Die Wiedergutwerdung der Deutschen. Eike Geisel

Die Wiedergutwerdung der Deutschen - Eike  Geisel


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in London ein empörter Tagesspiegel-Leser an seine Zeitung und forderte Revanche. Mit seiner Kolumne schlug Rühle zurück. Hier und jetzt konnte er an den nichtjüdischen Alliierten ausleben, was ihm an den nichtalliierten Juden seinerzeit versagt geblieben war. Damals musste er zurücktreten, nun trat er ersatzweise gegen die Briten zurück. Nach sieben mageren Jahren konnte er endlich das Ende der Schonkost verkünden: »Die Einweihung des Denkmals für den englischen Luftmarschall, genannt Bomber-Harris, hat in Deutschland doch mehr Emotionen hervorgerufen, als zu erwarten war. Die Wunden schmerzen auch noch nach zwei Generationen«, begann Rühle seinen Beitrag zum Denkmalsturm. Doch insgeheim schmerzte ihn nach zwei Generationen nicht diese Statue in London, sondern ein anderes und viel älteres Monument, ein bleibendes cineastisches Denkmal, das ein jüdischer Regisseur in Hollywood für die Deutschen errichtet hatte. Das Gangsternamen nachgebildete »Bomber-Har­ris«, wie er den Luftwaffengeneral beharrlich nannte, war Rühles auf England verschobene Rache an Lubitsch, in dessen »To be or not to be« ein Nazi sich vor Freude über die Auszeichnung »Konzentrationslager-Erhardt« gar nicht mehr einkriegen kann.

      Rühle warf den Engländern nicht vor, wie sie sich an den militärischen Sieg über den Nationalsozialismus, sondern dass sie sich erinnerten: »Wer es nötig hat, noch Siege zu feiern, die ein halbes Jahrhundert zurückliegen und schon einer anderen Welt zugehören, offenbart einen stillgestandenen Geist.« Mit wachem Geist freilich rief er sich dadurch selbst »Stillgestanden!« zu und wurde dem brandenburgischen Sozialdemokraten Gustav Just, einer noch älteren Altlast, zum Verwechseln ähnlich. Dieser hatte mit der Auskunft, er habe in einem »anderen Leben« Juden umgebracht und diese Sache sei ein »alter Hut«, seiner Persönlichkeitsspaltung wie einem kollektiven Bedürfnis knappen Ausdruck verliehen.

      Rühle indes war nicht so kurz angebunden. Die feuilletonistische Erscheinungsform der Schizophrenie ist die Geschichtsklitterung, und der Überflieger im Tiefflieger, der Historiker im Stammtischbruder formulierte deshalb so: »Nun steht der Bomber-Harris also da, in Erz gegossen, von der uralten Königinmutter gesegnet, und ist doch viel weniger das Denkmal für einen heldenhaften Mann als ein ständiges Mahnmal dafür, wie der Krieg entartet ist, dass er gentlemanlike nicht mehr zu führen war, dass das blinde Töten auch dieses gesittete Volk ergriff.« Damit war im unsittlichen Geschwätz des Historikerstreits die russisch-deutsch-englische Dreifaltigkeit der Schuld etabliert: die deutschen Verbrechen eine Doublette des asiatischen Originals, die britischen Bombardements eine Kopie der deutschen Vorlage. Und wenn Rühle die Engländer als die Massenmörder unter den Alliierten identifizierte, dann konnte es nicht mehr weit sein, nämlich nur bis zur nächsten Zeile, dass er die Angehörigen des anderen gesitteten Volkes, das im Unterschied zu den Häftlingen in Auschwitz ja unter Bombenangriffen zu leiden hatte, dass er die Deutschen als Opfer von Nachahmungs­tätern sah: »Und die Toten von Köln und Bremen und Berlin und Dresden und Würzburg und Hamburg und Königsberg können nun dem Denkmal noch immer entgegenschreien und auf den Erzgegossenen hin deuten: da steht er, der unsere Höllen entfachte. Ein Denkmal mutiert leicht zum Schandmal.«3

      Da haben es die Lebenden leichter. Ein Pfund Unkraut-Ex oder eine Flasche Benzin reichen aus, um Denkmale zu beseitigen, die an die deutschen Verbrechen erinnern und also – wie die von Rühle als »jüdisches Denkmal« apostrophierte KZ-Baracke in Sachsenhausen – zu Schand­malen mutiert sind. Wohl auch wegen dieser Beseitigungswut gegenüber der Erinnerung machte der Londoner Evening Standard den begrüßenswerten Vorschlag, gleich hundert Harris-Statuen aufzustellen – in Deutschland. Sie sollten die Deutschen daran gemahnen, was passieren würde, »wenn sie zum sechsten Mal in zwei Jahrhunderten versuchen sollten, ihre finanzielle und wirtschaftliche Hegemonie über Europa auf einer anderen Ebene durchzusetzen.«

      Über die rückwärtsgewandte Feierstunde in London trösteten Rühle dann erst einmal praktische Gesichtspunkte hinweg: »Wo die Zukunft nichts bringt, herrscht die Vergangenheit.« Denn das Pfund ist schwach, und die Zukunft gehört der D-Mark. Doch bei einem so irdischen Verdikt mochte der Flakhelfer des Feuilletons es nicht belassen, sein Sinnen und Trachten war berufsmäßig nach oben gerichtet:

      »Stärken und Schwächen wechseln wie Tag und Nacht«, sinnierte er über den unaufhaltsamen Lauf der Welt. Und seinen Aufstieg von der Hölle durch die Welt zum Himmel beschloss er mit einem moralischen Fazit:

      … die Fäuste, der Schlag. Als habe sich der Kreis geschlossen.« »Kurzschluss«, verbesserte der Tagesspiegel. »Der Kämpfer geht nun auf den Markt und lamentiert«, ereiferte sich Rühle am 13.8.92 unter der Überschrift »Heyms Klagen«. Sein Kommentar war die Klarstellung eines von Heym sträflich unterschlagenen Unterschieds, des Unterschieds von 1931 und 1992: »In der Heymschen Schilderung des bösen Kölner Vorfalls, der hier weder beschönigt noch entschuldigt werden darf, fehlt schon der Hinweis auf die eigene Provokation«, schrieb Rühle, der damit den 1931 selbstverständlichen Tatbestand der nazistischen Notwehr rehabilitierte. Damals war das Opfer schuldig. Heute gewährt Rühle mildernde Umstände: Heym ist nur Mittäter.

      »Die Lehre aus der Sache ist: wer zur unrechten Stunde verklärt wird, verdunkelt die Welt.« In sie brachte Rühle Licht, indem er den Tommies heimleuchtete: »Das Denk­mal in London wird manchem die Scham hochtreiben über das, was einmal möglich war – wie in unserem Land die Mahnmale von Dachau und Buchenwald. Die kurze Stunde des Triumphs schlägt schnell um in die Ewigkeit der Schuld.« Damit war den Engländern die Waffenbrüderschaft der SS angeboten – und Rühle zum Rächer der Vergangenheit geworden, indem er sie beerbte.

      IV.

      Doch alle Einwände, die das deutsche Feuilleton gegen die Royal Air Force abfeuerte, gingen daneben, und die Lage auf dem deutsch-britischen Kriegsschauplatz verschlechterte sich zusehends, als ein Namensvetter des Luftwaffengenerals sich einmischte.

      Der britische Journalist Robert Harris, der sich in seinem Roman »Fatherland« die Frage gestellt hatte, wie Europa aussähe, wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte, suchte einen Verleger in Deutschland. Fünfundzwanzig Verleger winkten ab, das Werk sei »frivol« und vor allem »deutschfeindlich«. Sofort eilte der deutsche Botschafter in London, der namensmäßig ebenfalls vom Luftkrieg gezeichnete Hermann Freiherr von Richthofen, in die Chefredaktion der Sunday Times und drohte, wie zuvor Genscher, die deutsch-englische Freundschaft werde be­lastet.

      Den Kampf gegen Harris, der mit einer deutschen Übersetzung als Franktireur hinter den feindlichen Linien operieren wollte, übernahm dieses Mal der Spiegel. »Deutschfeindlich« sei die Stimmung, für die der Thriller geschrieben sei, die Werbung für das Buch habe einen deutlichen »deutschfeindlichen Anstrich«. Virtuos appelliere Harris »an die Ängste und Ressentiments des angelsächsischen Publikums«. Und was unter Ressentiment in Deutschland verstanden wird, erläuterte der Spiegel im gleichen Atemzug mit einem Zitat von Harris: »Zum ersten Mal seit fünfzig Jahren beachtet ganz Europa ängstlich die Entscheidungen eines deutschen Kanzlers.« Deutschfeindlich ist, wer den Deutschen auf die Pfoten schaut, und wer sie einmal daran hinderte, weiter damit Millionen umzubringen, ein Massenmörder.4

      Doch auch die Abwehr des Spiegel konnte nicht verhindern, dass der britische Autor schließlich mit einer Über­setzung bei einem deutschsprachigen Verlag, wenn auch in der neutralen Schweiz, landete. Der Luftkrieg schien zum zweiten Mal verloren. Jetzt konnte wieder nur noch die Wunderwaffe helfen. Ihr Einsatz war für den 3. Oktober, den »Tag der deutschen Einheit« geplant. Die Hoffnungen der schreibenden Flakhelfer ruhten nun allein auf der Industrie, wie umgekehrt sich die Industrie darauf verließ, dass beim ja nur symbolischen Abheben der Rakete eine symbolische Anschubfinanzierung für die deutschen Unternehmer herausspränge. Denn wie Arbeitnehmer in Deutschland nicht nur ihre Arbeitskraft, sondern immer auch ihre Seele mitverkaufen wollen, so wünschen deutsche Unternehmer, dass ihre Produkte nicht als bloße Waren, sondern als Güter, als Waren mit einem zusätzlichen moralischen Gebrauchswert auf den Markt kommen – made in Germany.

      Die deutschen Raketenhersteller, wie die Gaslieferanten insbesondere nach dem Golfkrieg in den Geruch geraten, vorbildliche Geschäftsleute zu sein, wollten sich bei einer staatlich beschirmten Gedenkfeier zur 50jähri­gen Wiederkehr des ersten deutschen Raketenabschusses dieses moralischen Gütesiegels versichern: es werde eine Pionierleistung der Raumfahrt gewürdigt; man wolle »an


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