Die Wiedergutwerdung der Deutschen. Eike Geisel

Die Wiedergutwerdung der Deutschen - Eike  Geisel


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sondern ein auf immateriellen Zusatzgewinn, auf Tradition, erpichter Manager der deutschen Raumfahrtindustrie.

      Am 21. September 1992 schrieb der Spiegel über den Autor von »Fatherland«: »Harris pflegt das Image ... des unbeugsamen Kritikers, des rastlosen Mahners. ›Die Deutschen‹, davon ist der eloquente Jung-Autor nun fest überzeugt, ›wollen im Grunde nichts mehr über ihre dunkle Vergangenheit hören‹.« Wenige Tage später ging die neue Wunderwaffe schon vor dem geplanten Start zu Bruch. Wieder war alles so geheim gehalten worden, dass die ganze Welt über die Feierstunde Bescheid wußte, nur die Veranstalter wussten nichts. Schon gar nichts davon, dass Peenemünde wie dessen Zuliefererstätte nicht die »Wiege der Raumfahrt«, sondern ein Massengrab für Sklavenarbeiter gewesen war, von den Opfern der Raketen gar nicht zu reden.

      Erst vom Ausland daran erinnert, sprach der Schirmherr der Gedenkfeier, ein CSU-Staatssekretär, der an­sons­ten mit kühlem Kopf eine »asylantenfreie Zone« in seinem Wahlkreis fordert, von »absurden hysterischen Reaktionen«, die zeigten, »wie notwendig es ist, Peenemünde einmal aufzuklären und uns mit dem Inhalt der tragischen Verwicklung zwischen einem verbrecherischen System Adolf Hitlers und der Forschung auseinanderzusetzen.« Diesen Satz musste die örtliche PDS als Tagesbefehl im Ohr gehabt haben, das gleichzeitig an den Lippen der Lokalpolitiker ruhte. Und von dort murmelte es beschwörend: Raumfahrtpark, Arbeitsplätze und Touristen. Weit entfernt davon, den ganzen Spuk zu verhindern, wollte die PDS alternativ daran teilhaben: mit einer Talkshow zur Geschichte von oben, bei der ein ehemaliger britischer Bomberpilot von seinen Einsätzen über Peenemünde erzählen sollte. Angesichts dieser klassenübergreifenden Vorsätzlichkeit, mit welcher das Raketenprojekt in die politische Pleite geführt wurde, erwärmte sich sogar die Süddeutsche Zeitung für die abgewickelte Volkspolizei. »Gäbe es Hammer und Zirkel noch«, trauerte sie der DDR nach, »dann wären Offizielle und Industrielle aus der Bundesrepublik nie auf den Gedanken gekommen, in Peenemünde etwas zu feiern.« Nun hatten allein Proteste des demokratischen Auslands die Feierstunde in eine vorverlegte und selbstverschuldete Blamage verwandelt. »Wir sollten vorsichtig sein mit solchen Veranstaltungen«, sagte deshalb Klaus Kinkel, der Kosmetikberater für deutsches Ansehen. Dann eilte er nach Sachsenhausen, wo eine andere Veranstaltung bereits erfolgreich stattgefunden hatte. Dort, wie an anderen Brennpunkten der neuen Republik, wurde bewiesen, dass man auf Raketen vorerst verzichten kann.

      Das Ausland mit seiner »hysterischen Reaktion« muss auf eine gebührende Antwort noch warten, die einstweilen Ausländern erteilt wird. Im Inland braucht man keine Raketen, sondern Mollis, hier bedarf es keiner ferngesteuerten Waffen, sondern kurzentschlossener Nahkampf­bürger. Hier ist nicht einmal eine Flugleitzentrale nötig, denn der kollektive Marschflugkörper zündet mit Selbstauslöser. Diesen technologischen Fortschritt hob der Außenminister bei seiner Stippvisite an der verbrannten KZ-Baracke hervor, indem er den demokratischen Charakter des Bündnisses von Elite und Mob betonte. Auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers rehabilitierte er dessen Voraussetzungen: er sagte den Reportern ins Mikrophon, jetzt müssten die Politiker den »Wünschen des Mainstream« nachkommen.

      Nur Günther Rühle, dessen heimliche Wünsche nicht zur Verübung gelangen konnten, schwieg beharrlich. Er muss sich damit trösten, dass in der Halle des Flughafens Tegel eine Erinnerungstafel für den V2-Konstrukteur Wern­her von Braun hängt. Er muss aus lichten Höhen wieder auf den Boden der Tatsachen herab und die verbrannte Erde des Feuilletons bewässern, auf dass es dort vom Rhein bis zur Oder blühe: »Man muss sich gegenseitig als Teilhaber einer im Getrennten doch gemeinsamen Geschichte begreifen und Denken und Empfindung ohne Selbstgerechtigkeit wieder ineinander binden.«

      1992

       Der hilflose Antisemitismus

       Anmerkungen zu seiner Hamburger Verübung

      Alle Jahre wieder. Wie die unvermeidlichen Feiertage, wie Ostern und Weihnachten, so gehören seit vielen Jahren regelmäßig wiederkehrende Rituale auch zum linken Kalenderjahr. Ein besonders fester Termin darin ist die jährliche Verabredung zu einer rhetorischen Fragestunde mit dem Thema: Gibt es linken Antisemitismus? Diese Fragestunde hat inzwischen eine über zwei Jahrzehnte reichende Tradition aufzuweisen, doch die ewigen Studenten sind der Frage noch immer nicht auf den Grund gekommen. Die Referenten bei den jährlichen Hauptversammlungen linker Gewissenserforschung sind so seltsam alterslos, wie ihr Thema zeitlos ist. Das Publikum wechselt von Zeit zu Zeit, doch das Podium trifft sich immer wieder. Es wirkt in einer unendlichen Geschichte mit, deren identische Fortsetzungskapitel sich allein durch den Namen des Schauplatzes unterscheiden. Mal ist es die Heimvolkshochschule Göppingen, mal die Evangelische Akademie in Arnoldshain, dann die Universität einer Großstadt oder irgendein Sozialistisches Zentrum in irgendeiner nichtsozialistischen Kleinstadt.

      In diesem Jahr tagte man in Hamburg. Dort wollten sich die linken Lehrer der alten Frage neu stellen. »Antisemitismus oder berechtigte Kritik an Israel?« lautete die schon sprachlich verunglückte Variation des Dauerthemas, mit der die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Ende Oktober 1992 in Hamburg zur jährlichen Selbsterkundung aufforderte. Zwar wären vor der eigenen Haustür genügend Anlässe vorhanden gewesen, sich mit Antisemitismus zu befassen, doch bevor man sich damit abgab, musste erst die linke Gretchenfrage beantwortet werden. Um den Ernst und die Wichtigkeit der ganzen Sache zu begreifen, stelle man sich vor, ein Verein alternativer Pharmakologen stellte seine Jahrestagung unter die Frage: »Grüner Schnupfen?«

      Doch auch in Hamburg wollte man sich in der Tradi­tion des linken Rituals nur wechselseitig versichern, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Dabei weiß jeder, dass es Linke gibt, die ihre Frau verprügeln oder ihre Kinder quälen, dass sie, wenn möglich, die Arbeitskraft anderer ausbeuten; dass Linke gelegentlich ihre Freunde an Geheimdienste verraten und sie manchmal sogar umbringen. Warum in aller Welt sollte es deshalb nicht auch linke Antisemiten geben?

      Das Thema der Gewerkschaftsveranstaltung war aber nicht in diese schon hundertfach beantwortete Frage gekleidet. Es hieß »Antisemitismus oder berechtigte Kritik an Israel?« Schon die Formulierung verriet die Konfu­sion, oder vielmehr die verdrückte, verschämte Absicht. Denn logisch kann das Bindewort »oder«, das eine Alternative ankündigt, kein Fragezeichen nach sich ziehen. Standen die Lehrer also vor der Wahl, sich für Antisemitismus oder Kritik zu entscheiden?

      Doch mit der Frage war auch schon die Antwort angedeutet. Das Beiwort »berechtigt« sollte, was sich für Kritik hielt, moralisch salvieren und gegen den Einwand, es gehe vielleicht antisemitisch dabei zu, unanfechtbar machen. Kritik freilich bedarf keiner Berechtigung. Wenn sie sich diese eigens bestätigt, hat sie sich bereits dementiert und in Gesinnung verwandelt. Kritik kann jeder an jedem und können alle an allem üben, selbstverständlich auch an Israel. Doch wie in zahllosen vorausgegangenen Diskussionen war es auch in Hamburg nicht Kritik, sondern der Oberton konformierender Empörung, der die Debatte um die rhetorische Frage bestimmte. So unbeholfen sich diese Gesinnung hinter dem verquasten Titel der Veranstaltung versteckte, so unverfroren und direkt kam sie in einer Forderung zum Ausdruck, welche von einer »Arbeitsgruppe Palästina im Friedensausschuss« formuliert worden war: »Nur wenn wir uns kritisch mit Israel auseinandersetzen, können wir glaubhaft im Unterricht latentem Antisemitismus entgegentreten.« Unabhängig von allem anderen Unfug dieses Satzes könnte man seiner Logik zufolge rassistischen Attacken gegen farbige Asylsuchende nur dann glaubhaft entgegentreten, wenn man vorher Südafrika oder noch besser die USA kritisiert hat. Was Leute, die derlei formulieren, glaubhaft bestimmt nicht können, das ist: begründungslos, einfach als Gattungswesen dem Rassismus entgegentreten. Ohne böse Juden kein gutes deutsches Gewissen. Unmittelbarer Anlass jener pädagogischen Behauptung wie der Gewerkschaftsveranstaltung war der Ärger, den ein längeres Interview der Hamburger Lehrerzeitung mit Ralph Giordano ausgelöst hatte. Die Lehrer lamentierten: »Giordano denunziert linke und pazifistische Kritiker Israels, ohne diese Personengruppe näher zu kennzeichnen.« Dieses Versäumnis Giordanos sei hier mit einer genauen Kennzeichnung dieser Personengruppe nachgeholt: es handelt sich beispielsweise um die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Hamburg.

      Die innige Verbindung, die Ehrbarkeit und Ressentiment in der besonderen Empörung über Israels Politik längst eingegangen sind, demonstrierte hier Norman Paech, ein Hochschullehrer aus


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