England's Dreaming [Deutschsprachige Ausgabe]. Jon Savage

England's Dreaming [Deutschsprachige Ausgabe] - Jon  Savage


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Er arbeitete dann bei Simpson’s, der Fabrik, die diese DAKS Hosen herstellt, bevor er in Hackney einen Fotokurs besuchte. Er liebte den Kunstunterricht, und sie zeigten ihm, wie man malt und ließen ihn machen, was er wollte, aber nach dem zweiten Semester ging er ab, weil sie wollten, dass er sich mit bestimmten Themen beschäftigte. Simon war immer jemand, dem man nicht sagen konnte, was er zu tun hatte.

Foto

      Sid Vicious, August 1975 (im Besitz von Viv Albertine)

      Dort traf er John Lydon: als er das erste Mal vorbeikam, hatte er Haare bis hier runter, ein schöner Kopf. Er war schüchtern. Wenn ich ihn einfach nur ansah, wurde er so rot wie Rote Bete und brachte kein Wort raus. Ich hatte nie jemanden getroffen, der so schüchtern war.«

      Simon hatte ein sehr vertrautes Verhältnis zu seiner Mutter manchmal schienen sie mehr Verschworene als Mutter und Kind zu sein –, aber das Schreckgespenst der Familie, die Angst vor dem Verlassenwerden war allgegenwärtig. »Er ist zu Hause ausgezogen, als er fünfzehn war, er wohnte in irgendeinem besetzten Haus, aber nach ein paar Monaten kam er wieder nach Hause. Dann, als er siebzehn war, hatte wir einen Streit. ›Simon, entweder du oder ich, und da ich es nicht sein werde, kannst du dich einfach verpissen.‹ ›Aber ich weiß nicht, wo ich schlafen soll‹, sagte er und ich sagte: ›Ist mir egal, ob du auf einer beschissenen Parkbank schlafen mußt: hau einfach ab.‹« Als Hausbesetzer und Bowie Boy liebäugelte Simon mit Prostitution.

      1974 hing John Lydon immer noch zu Hause fest. Nach Hackney besuchte er das Kingsway College: »Was für ein Dreckloch«, sagt er, »dort hab ich Wobble getroffen. Die anderen Studenten hielten uns für krank.« »John und Sid waren genau das, was ich suchte, als ich 16 war«, sagt John Wardle, besser bekannt als Jah Wobble. »Alles, was ich damals wusste, war, dass ich auf gar keinen Fall arbeiten wollte. Ich war bereits ein wütender junger Mann. Ich hatte die Vorstellung, ich sei von Sozialwohnungen umgeben, fühlte mich eingeengt.«

      Heute verrät nur noch John Wardles eisblauer, starrer Blick seine Vergangenheit. Während der Punk-Zeit ähnelte Wobble, wie Sid, einer unkontrollierbaren Abrissbirne, die man mitten in eine Veranstaltung hängte, um zu sehen was passiert. Heute spricht er von seiner Vergangenheit wie von einem anderen Leben. »Ich trank sehr gerne. Jahre später hatte ich ein ziemlich schlimmes Problem damit. In jedem steckt eine Menge unterdrückter Wut, und Alkohol öffnet das Gitter ein kleines bisschen zu weit. Ich habe dieses ›Schläger‹-Image gepflegt: es war ein Prozess, sich selbst neu zu erfinden. John sah damals so Roxy Music-mäßig aus, und ich eher wie ein Schläger. Dieses Große-Gatsby-Ding: graue Nadelstreifenanzüge. Sid stand auf die schicke Szene: Wir gingen in die Kaufhäuser im Ilford Way. John hatte lange Haare, einen schwarzen Smoking und Baggies, aber eines Tages kam er mit gefärbten, abrasierten Haaren an und sagte, dass er ein neues Leben gefunden hätte. Es schien alles an einem einzigen Tag zu passieren: er war wegen irgendetwas aufgeregt.«

      1975 wurde John Lydon infolge seines neuen, strengen Haarschnitts zu Hause rausgeworfen. »Zu der Zeit waren lange Haare akzeptabel und ich dachte ›scheiß drauf‹. Also hab ich sie abgesäbelt und grün gefärbt. Ich sah aus wie ein Kohlkopf. ›Raus! Raus! Du dreckiges Arschloch, und komm nicht wieder!‹ Mein alter Herr hat bis zu dem Tag, an dem ich von zu Hause wegging, nie mit mir geredet. Plötzlich zeigte er Respekt. Es ist wie bei Vögeln, man muss sie in einem bestimmten Alter aus dem Nest werfen. Also lebte ich mit Sid in besetzten Häusern. Hampstead, nicht die vornehme Ecke, sondern diese grässlichen viktorianischen Behausungen an der hinteren Seite der U-Bahnstation. Dort lebten echt verzweifelte Leute. Es war schrecklich. Mir gefiel’s: Es war besser als zu Hause. Ich kann mich nicht an viel aus dieser Zeit erinnern, weil ich es liebte, mich hemmungslos zu betrinken. Es hat Spaß gemacht: es war Freiheit, aber dann hob die Verantwortung ihren hässlichen Kopf, als wir feststellen mussten, dass die Wohnung hin war. Als ich zu Hause lebte, hatte ich auf einem Rieselfeld gearbeitet, hatte in Guildford Ratten umgebracht und mit meinem Dad Beton gegossen. 70 Pfund die Woche: Wahnsinn damals. Nachdem ich rausgeflogen war, bekam ich einen Job in einer Schuhfabrik. Was für ein Theater.«

      Danach hatte er zusammen mit Sid einen Job im Cranks-Restaurant in der Tottenham Court Road: »Wenn diese Biokost-Hippies gewusst hätten, wer ihnen die Küche putzt! Wir hatten da so unsere Methoden. Fraßen uns jeden Abend voll. Wir warteten, bis der Chef gegangen war, dann rannten wir rüber zu Heal’s und probierten Betten aus. Sonst war niemand in dem Gebäude: es war wie ein Abenteuerspielplatz. Es gab kein Zeitlimit, wann wir fertig sein mussten, also sind wir da um ein Uhr morgens rausgetanzt. Es gab nichts, was man stehlen konnte, aber man konnte alles benutzen. Wir stellten Möbel um. Du erinnerst dich doch an ›Dawn of the Dead‹, wo die Zombies in diesem riesigen Kaufhaus sind. So war das. Ein Traum wurde wahr.«

      In dieser Zeit begannen die Beutezüge auf der King’s Road. »John war sehr imagebewusst«, sagt Wardle: »Er ist so eine Sorte Typ, der von A nach B geht, um C zu kriegen. Er hatte so eine aufgesetzte Logik. Sid hatte herausgefunden, wo Bryan Ferry wohnte, und er wollte ihn mit einer Flasche Martini besuchen. John besaß jedoch zu viel Stolz, um dabei gesehen zu werden, wie er versuchte, eingelassen zu werden, obwohl er es unbedingt wollte. Sid machte sich über so etwas keine Gedanken. Ich glaube, er war es, der zuerst hinging und McLaren traf: er stellte John allen vor.« Als allerdings der Anruf Ende August kam, war Sid in der Portobello Road. John Lydon dagegen kam immer öfter in den Laden: Seine Neugierde wurde nur von Widerborstigkeit im Zaum gehalten. Als Reaktion auf Bernards Begeisterung baute sich McLaren eines Abends vor ihm auf und fragte ihn, ob er singen könne.

      »Was? Was meinst du? Wozu? Nein: nur ohne Melodie und außerdem spiele ich Geige«, erwiderte Lydon, als würde er mit einem Idioten sprechen. McLaren war natürlich nur noch mehr angetan und lud ihn ein, die Band am selben Abend im Roebuck zu treffen. Trotz Lydons offensichtlicher Gleichgültigkeit war sich McLaren bewusst, dass dies ein Angebot war, das er nicht ausschlagen konnte.

      Lydon tauchte mit John Grey als moralischer Unterstützung auf und saß schweigend herum, während er die Gruppe beobachtete. »Ein paar Idioten hatten sich bereits vorgestellt«, sagt Steve Jones, »und dann kam Rotten rein. Er sah wirklich interessant aus. Es war etwas an ihm, das einen magnetisch anzog. Er hatte dieses ganze Punk-Zeug an, die Sicherheitsnadeln und alles: Das hatte nichts mit McLaren zu tun. Er sah wild aus. Ich mochte ihn überhaupt nicht: Er schien ein echtes Arschloch zu sein.«

      Jones wurde immer ärgerlicher wegen Lydons Hochnäsigkeit, und kurz vor einem Gewaltausbruch ging er zu McLaren, der am Ende der Bar auf der Lauer lag. Die einzige Lösung war, ein spontanes Vorsingen zu veranstalten. Lydon zögerte und war nervös. Zurück im Laden wurde ihm ein Duschkopf als Mikrofon in die Hand gedrückt. Vor die Jukebox gestellt sollte er bei Alice Coopers ›Eighteen‹ mitsingen. Alle zogen sich zurück, ließen Lydon allein mitten im Laden stehen.

      »Ich war zu Tode erschrocken«, sagt Lydon. »Ich war nie auf die Idee gekommen, dass das Musikgeschäft möglicherweise ein Ort sei, an dem ich, welchem Talent auch immer freien Lauf lassen könnte.« Er erstarrte, aber dann, angestachelt von Grey, dem klar wurde, dass in dieser lächerlichen Situation echtes Potential lag, fing er an, auf spastische Art und Weise auf und ab zu hüpfen und einen improvisierten Text herunter zu leiern: »Ich bin achtzehn, Sex im Gras, ich bin achtzehn...« Jones knurrte weitere Gewaltandrohungen, und Lydon warf sich unter beträchtlicher Anspannung in eine Reihe buckliger Posen schrie, wimmerte und kotzte, bis sich sein erstes Publikum vor Lachen krümmte.

      Die Gruppe war sich nicht sicher, aber McLaren war es. »Ich hatte ein Auge dafür«, sagt er, »und ich sah Rottens Fähigkeit, ein Image aufzubauen. Es war nur ein Gefühl. Ich wusste, dass er was hatte, genau so wie ich wusste, dass Jones etwas hatte.« Er überredete Cook, Jones und Matlock, eine Woche mit Lydon über einem Pub, dem Crunchie Frog in Rotherhithe, zu proben. Am ersten Tag kam niemand außer Lydon. »Ich kam mir vor wie ein Idiot, wie ich da in Bermondsey Wharf herumlief«, sagt er, »es war dort nicht ungefährlich, besonders wenn man so aussah wie ich damals.«

      »Ich rief am nächsten Tag an, um zu sagen, dass es mir leid täte«, erzählt Glen Matlock. »Lydon meinte, ›Ich bring dich um, ich tu’s, ich komme mit einem Hammer vorbei.‹«

      »Wir


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