Mycrofts Auftrag. Beate Baum

Mycrofts Auftrag - Beate Baum


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sondern lud Besucher mit weit offenstehenden Flügeltüren förmlich ein. »Morakis ist schlau. Und gefährlich.«

      John schluckte. Wenn Sherlock Holmes so etwas über einen Mann sagte, dann hatten sie es wirklich mit einem ernstzunehmenden Gegner zu tun.

      Das Handy des Detektivs signalisierte eine eingegangene SMS, wieder zeigte er kein Interesse für das Display, während er durch das erste Zimmer lief.

      Der Mann lag in einem Wohnraum – vermutlich nannte man auch das hier wieder Empfangszimmer, drängte sich ein unwichtiger Gedanke in Johns Kopf – auf einer Chaiselongue. Als er ihn sah, wurde der Arzt vom Gefühl eines Déjà-vus überwältigt: In der linken Armbeuge steckte eine Spritze.

      »Verdammt!« Sherlock, der sein Handy noch in der Hand hatte, gab die Nummer des Notrufs ein und forderte einen Krankenwagen, rief gleich danach eine weitere Verbindung auf. »Lestrade? Ein Mordfall.«

      5. Kapitel

      »Er lebt noch!«, rief John, der die Spritze entfernt und den Mann untersucht hatte. Seine Augen waren geschlossen, aber die Lider flatterten ein wenig, Atmung und Puls waren extrem verlangsamt, jedoch wahrnehmbar. Vorsichtig brachte John den gut 30-Jährigen in die stabile Seitenlage und schaute sich nach etwas um, womit er ihn zudecken könnte.

      Sherlock zog wie ein gefangener Panther Kreise in dem großen Raum, er murmelte vor sich hin. John sah auf einem Sessel ein Plaid; als er es aufnahm, traf sein Blick den des Freundes. Er hatte die Augen zusammengekniffen, die Stirn gerunzelt.

      »Das hätte nicht passieren dürfen, John. Verdammt, das hätte nicht passieren dürfen.«

      Wo blieb bloß der Krankenwagen? »Er lebt! Wir sind rechtzeitig gekommen. Wenn jetzt endlich …« John atmete erleichtert auf, als er das Signal herannahen hörte.

      »Gut, bleib du hier.« Der Detektiv strebte dem Ausgang zu.

      »Ganz bestimmt nicht!« John holte ihn ein und hielt ihn am Arm fest. »Du wirst nicht allein losziehen.«

      »Dein Mutterkomplex hat uns schon genug Zeit gekostet.« Unwillig schüttelte Sherlock die Hand ab und ging weiter, wich den Rettungssanitätern aus, die mit einer Trage hereingestürmt kamen.

      »Das Opfer ist an regelmäßige Dosen Kokain gewöhnt«, informierte er die Notärztin, die hinter ihnen herlief. »Gewaltsame Injektion einer Überdosis Heroin vor etwa 40 Minuten.«

      Obwohl John Sherlock für seine an ihn gerichtete Bemerkung am liebsten geohrfeigt hätte, nickte er der Ärztin nur kurz zu und war mit zwei Schritten an der Seite des Detektivs, der mit keiner Regung erkennen ließ, ob er seine Anwesenheit überhaupt registrierte.

      Auf dem Treppenabsatz trafen sie auf Detective Inspector Lestrade. »Sherlock!«

      Detective Sergeant Hopkins, die direkt hinter dem Inspector war, schleuderte dem Detektiv einen feindseligen Blick zu.

      »Er lebt. Mordversuch. Tatort ist das Empfangszimmer gleich dort vorn«, ratterte Sherlock, dessen Handy in diesem Moment eine weitere SMS ankündigte, herunter. »Ich bin weg.«

      »Nein, bleiben Sie bitte noch einen Moment hier.« Lestrades Gesicht zeigte einen sehr ernsten Ausdruck.

      Falls Sherlock es wahrnahm, ließ er es außer Acht. »Keine Zeit.«

      »Es tut mir leid.« Lestrade sprach weiter ruhig und freundlich, hatte sich jedoch direkt vor Sherlock gestellt und ihm mit seinem kompakten Körper den Weg versperrt.

      Der schien erst jetzt zu realisieren, dass etwas vor sich ging, das nichts mit dem Mordversuch zu tun hatte: »Oh, mein Bruder, richtig?« Er spuckte fast vor Zorn. »Das hatte ich ganz vergessen: Sie springen ja, wenn er pfeift. Was hat er Ihnen gesagt? Dass ich ein süchtiges Wrack bin?«

      »Sind Sie das nicht?« Stacey Hopkins taxierte den Detektiv.

      Die Rettungssanitäter näherten sich mit Alexander Holder auf der Trage, die Notärztin neben ihnen. Er wurde beatmet, aus dem Nicken der Kollegin meinte John Zuversicht herauszulesen. Lestrade wies Hopkins an, den Tatort in Augenschein zu nehmen. Mit einem letzten abschätzigen Blick verschwand die Untergebene.

      »Ich hatte Stacey gegenüber nichts von Ihrem Drogenproblem erwähnt«, teilte der Inspector Sherlock mit. »Das haben Sie nun selbst besorgt.«

      »Ich habe kein Drogenproblem.« Er zischte die Worte.

      John schaltete sich ein: »Wir haben das im Griff, Guy. Alles gut.«

      »Alles gut? Und wie passt dieser Mordversuch dazu?«

      »Wenn es denn einer war.« Hopkins war sehr schnell zu ihnen auf den Treppenabsatz zurückgekehrt. »Auch dort keine Kampfspuren, nirgendwo ein Zeichen, dass jemand gewaltsam eingedrungen wäre. Ich vermute, unser Freund hier hat sich gemeinsam mit dem Opfer einen Schuss gegönnt und sein Kumpel war das Zeug nicht so gewohnt wie er. Dann ist er in Panik geraten und hat uns angerufen und etwas von einem Mord erzählt.«

      Sherlock schnaubte nur geringschätzig auf.

      »Wir waren die ganze Zeit zusammen«, stellte John klar. »Sie sollten sich lieber mal mit –«

      »Mycroft treffen und ihn fragen, warum er die Zeit der Polizei für seine familiären Auseinandersetzungen vergeudet.«

      Lestrade schaute von Sherlock zu John und zurück zu dem seine Hände knetenden Detektiv: »Wenn Sie etwas wissen, sagen Sie es mir! Ich werde Sie jetzt vom Haken lassen, aber in Ihrem Zustand kann ich keine Alleingänge von Ihnen dulden.«

      Einen Augenblick lang dachte John, Sherlock würde sich auf den Inspector stürzen. Er sagte jedoch nur: »Sehen Sie sich das Bord mit den Bildbänden neben dem Fenster sowie den Teppich dort an. Da finden Sie Ihre Kampfspuren. Ein Mann hielt ihn von hinten fest, der andere band den Arm ab und setzte die Spritze. Als die Droge zu wirken begann, schleiften sie ihn zu der Ottomane. Er kannte die beiden. Er hat sie selbst hineingelassen. Zumindest damit lagen Sie richtig, Sergeant.«

      Ohne die attraktive, rothaarige Frau noch eines Blickes zu würdigen, machte er einen Schritt nach vorn. Der Inspector trat zur Seite und ließ ihn vorbei.

      *

      »Du musst Lestrade sagen, was du vermutest«, sagte John, als sie vor dem Gebäude standen.

      »Ich vermute nichts. Ich weiß es. Und in diesem Fall würde sogar mein Bruder mit mir übereinstimmen, dass Scotland Yard vorerst nichts erfahren sollte.« In diesem Moment klingelte sein Handy wieder. Laut aufseufzend nahm er das Gespräch entgegen, setzte sich zugleich in Richtung King’s Road in Bewegung. »Mycroft, es geht mir bestens. Lass mich bitte in Ruhe!« Er drückte das Gespräch weg und schaltete das Telefon aus, beschleunigte seinen Schritt, winkte auf der Hauptstraße ein Taxi zu sich.

      »Nationalhistorisches Museum«, nannte er als Ziel.

      John atmete unhörbar auf. Sie würden nach Hause, nun ja, nach Hounslow, fahren. Fast schien es, als bräuchte er ein wenig Ruhe und Erholung nun mehr als Sherlock; definitiv musste er etwas anderes als Zwieback essen.

      »Nein, tut mir leid, wir fahren nach Oxford«, reagierte der Freund auf die nur gedachten Sätze.

      »Nach Oxford? Jetzt?« Er schaute auf seine Armbanduhr. Es war zwanzig Minuten vor sechs.

      »Ich will nicht wieder zu spät kommen«, sagte Sherlock und biss sich auf die Unterlippe.

      »Aber …«

      »Professor Malcom Presbury ist aller Wahrscheinlichkeit nach ein weiterer Strohmann Morakis’. Da er jetzt weiß, dass ich ihm auf den Fersen bin, wird er auch auf ihn Leute angesetzt haben, um ihn einzuschüchtern oder Schlimmeres.« Der Detektiv hatte wieder damit begonnen, mit den Fingern auf seinem Oberschenkel herumzutrommeln.

      »Nein!« Sherlocks logisches Denken litt doch unter der Entwöhnung, mutmaßte John. »Er wird kaum zwei Käufern seiner Edelimmobilien am gleichen Tag etwas antun lassen, das würde jedem auffällig erscheinen. Und wenn jemand ihn einschüchtern will, dann kann das längst passiert sein. Sie haben einen Vorsprung


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