Anzeigen ab.
»Ausdehnung etwa 50 mal 70 mal 80 Meter, starke energetische Aktivität, metallähnliche Struktur. Mit den anderen Anzeigen kann ich nichts anfangen.«
Lucky setzte sich neben mich. »Laß mal sehen!« Er wischte sich mit dem Ärmel seines Hemdes das Blut vom Mund.
»Hm, anscheinend gibt es Leben dort drüben.«
»Na, das ist ja ...«
Im gleichen Moment leuchtete ein blaues Lämpchen auf.
»Ob das unser Funkgerät anzeigt?« fragte ich benommen.
»Ausprobieren, hilft alles nichts.«
Mit zitternder Hand schaltete Lucky den zu dem Lämpchen gehörenden Regler hoch. Anfangs kam nur unmoduliertes Gestammel durch, dann sprachen unsere Übersetzer an. Identifikation! Ihr Flug wurde zu Ihrer Sicherheit unterbrochen. Zu Ihrer Information: Hier beginnt eine Nebelgrenze! Eine Fortsetzung des bisherigen Kurses hätte mit 90prozentiger Sicherheit tödliche Folgen. Für dieses Rettungssystem entstehen Ihnen Kosten entsprechend 5000 Standardeinheiten. Achtung, hier spricht die Wachstation 3-5B. Ich fordere Sie auf zur Identifikation!«
»Stell doch das Gequassel ab!« forderte mich Lucky genervt auf.
»Das ist ein Roboter, der kann nichts dafür«, kam ich seiner Bitte nach und schob den Regler wieder nach unten. Hört sich an wie ein Bürokrat.«
»Da bestehen ja auch gewisse Ähnlichkeiten. Das hat uns gerade noch gefehlt.«
»Aber vielleicht ist etwas Wahres dran an seinem Gerede von einer Nebelgrenze.«
»Was soll das schon sein? Nebel im Weltraum? So ein Quatsch! Wahrscheinlich ist das irgendein Grenzgebiet. Fehlt nur noch der galaktische Zoll.«
»Na, trotzdem sollten wir die Chance nutzen, dass er uns weiterhelfen könnte, obwohl ich absolut keine Lust habe, mich mit Robotern rumzuschlagen.«
Ich konnte ihn gut verstehen. Wer die Roboter aus Neu-Ing kannte, war froh, wenn er nie wieder einem begegnete. Und dieser hier schien ähnlich drauf zu sein. Es bestand aber immer noch die Möglichkeit, dass sich auch natürliche Wesen in dieser Station aufhielten.
»Identifizieren Sie sich sofort!« schallte es jetzt aus unserem Lautsprecher. Hatte ich den nicht auf »leise« gestellt?
»Sie befinden sich in einem Fesselfeld. Verlangsamen Sie die Geschwindigkeit!«
»Na gut, tun wir ihm den Gefallen«, seufzte ich.
»Bleibt uns eh nichts anderes übrig«, murrte Lucky mit einem Blick auf die Kontrollen. »Der hat uns fest im Griff. Hier kommen wir nicht so einfach weg.«
Wir näherten uns jetzt langsam der unförmigen Station und Lucky leitete ein automatisches Andockmanöver ein. Er entwickelt sich zu einem richtigen Raumpiloten, dachte ich etwas neidisch, denn von vielen Sachen hatte ich immer noch keine Ahnung.
Ich kam inzwischen der anderen Forderung der Station nach:
»Identifikation wie folgt: Beiboot der Kurzos, Startplanet Erde, Besatzung 2 Menschen.«
Mehr fiel mir dazu nicht ein. Die Antwort