Die Wiedergutwerdung der Deutschen. Eike Geisel

Die Wiedergutwerdung der Deutschen - Eike  Geisel


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zur letzten Antwort geworden zu sein, welche sie beim vollzogenen Wandel durch Annäherung noch geben können. Aus der radikalen Abwehr des Antisemitismus ist am Schluss eine schwächliche Hinwendung zu ihm geworden. Dass die Sozialdemokratie eine »Judenschutzpartei« gewesen sei, war eine Erfindung der nazistischen Propaganda. Dass Juden in Deutschland nicht auf die Linke, schon gar nicht auf die Hamburger GEW zählen können – das ist die Wahrheit heute.

      Statt mit dem Nahen Osten sollte sich die Hamburger GEW besser mit dem ganz nahen Osten beschäftigen. Statt mit der israelischen Besatzung in Palästina sollte sie sich mit der deutschen Besessenheit auseinandersetzen, von der sie selbst ergriffen ist. Weltumspannende Moraloffensiven von Leuten, die dem Rassismus im eigenen Lande Konzessionen machen, sind pure Heuchelei. Und die für die Artikulation des eigenen Vorurteils bloß vorgeschobenen Kids, die heute schon alle schlauer sind als die Sozialarbeiter von gestern, wissen noch vor ihren Lehrern, dass deren Aufforderung »Menschenrechtsverletzungen müssen kritisiert werden, gleichgültig, wo sie stattfinden« (Paech) nur die Eingangsphrase zur Sonderbehandlung der Juden ist und als Aufreißer dafür dient, warum man sich ausgerechnet und besonders heftig mit Israel befassen muss.

      Mit Israel hat das alles gar nichts zu tun, und deshalb blieben die Pädagogen auch besser am Ausgangsort ihrer Absichten. Hier könnte die GEW tun, was sie ein Jahr nach dem Golfkrieg per Zeitungsanzeige verkündete, nämlich »einseitig Partei ergreifen für den Frieden«. Beispielsweise könnte sie einen UNO-Blauhelm-Einsatz in der Bundesrepublik fordern. Natürlich ohne deutsche Be­teiligung. Damit wäre dem friedensbewegten Protest neues Leben eingehaucht und auch der deutschen Polizei, der gegenwärtig einzigen organisierten Friedensbewegung, geholfen. Und geholfen wäre vor allem den Ausländern. Aber vielleicht hält der an Israel geschärfte Blick der GEW das, was in Rostock und andernorts passiert, für eine deutsche Intifada?

      1993

       Moralischer Antisemitismus

       Zwei gute Deutsche und der Golf

      I.

      Er hat Israel noch nicht vernichtet und Palästina noch nicht befreit. Aber in Deutschland hat Saddam Hussein sein Kriegsziel bereits erreicht: der Karneval fällt aus, und dafür geht die Friedensbewegung um. Kein Rosenmontagszug, sondern Mahnwachen; kein Konfetti, sondern Schweineblut. Keine Besoffen-, sondern Betroffenheit. Und erneut zeigt sich, noch unerträglicher als wenn sie fröhlich sind, sind die Deutschen, wenn sie gut sind.

      Der begrenzte Krieg im Nahen Osten hat in Deutschland ein grenzenloses Wunder vollbracht. Ostern fällt in die Winterzeit, denn die deutsche Friedensbewegung ist plötzlich von den Toten auferstanden. Noch beim Überfall des Irak auf Kuwait und bei den noch länger zurückliegenden Drohungen, Israel mit Massenvernichtungswaffen auszulöschen, moderte die Leiche friedlich vor sich hin.

      Einer der Ersten, der sich am Grabe der Friedensbewegung zu schaffen machte, um der Verblichenen neuen Odem einzuhauchen, war der Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein. Wie man einen Erfrorenen mit Schnee einreibt, so behandelte er den Kadaver mit den Ursachen seines Zustandes: mit einem Elixier aus Nationalismus und ganz persönlicher Entrüstung. Und den Grund dieser anhaltenden Empörung teilte der schreibende Wiederholungssanitäter mit: Die Leiden des jungen Rudolf A., so erfuhren die Spiegel-Leser in der Ausgabe zur Wiedervereinigung Anfang Oktober 1990, waren die Leiden einer noch unerwiderten Liebe zu diesem Staat. Er habe, so teilte er im Brustton des patriotischen Veteranen mit, wegen dieser Liebesbeziehung in drei deutschen Gefängnissen gesessen. Doch mit der von ihm publizistisch begleiteten Verwandlung der deutschen Bevölkerung ins deutsche Volk wurde er reichlich für jenen frühen Liebes- und vergleichsweise komfortablen Freiheitsentzug entschädigt.

      dass andere, beispielsweise die Juden, ihre unerwiderte Liebe zu Deutschland nicht nachträglich auch als Gewinn verbuchen wollen, nimmt er ihnen seitdem übel. Zwar hatte er sich schon vor jeder organisierten deutsch-jüdi­schen Verbrüderung auf höchst private Weise mit ihnen versöhnt, indem er sich das Pseudonym Jens Daniel zulegte, einen – worauf er jüngst seine Leser eigens hinwies – »nordisch-alttestamentarischen« Namen. Doch trotz dieser alttestamentarischen Namenssymbiose machte ihm ständig zu schaffen, was seiner Auskunft nach auch schon Göring beim Nürnberger Prozess Magenschmerzen bereitet hatte. Göring habe zu einem Mitangeklagten gesagt: »Wenn nur nicht dieses verdammte Auschwitz wäre! Ohne Auschwitz könnten wir uns richtig verteidigen. So ist uns jede Möglichkeit verbaut. Alle denken, wenn von uns die Rede ist, immer nur an Auschwitz und Treblinka«.

      Gottseidank kam dann der Kalte Krieg: »Die Kluft zwischen Ost und West hat uns aus der schlimmen Isolierung der Gaskammern herausgeholfen«, atmete Augstein auf, als seien die Deutschen 1952 gerade noch rechtzeitig vor der Vernichtung bewahrt worden. Mit dem Ende der Nachkriegszeit, die Augstein als früher Sprecher der spä­teren Friedensbewegung immer als Periode nationaler Demütigung durch die Alliierten begriffen hat, war diese hilfreiche Kluft zwischen Ost und West mit einem Mal verschwunden. Und es drohte nun die vom Spiegel-Herausgeber des öfteren beschworene Gefahr, dass die Weltöffentlichkeit sich nicht von der deutschen Amnesie anstecken ließ. Es konnten also auch die Juden daran erinnern, dass das neue Deutschland, dessen »Stunde Null« Augstein jetzt proklamierte, immer noch das Land sei, zu dessen jüngerer Geschichte die Massenvernichtung gehöre.

      Die Erinnerung daran hatte er ihnen schon Jahre zuvor nicht verziehen, als er die Reputation des Bundeskanzlers mit dem Hinweis verteidigte, es habe keinen moralischen Unterschied zwischen der schweigenden Mehrheit der Deutschen und der von diesen umgebrachten Juden gegeben. Wenn er also, um an ein Diktum Adornos zu erinnern, zähneknirschend zugab, dass Verbrechen begangen worden waren, dann sollte wenigstens das Opfer mitschuldig sein. Seine journalistischen Trompetensignale vor Ausbruch des Golfkriegs, die er in die noch tauben Ohren der dahingeschiedenen Friedensbewegung stieß, zeigen, dass der Spiegel – und nicht etwa die Bild-Zeitung – zum Meinungsführer des Volksempfindens bei der Voll­reinigung der deutschen Geschichte geworden ist.

      Wie indes der wirkliche Führer nur befehlen kann, was die Bevölkerung will, dass er befiehlt, so kann auch der Spiegel-Herausgeber nur verlautbaren, was er abgelauscht hat. Er ist nicht der Praeceptor der Nation, für den er sich gerne hält, wenn er seine Leser gelegentlich nicht mit Tagesmeinungen, sondern mit historischen Gesinnungsaufsätzen traktiert, in denen er alles zwischen Plato und Nato hervorkramt, um die deutsche Ehre zu verteidigen. Er ist nicht der zu Unrecht nicht anerkannte deutsche Großhistoriker der zweiten Jahrhunderthälfte, sondern bloß der Stichwortgeber seiner kollektiven Einflüsterungen. Er ist der Biedermann als Anstifter, das Sprachrohr des gesamtdeutschen Vorurteils. Er macht aus dem Stammtisch, wo es vom Himmel durch die Welt zur Hölle geht, eine für Aufsichts- wie Studienräte akzeptable Tafelrunde des völkischen Ressentiments. Während es in der Kneipe um einen Hocker am Tresen geht, verlangt es ihn nach einem deutschen Platz an der Sonne. Und wenn sich andere dazwischenstellen und einen Schatten darauf werfen, dann schreibt Augstein eine Kolumne.

      Seine Artikel sind Verlautbarungen des ehrbaren Antisemitismus, der zwar die Juden nicht verbrennen, sich umgekehrt, wie Augstein kürzlich erklärte, aber auch von diesen »nicht die Erinnerung an die Rampe von Auschwitz für immer ins Gedächtnis brennen« lassen will. Die mit der »Stunde Null« neugewonnene Unschuld möchte er sich nicht von anmaßenden Juden rauben lassen, die besser daran getan hätten, das KZ als Fortbildungseinrichtung zu begreifen. Sie hätten doch, wie der Oberlehrer monierte, »in der eigenen Geschichte erfahren ..., wie man mit Minderheiten nicht umgehen sollte, und wohin der Mangel an Toleranz führt«. Jetzt müssen sie also nachsitzen, im Bunker und mit Gasmaske. »Man ist Antisemit, um Antisemit zu sein«, schrieb vor hundert Jahren der österreichische Autor Hermann Bahr. So selbstlos ist diese Leidenschaft heute nicht mehr. Und nach Augsteins rhetorischer Frage »Ist Israel noch zu retten?« muss man jene Wendung neu fassen: »Man ist Antisemit, um Deutscher zu sein«.

      Noch fehlte indes jene zündende Parole, welche die von Augstein behandelte Leiche dazu bewegen konnte, als moralischer Herrenmensch ins wirkliche Leben zurückzukehren. Mit »Kein Blut für Öl« war sie gefunden, und als Antwort auf den Heiligen Krieg entstieg der Gruft die fundamentalistische Bewegung zum Heiligen Frieden. Lauter Gesinnungsträger wie ehedem, die trotz ihrer Jugendlichkeit den


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