Mycrofts Auftrag. Beate Baum
– stellte den Gipfel dieser Geschäftskarriere dar. Eine Wohnung hier kostete zwischen 30 und 80 Millionen Pfund. Der Grieche selbst war mittlerweile Milliardär.
»Gut, gut. Sehr erfreut. Adrianós Morakis. Mir gehören diese bescheidenen Häuschen.« Er sprach mit starkem Akzent.
»Ich freue mich, dass Sie so kurzfristig auf meinen Terminvorschlag eingehen konnten«, wandte er sich an Sherlock; ein Geschäftsmann, der sich durchaus seiner besonderen Position bewusst war. »Ich wusste selbst heute Morgen noch nicht, dass ich jetzt hier sein würde.«
»Nicht das geringste Problem.« Sherlock hatte seine Eton-Cambridge-Queens-English-Aussprache noch verstärkt. »Aber nun, bitte: Überraschen sie mich!« Er schien mit seinen langen, feingliedrigen Fingern Übungen in der Luft zu machen.
John vermutete, dass der Freund ein Ventil für die zwangsläufig stärker werdende Unruhe brauchte. Es war gut, dass seine erdachte Vita ihn als exzentrisch auswies. Eine Vita, die dank Mycroft bis hin zum Eintrag in die elektronische Version des aktuellen Adelsregisters – »Morakis hat garantiert keine gebundene Ausgabe«, war Sherlock sich sicher – überprüfbar war.
Der Milliardär lächelte verbindlich. »Nur zu gern.«
Noch standen sie im Eingangsbereich des rechten der drei hoch aufragenden Gebäude, deren bodentiefe Fenster in der Nachmittagssonne golden schimmerten. In einer Loge saßen drei Portiers, die eher wie perfekt ausgebildete Bodyguards wirkten. John war davon ausgegangen, dass sie sich mit einem Makler treffen würden, aber Sherlock hatte ihm klargemacht, dass Lord William Michael Escott sich ebenso wenig wie russische Oligarchen und arabische Scheichs mit einem Mittelsmann abgeben würde.
Sie wurden in eine Halle eingelassen und betraten den bereitstehenden Aufzug. Im Innern der gläsernen Kabine berührte der Grieche das Feld mit der Acht, schaute dann auf ein matt glänzendes Feld neben den Bedienelementen. »Irisscanner«, gab er an. »Sie können davon ausgehen, hier ebenso sicher zu sein wie im Buckingham Palast nebenan, Lord Escott. Vielleicht sogar sicherer.« Er lachte kehlig.
Schon jetzt war der Mann John so unsympathisch wie der schlimmste Verbrecher, mit dem sie es je zu tun gehabt hatten.
Der Aufzug entließ sie direkt in die Wohnung. »Fünf Schlafräume, sechs Badezimmer, drei Empfangszimmer sowie eine Lounge. Küche, Anrichteküche mit einem Dienstbotenbereich«, nannte Morakis wie gelangweilt Stichworte. »Sie haben die Ausdehnung über die gesamte Etage. Nach vorn blicken Sie auf Knightsbridge, seitlich auf Mayfair und ein wenig auf den Hyde Park, nach hinten sehen sie nichts als Grün. Die Ausstattung ist natürlich nur ein Beispiel. Wir würden alles komplett nach Ihren Wünschen gestalten.«
John musste sich keine Mühe geben, seine Rolle zu spielen: Er war beeindruckt. Mehr als beeindruckt. Im ersten Zimmer – vermutlich einer der Empfangsräume – stand ein weißes Ledersofa auf einem Teppich, den er kaum zu betreten wagte, während Sherlock mit ausholenden Schritten darüberging, beifällig nickte und dem nächsten Zimmer zustrebte. Die Badezimmer – alle sechs Badezimmer! – waren ein Traum aus Marmor und einem Material, das nach Ausschluss aller anderen Möglichkeiten nichts anderes als Platin sein konnte.
Im zum »Herrschaftsschlafraum« gehörigen Bad, das in grandiosem Royalblau ausgestattet war, blieb Sherlock vor einem in den Fußboden eingelassenen Whirlpool mit Blick auf das Grün des Parks stehen, legte seinem Freund die Hand auf den Arm und machte eine anzügliche Bemerkung. Der Hausbesitzer gab wieder sein tiefes Lachen von sich. John hatte Mühe, nicht verlegen zu reagieren; als er sich Sherlock zuwandte, registrierte er jedoch besorgt, dass ihm übel zu sein schien.
»Billy-Boy, Billy-Boy, wir sind doch nicht alleine«, ging er auf den Tonfall ein und wandte sich an Morakis, rang sich ein breites Grinsen ab. »Aber es wär schön, wenn wir’s wären. Würden Sie vielleicht …?«
Der Grieche gab sich sehr gelassen und verließ mit dem Hinweis, er würde sie in der Lounge erwarten, den Raum. Vermutlich hatte er von seinen reichen Klienten schon Schlimmeres erlebt.
John schloss schnell die Tür hinter ihm. »Musst du dich übergeben?«
Sherlock zog eine Grimasse. »Wenn es hilft.«
John schüttelte den Kopf. »Kaum. Du hast ja nichts im Magen. Komm, wir brechen das hier ab. Lord Escott fühlt sich nicht wohl, tut uns leid, Ende, aus. Bitte einen neuen Termin.«
Sherlock presste bloß ein kaum verständliches »Nein« hervor. Er stützte sich auf den Rand eines der fein gemaserten Handwaschbecken, wobei die Venen auf seinen Händen stark heraustraten, und starrte in den Spiegel. John hatte nicht den Eindruck, dass er sein eigenes schmales Gesicht sah. Vielmehr schien es, als blicke er nach innen und bündele dabei seine Energie.
John verfluchte sich selbst, dass er den Detektiv nicht daran gehindert hatte, diesen Termin wahrzunehmen. Mycroft hatte recht gehabt. Natürlich. Vermutlich hatte der distinguierte Schattenmann der britischen Regierung mehr Erfahrung in dieser Hinsicht als er. Der Gedanke brachte ihn fast zum Lachen, als Sherlock auch schon hörbar aufseufzte und sich langsam wieder aufrichtete. »Okay, weiter geht’s.«
Ohne eine Antwort abzuwarten schritt er voran in die Lounge, die den Höhepunkt der Wohnung darstellte. Eine bestimmt zehn Meter breite Wand bestand komplett aus Fenstern, die auf den Hyde Park blickten, ihnen gegenüber befand sich ein riesiger Kamin aus rötlichem Marmor, darüber hing ein Gemälde jenes hoch gehandelten deutschen Malers, dessen Motive stets auf dem Kopf standen. Drei Sofas mit terrakottafarbenen Stoffbezügen bildeten eine einladende Sitzecke auf dem honigfarbenen Parkett.
Morakis saß auf dem mittleren und blätterte in einem Hochglanzmagazin. Sherlock ließ sich auf das im 90-Grad-Winkel dazu stehende fallen, streckte sich so weit aus, dass er fast lag. »Entschuldigung, alter Knabe, aber beim Anblick eines solchen Whirlpools braucht man schon mal ein bisschen Privatsphäre, nicht wahr?«
»Kein Problem. Ich nehme es als Kompliment.«
»Das sollten Sie, das sollten Sie.«
John grinste, an der Fensterfront stehend, in den sonnigen Nachmittag hinaus, wurde jedoch schnell wieder ernst. Er fragte sich, worauf Sherlock hinauswollte. Hatte er überhaupt einen Plan oder war er viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt?
»Können Sie uns denn noch ein wenig über unsere potentiellen Nachbarn erzählen?«, hörte er den Freund hinter sich. »Man weiß ja doch ganz gern, mit wem man es so zu tun hat.«
»Bedaure, wir sichern all unseren Käufern absolute Anonymität zu. Aber Sie können davon ausgehen, dass Sie unter Ihresgleichen sind, Lord Escott.«
»Also ein First-Class-Schwulenclub?« Sherlock lachte exaltiert auf.
Morakis stimmte in das Lachen ein. »Nein, das habe ich damit nicht gemeint. Allererste Klasse unbedingt, was jedoch die sexuellen Vorlieben angeht, bin ich nicht im Bilde.«
»Verstehe. Wir wollen nur sicher sein, dass es keinerlei Vorbehalte gibt. Wissen Sie, kürzlich traf ich Alex Holder, der, wenn ich das richtig verstanden habe, im vierten Stock des angrenzenden Gebäudes eine Wohnung gekauft hat.«
John drehte sich um und studierte Morakis’ Mimik. Er wusste, dass die Namen der Eigentümer als großes Geheimnis gehandelt wurden und hatte nicht erwartet, auf Sherlocks Nachfrage eine Antwort zu hören. Ebenso wenig hätte er gedacht, dass der Freund bereits einen Namen kannte.
»Er hat ganz begeistert davon erzählt, wie gern er mit Ihnen Geschäfte macht. Aber ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren«, fuhr der Detektiv gespreizt fort, »dass er in Bezug auf Orientierungen in Liebesdingen nicht ganz und gar offen ist.«
John setzte sich auf das dritte Sofa. Der Milliardär erschien ihm ein wenig verunsichert. Auf den Punkt, dass Sherlock zufälligerweise in der Millionenstadt London einen jener knapp 90 Parkside-Wohnungsbesitzer getroffen haben wollte, ging er nicht ein, beeilte sich stattdessen zu versichern, er könne sich nicht vorstellen, dass Alexander Holder nicht ein absolut toleranter Mensch sei.
»Aber ich sollte Ihnen erst einmal etwas zu trinken anbieten!« Behände erhob er sich. »Die Bar wurde vom großen Alessandro Palazzi