Sternentage. Frank Westermann

Sternentage - Frank Westermann


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alles schlecht war. Wie ich das in den letzten Tagen, nachdem ihr mich rausgeholt habt, in den Nachrichten mitgekriegt habe, lief bei weitem nicht alles so, wie die Herrschenden es sich vorstellten. Zumindest war es eine ganz schön explosive Situation.«

      »Stimmt ja«, gab ich zu. »Manchmal gehe ich da wohl wirklich etwas zu sehr von mir aus. Ist irgendwie auch so ein blöder Pessimismus. Obwohl ich ja durchaus Anderes erlebt habe. Zum Beispiel in der Geld-Stadt. Da haben es die Leute wirklich geschafft, weil sie eine viel breitere Basis hatten. Da gab's massenhaft Streiks und Sabotage ... In Neu- Ing oder auf den Inseln hatte ich immer den Eindruck, dass die meisten Leute entweder durch die Medien so total verblödet sind oder zu eingeschüchtert. Außerdem war dieser ganze Widerstand immer so zersplittert.«

      »Sag mal, was willst du eigentlich mit deiner Rückschau erreichen?«

      »Tja, ich denke doch, dass ich mir über einiges klar werden kann. Jetzt hab ich doch Zeit, mal über alles nachzudenken. Vielleicht krieg ich ja was raus, was mich weiterbringt. Sonst macht man ja immer die gleichen Fehler nochmal.«

      »Aber grübel nicht zu viel! Ob du etwas gelernt hast, wird sich erst in der Praxis zeigen. Ich glaube, das Denken allein hält einen nicht von Fehlern ab.«

      »Du hast gut reden«, warf ich ihm vor. »Wo soll denn hier die Praxis herkommen. Außer dir sind weder Leute da, mit denen ich was auf die Beine stellen könnte, noch ist die Umgebung dazu angetan, mich sonderlich zu aktivieren.«

      Lucky sagte nichts weiter dazu.

      Unser anfänglicher Elan, was die Kurzos betraf, ließ allmählich immer weiter nach. Wir schafften es einfach nicht, an sie ranzukommen. Auch die wiederholte Nutzung des Archivs führte uns in dieser Hinsicht nicht wesentlich weiter. Sicher gab es einen Weg, aber uns fiel nicht viel mehr ein, als zu versuchen, die Kurzos auf bestimmte Sachen anzusprechen. Das misslang meist kläglich angesichts ihrer Wortkargheit. Alles blieb oberflächlich und unbefriedigend, so dass wir bald ganz aufsteckten. Umso isolierter fühlten wir uns natürlich. Die Hilflosigkeit, unsere merkwürdige, technische Umgebung genügend zu begreifen, kam noch dazu.

      Wir verbrachten deshalb viele Stunden zusammen an den Außenbildschirmen, beobachteten fasziniert die Sterne oder das, was die Kurzos Grauzone nannten, wenn sich das Raumschiff mit Überlichtgeschwindigkeit fortbewegte. Aus diesen Situationen entstanden meist unsere tieferen, »philosophischen« Gespräche, bis uns auch diese nicht mehr weiterbrachten, außer dass wir uns gegenseitig mehr kennenlernten. Und das war ja auch schon eine ganze Menge.

      Was Lucky betraf, entwickelte er mit der Zeit ein ungewöhnliches Interesse an der technischen Seite unseres Abenteuers.

      Es beschäftigte sich mit der Art des Schiffsantriebs und ließ sich hartnäckig alle möglichen Details von den Kurzos erläutern. Ja, er machte sogar regelrechte Schulungskurse mit, um wenigstens theoretisch einige Geheimnisse der Kurzo-Technik und Wissenschaft zu entschleiern. Ich wunderte mich nicht wenig über seine sonderbare Leidenschaft, kannte ich ihn doch mehr als lustigen Bücherwurm aus seiner Bibliothekszeit. Ich nahm an, dass ihn seine vorangegangenen Erlebnisse auf diese Weise verändert hatten.

      Ich selbst kümmerte mich eine Zeit lang ausgiebig um das Archiv, um meine Neugier zu befriedigen. Der Computer stellte sich als wesentlich kooperationsbereiter als die Kurzos raus. Ich interessierte mich für alles und nichts und wusste oft nicht, wo ich mit fragen anfangen sollte. Als hauptsächliche Bildschirmlektüre diente mir das schon erwähnte »Handbuch«, das anscheinend auch außerhalb des Kurzo-Sektors sehr bekannt und gebräuchlich war und deshalb viele Informationen nicht nur aus Kurzo-Sicht beinhaltete.

      Was gab es alles für Völker in der Milchstraße, unserer Galaxis? Was hatten sie für Gesellschaftssysteme? Konnte man diese überhaupt verstehen oder waren sie so fremdartig, dass es für uns unmöglich war, etwas davon zu begreifen? Was gab es für Kontakte zwischen diesen Völkern? Waren sie bestimmt durch Formen von Macht und Herrschaft oder gab es andere, freie Beziehungen? Wie sah es aus mit Wirtschaft, Kultur, Geld und tausend anderen Sachen?

      Meine Verwirrung wurde durch das viele Herumstöbern nicht viel geringer. Klar wurde mir nur, dass es eine solche Vielfalt gab, dass sich unmöglich irgendwelche allgemein gültigen Maßstäbe finden ließen. Angesichts dieser Fülle von Material verließ mich auch der letzte Rest irdischer Borniertheit. Erst ziemlich am Ende meiner Nachforschungen geriet ich auf eine Spur, die sich lohnte weiter zu verfolgen. Aber ich begriff erst ziemlich spät, dass es sich überhaupt um eine Spur handelte und dann verhinderten andere Ereignisse, dass ich mich weiterhin im Archiv aufhielt. Nur so viel war mir bald klar: das Handbuch nahm trotz aller Unterschiede auf bestimmte Art doch eine Einteilung vor, nach der ich hätte Vorgehen können. Doch wie gesagt, als mir das in den Sinn kam, war es schon zu spät.

      Meine Beziehung zu Lucky (oder seine zu mir) entwickelte sich nicht gradlinig. Wir fielen beide in unbestimmten Zeitabschnitten von einem überhöhten Optimismus in tiefen Pessimismus und umgekehrt, je nachdem, an welche Vorstellungen wir uns gerade klammerten. Zu den Kurzos konnten sich aus den erwähnten Gründen keine Freundschaften entwickeln. Selbst zu Obechan-Kol nicht, von dem ich den Eindruck hatte, dass es ihm bald unangenehm war, dass er uns überhaupt eingeladen hatte.

      Die Kurzos blieben für uns verschlossene Fremde. Allerdings hatte ich ja schon einige Freundschaften zu »Fremden« hinter mir, auch wenn sie immer wie Menschen ausgesehen hatten: da waren etwa Willoc oder Traumschwester und besonders die beiden Beobachter. Im Lauf der Zeit war mir deshalb der Gedanke gekommen, dass ich manchmal eher mit »Fremden« warm wurde, als mit Menschen, die ich schon lange kannte. Aber vielleicht war das auch nur der einfachere Weg. Mit Leuten, die man neu kennenlernt, gibt es immer etwas zu besprechen, bei alten Bekannten muss man sich sehr bemühen, auch ihre »negativen« Seiten zu akzeptieren, also den ganzen Menschen zu verstehen. Wahrscheinlich hatte ich oft den Fehler gemacht, Freunde fallen zu lassen, wenn sich rausstellte, dass sie doch nicht so waren, wie ich wollte, dass sie sein sollten.

      Mit Lucky jedenfalls lief es die ersten Wochen ganz toll.

      Wir konnten wunderbar zusammen lachen, aber auch die große Leere fühlen, die unsere völlige Abgeschiedenheit von anderen Menschen mit sich brachte. Unsere Zärtlichkeiten beschränkten sich dabei auf ein Streicheln oder Umarmen, obwohl wir schon bald dazu übergingen, unsere Betten aneinander zu rücken, und so praktisch zusammen in einem schliefen. Das reichte uns fürs erste. Keiner hatte Lust, durch einen Gewaltakt irgendwelche Mauern niederzureißen, so lange es uns so gefiel. Wenn sich unsere Bedürfnisse ändern sollten, würden wir vielleicht einen Weg finden. Gleichzeitig war uns bewusst, dass dieser mehr oder weniger angenehme Zustand nicht allzu lange anhalten würde. Unsere Isoliertheit musste sich irgendwann bemerkbar machen. Wir waren auf Kontakt mit Menschen oder zumindest uns ähnlichen Lebewesen angewiesen. Daher konnte diese abgeschlossene Zweisamkeit nicht gut enden.

      Die Situation änderte sich für uns, nachdem wir schätzungsweise fünf Wochen unterwegs waren - allerdings mehr durch äußere Umstände.

      Ich war an diesem Morgen ziemlich mürrisch und kam gerade unverrichteter Dinge aus dem Archiv. Ich musste jetzt unbedingt mit Obechan-Kol sprechen, egal wie bockig er sich anstellte.

      Ich war an einem Punkt angelangt, an dem ich wirklich nicht mehr wusste, wie ich weiter vorgehen sollte. Er musste mir wenigstens ein paar Hinweise geben, damit ich eine Art Übersicht bekommen konnte.

      Ich wusste mittlerweile, welche Kabine er bewohnte, und bewegte mich mit der üblichen Vorsicht in diese Richtung. Es gehörte zwar nicht zum guten Ton, einem Kurzo »unnötige« Fragen zu stellen, aber dies war absolut notwendig. Hoffentlich erwischte ich ihn, wenn er nicht gerade etwas zu tun hatte.

      Als ich dann endlich vor seiner Tür stand, stockte ich einen Moment. Nicht dass ich auf einmal den Mut verlor, aber über der Tür brannte ein Licht in einem Farbton zwischen lila und rot, der mir noch nie vorher begegnet war.

      Merkwürdig, dachte ich noch, dann drückte ich gegen die Tür, die sich sofort öffnete. Kurzos kannten weder Anklopfen noch Schlösser.

      Ich wurde sofort in eine Kaskade verschiedenfarbiges Licht getaucht. Geblendet hielt ich schützend den Arm vor meine Augen.


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