Die Wiedergutwerdung der Deutschen. Eike Geisel
von der Schuld der Juden am Antisemitismus in leicht entschärfter Form empfiehlt: für ihn sind Juden am Hass auf sie nur mitschuldig. Die Grünen waren vor einem Jahr noch etwas bescheidener, für sie trug Israel die Mitschuld daran, dass es mit irakischen Raketen beschossen wurde.
In der Hamburger Lehrerzeitung teilte Professor Paech seinen Kollegen in der GEW mit: »Israel muss sich allerdings in der Tat fragen, ob seine Palästina-Politik nicht einem latenten Antisemitismus in Deutschland Nahrung gibt – und dem können wir nicht entgegensteuern, indem wir schweigen.« Die Frage erübrigt sich: Schweigen worüber? Die demagogische Figur dieser Wendung hat Tradition. Es handelt sich bei ihr um eine besonders beliebte Formel antisemitischer Agitation, um die Formel vom »provozierten Antisemitismus«. Wer sich über historische Beispiele dieser Anschuldigung informieren möchte, sollte gelegentlich mal wieder in ein Buch schauen, das für kurze Zeit zur intellektuellen Grundausstattung der Linken gehört hat, in die von Adorno und anderen vorgelegte Studie über die autoritäre Persönlichkeit. Im Kapitel über Themen und Techniken des amerikanischen Agitators sind all jene Äußerungen versammelt, die sich trotz ihres historischen Alters nachgerade jugendfrisch ausnehmen. Und wie quicklebendig diese alte Formel von der Mitschuld der Juden an ihrer Verfolgung ist, zeigt die im Brustton pädagogischer Verantwortung für Israel vorgetragene Ermahnung von Norman Paech. Nicht vom Antisemitismus will er reden, sondern von dessen Zulieferern in Israel. Der Anwalt der Menschenrechte, als der er sich versteht, präsentiert sich gerade dadurch als ein Gegner des Judenhasses, dass er die Juden beschwört, die Anlässe dazu aus der Welt zu schaffen. Unter diesem Aspekt muss man auch die weiter unten beschriebenen pädagogischen Versuche sehen, die Lehrer in diesem Zusammenhang an ihren Schülern verüben.
Dass Norman Paech über die israelische Beihilfe zum deutschen Antisemitismus nicht schweigen kann, verdankt er, wie er in einem Zeitungsinterview sagte und in Hamburg wiederholte, einem ganz besonderen Zungenlöser: dem Pfingsterlebnis einer Israelreise.
Er war, wie er mitteilte, vor 25 Jahren »in der Aura der Kollektivschuld« nach Israel gefahren. Und dort war ihm zuteil geworden, worauf die Wallfahrer nach Lourdes immer nur vergeblich hoffen: Gesundheit. »Ich wurde erst dort auf die Lage der Araber aufmerksam«, berichtete er über das wundersame Mittel seiner dauerhaften Genesung. »Seit jener Zeit fühle ich mich in dieser Frage gefordert«, beschrieb er im salbungsvollen Jargon des Berufspolitikers die anhaltende moralische Wirkung dieser Entdeckung. Es war nicht Damaskus, wo es ja auch eine Lage der Araber gab, dass er vom Saulus zum Paulus geworden war, sondern Jerusalem. Dort hatte er sich vom Linken in einen Deutschen verwandelt, in einem moralischen Kurbad, das sich in der Folgezeit des Ansturms von Rekonvaleszenten aus der Bundesrepublik kaum erwehren konnte.
Von der »Aura der Kollektivschuld« erlöst, hatte er schon Mitte der 60er Jahre persönlich ein Ziel erreicht, dessen allgemeine Verwirklichung die Nationalzeitung noch immer einklagt. Die Leiden der Palästinenser vor Augen, konnte er aus dem Schatten Hitlers heraustreten. Nun war er frei für eine neue kollektive Aufgabe ganz eigener Art, nämlich für die des Bewährungshelfers. Und wie viele andere Absolventen des Bildungsurlaubs im Nahen Osten entdeckte er eine exklusive Fürsorgepflicht der Deutschen für Israel: »Ich vermag nicht«, begründete er dieses Ansinnen, »als Konsequenz aus den Verbrechen der Generation vor uns zu schweigen, wenn die Überlebenden, ihre Kinder und Enkel, Menschenrechte anderer verletzen.« Wenn israelische Polizisten prügeln, wenn israelische Soldaten Zivilisten erschießen, dann strapazieren diese Taten vor allem die deutsche Kollektivgeduld. Wolfgang Pohrt hat dieses Bewährungshelfersyndrom einmal treffend als sozialarbeiterische Ermächtigung der Deutschen beschrieben, ihre Opfer davon abzuhalten, rückfällig zu werden.
Über ein Vierteljahrhundert lang versucht Norman Paech nun schon geduldig, dieser Rückfallgefahr entgegenzutreten. »Er hat sich«, heißt es über ihn in der Zeitschrift Semit, »mehr als einmal öffentlich engagiert, wenn es darum ging, Recht und Menschenrechte zu verteidigen, oft genug konträr zur offiziellen politischen Meinung ... Im Februar dieses Jahres reiste Norman Paech mit einer Delegation durch die besetzten Gebiete Israels ... Das Ergebnis dieser Reise soll in Buchform veröffentlicht werden. Es weist überprüfbar nach, mit welchen Schachzügen Israel seine Politik den Palästinensern gegenüber durchsetzt.«
Das Buch lag bei der Veranstaltung der GEW noch nicht vor, aber es gab doch genügend publizierte und referierte Hinweise, welcher Geist darin herrscht. »Einige der Mitreisenden«, fasste Paech seine letzte Erkundungsreise zusammen, »hatten Israel bisher noch nicht besucht, sie fanden die Stimmung im ganzen Land so angespannt, so aggressiv, dass sie nicht den Wunsch hatten, ein zweites Mal dorthin zu fahren.« Derartiges käme ihnen zu ihrem eigenen Wohnort, den sie, um solche Stimmungen zu erfahren, gar nicht hätten verlassen müssen, bestimmt nicht über die Lippen.
Von ganz ähnlichen Heimatgefühlen durchdrungen war im Frühjahr 1991 die Israel-Delegation der Grünen, als sie aus der bösen Fremde wieder ins gemütliche Grauen zurückkehrte. Ihr Sprecher Ströbele protokollierte damals die Drecksarbeit, die er einen Ausländer verrichten ließ: »Auf dem Rückflug erklärte ein Mitglied der Delegation, er sei froh, nach Deutschland zurückzukehren. Er, der Ausländer ist und die deutschen Behörden wegen der Behandlung von Ausländern in der BRD heftig kritisiert hat, äußerte spontan seine Liebe zu Deutschland, als wir in Frankfurt den Flughafen betraten.«
Den imaginierten Schachzügen der israelischen Politik, will heißen, den undurchsichtigen Tricks, korrespondiert auf Seiten der Autoren, wie Paechs Erläuterungen zu seiner diesjährigen »fact-finding-mission« belegen, eine durchsichtige Plumpheit, eine von keinerlei intellektuellen Regungen ins Wanken gebrachte Geradheit. Der Eifer der Bewährungshelfer plustert sich geradezu aufklärerisch auf. Jetzt soll man endlich die ganze Wahrheit erfahren. Zwar kann man in israelischen Zeitungen und Zeitschriften detailliert über selbst noch das geringste Vergehen der Besatzungspolitik nachlesen; zwar ist die veröffentlichte Meinung in Israel oft so aggressiv, dass sich dagegen noch der kritischste und meist von israelischen Vorlagen abgekupferte Artikel einer deutschen Zeitung, wie Rohkost ausnimmt, von der Flachheit des politischen Journalismus in Deutschland und der Regierungssprechermentalität seiner Vertreter ganz zu schweigen; zwar ist jeder politische Vertuschungsversuch in Israel eine unwiderstehliche Aufforderung an alle Reporter, diesen aufzudecken; zwar gibt es dort, mit einem Wort, eine funktionierende Öffentlichkeit, doch der Gestus moralischer Aufgebrachtheit, mit dem Paech und seine gelehrigen Schüler in der GEW auf ihre Entdeckungen in Israel zeigen, suggeriert, dass sie die Wahrheit erst hier ans Licht brachten, weil es dort weder Demokratie noch Pressefreiheit gäbe. Dabei fischen sie nur im Trüben.
In der Hamburger Lehrerzeitung schreibt eine Vorbereitungsgruppe der GEW-Veranstaltung den Begriff Demokratie denunziatorisch in Anführungszeichen, wenn von Israel die Rede ist. Auf derlei Faxen kamen die pensionsberechtigten Demokratiekritiker hierzulande nicht, wo schon in Friedenszeiten der Ausnahmezustand erwogen wird, dessen es nachgerade gar nicht mehr bedarf. Und Professor Paech säße sicher schon im Knast und nicht auf einem Lehrstuhl, wenn er in Deutschland einmal für die Menschenrechte eintreten müsste in einer Situation, die auch nur annähernd dem Nahostkonflikt entspricht. Er moniert, Israel sei eine »Demokratie im Belagerungszustand«, eine »Militärdemokratie« und klagt über die Zensur im Lande. Wie lächerlich sich allerdings der deutsche Fackelträger der Informations- und Meinungsfreiheit mit seiner Anklage macht, entgeht am allermeisten ihm selbst: Ausführlich referiert er den Bericht eines im Militärgefängnis von Hebron misshandelten palästinensischen Studenten, um in einem Nachsatz kleinlaut hinzuzufügen: »Über seine Vorwürfe der Folter wurden in der israelischen Presse berichtet.«
Fazit seiner Reise in Sachen Menschenrechte war: »der biblische Anspruch Israels« sei der Kern des Nahostkonflikts, »und zwar nicht nur was die Feindschaft zwischen Israelis und Palästinensern, sondern auch was die Feindschaft zwischen Israelis und Arabern betrifft«. Offenbar kann, was Juden und Israel angeht, keine Auskunft zu dumm sein, um nicht von Deutschen geglaubt zu werden. Die Feindschaft zwischen einem Israeli und einem hungernden Fellachen in Oberägypten, einem lese- und schreibunkundigen Iraki in Basra, einer unterdrückten saudiarabischen Frau und einem bettelnden marokkanischen Kind – alles im biblischen Anspruch Israels begründet? Keinen Augenblick wird auch nur die Möglichkeit eingeräumt, dass es für die Feindschaft zwischen Israelis und Arabern sachliche Gründe, beispielsweise die Vernichtungsdrohung