Die Wiedergutwerdung der Deutschen. Eike Geisel

Die Wiedergutwerdung der Deutschen - Eike  Geisel


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nämlich die Bibel, die sie den Juden auch nicht verzeihen. Sogar im Anschluss an die weiter oben zitierte Versicherung Paechs, er habe aus der Massenvernichtung die richtigen Lehren gezogen, er könne also nicht schweigen, »wenn die Überlebenden, ihre Kinder und Enkel, Menschenrechte anderer verletzen«, taucht plötzlich ein biblisches Motiv auf: der Fluch Gottes aus den Zehn Geboten. Paech unterstellt, es gäbe nach Auschwitz ein von Juden unter Berufung auf die Bibel erlassenes Kritikverbot für Deutsche und fragt: »Soll das auch für unsere Kinder und Enkel gelten?« Eigentlich wollte er ja Erpressung sagen, aber der unterschwellige Gedanke an den jüdischen Fluch verleiht der Frage erst den richtigen Kitzel.

      Auf der Veranstaltung in Hamburg wurde die Kritik am Verständnis, welches die GEW dem Antisemitismus entgegenbringt, wild entrüstet zurückgewiesen. Ablehnung durch Anbiederung wollte man sich nicht nachsagen lassen, denn schließlich waren lauter gute Menschen hier versammelt. Die inkriminierten Zitate, insbesondere Professor Paechs Propagandalüge von der Mitschuld der Juden am Antisemitismus, seien aus dem Zusammenhang gerissen, lautete der Vorwurf an den Kritiker. Ein Zitat ist freilich, das lernt man offenbar bei diesen Lehrern nicht mehr, immer ein Ausriß aus einem Text. Der Schwachsinn eines bestimmten Satzes wird indes nicht dadurch aus der Welt geschafft, dass man sich auf die mildernden Umstände des Zusammenhangs beruft, in dem er steht. Und gerade die aus den Gewerkschaftsmaterialien zitierten Sätze sind in jeder Umgebung infam und rücken deshalb jeden Kontext, in dem sie stehen, in das trübe Licht des Antisemitismus.

      Ein weiterer, auch bei der Hamburger Veranstaltung, beliebter Vorwurf, verfährt nach dem Motto: »Haltet den Dieb«. Wer die moralische Tarnung des linken Antisemitismus durchbricht, gilt als Aggressor, wer die davon ausgehende Bedrohung benennt, als bedrohlich, wer den Gestank moniert, als Stänkerer. Und man selber versteht sich als mutiger Tabubrecher, als ehrbarer Wahrer der Meinungsfreiheit, die von Kritikern mit dem Vorwurf des Antisemitismus erstickt zu werden droht. Mit demselben Gespür, mit dem Politiker das Asylrecht gegen dessen »Missbrauch durch Scheinasylanten« verteidigen, wirft man sich als Vorkämpfer für ein Grundrecht in die Bresche. Man will der von jüdischen Vorbehalten bedrohten Meinungsfreiheit eine Gasse bahnen.

      Ströbele hatte vor Jahresfrist das angestaubte Bekenntnis zur Verteidigung der Meinungsfreiheit aus der Mottenkiste des antijüdischen Agitators hervorgeholt: »Ich sehe den Vorwurf des Antisemitismus als politisches Tot­schlagsargument missbraucht, um die harte Kritik an der israelischen Regierung zum Schweigen zu bringen.« Und in Hamburg plapperten Leute dies nach, denen man nichts Schlimmeres antun konnte, als sie zu zitieren.

      Wie wollen die linken Lehrer nun »latentem Antisemitismus entgegentreten?« »Natürlich«, versichern sie in ihrer Gewerkschaftszeitung, »muss eine Beschäftigung mit dem Verhältnis von Deutschen und Juden vom Holocaust ausgehen.« Ja, natürlich – soll heißen: Logo, alles klar, versteht sich, ist ja gebongt, machen wir, muss sein. Doch dem flotten »natürlich« folgt auf dem Fuß ein einschränkendes »aber«: »Aber dass aus der Vernichtungspolitik der Nazis gegenüber den Juden abgeleitet wird, Ansprüche und Politik des Staates Israel bedingungslos zu akzeptieren, stößt bei Jugendlichen zunehmend auf Unverständnis.« Auf zunehmendes Verständnis hingegen stößt diese Haltung bei den Lehrern, die sie feststellen. Sie legen dabei jene apologetische Einfühlsamkeit an den Tag, wie man sie inzwischen zu Genüge von Politikern und Sozialarbeitern kennt, die sich zu den Schandtaten des Mobs geäußert haben. Doch abgesehen von der offenkundigen Lüge, die Politik Israels bedingungslos akzeptieren zu müssen, was niemand jemals gefordert hat, sind – wie im Fall der rücksichtsvoll betrachteten Brandstifter – die Schüler nur ein Vorwand zur Bestätigung und Rechtfertigung des eigenen Ressentiments. Es wird auf dem Umweg über die Schüler nur pädagogisch veredelt.

      Eine Lehrerin erläuterte beispielhaft, wie sie einmal erfolgreich den latenten Antisemitismus ihrer Schüler bekämpft hatte: es gebe auch gute Juden, habe sie einem Schüler erklärt, der mit so latent antisemitischen Parolen wie »Juden raus« oder »Nieder mit Israel« aufgetreten sei, es gebe beispielsweise israelische Wehrdienstverweigerer. So eng wie seine deutschen Freunde wollte ein palästinensischer Diskussionsteilnehmer das nicht sehen; er erweiterte den Kreis der Juden, die keinen Anlass zum Antisemitismus böten, auf »demokratische Juden«. Ob auch der Rostocker Politiker Karlheinz Schmidt bei der GEW geschult wurde, weiß man nicht. Jedenfalls redete er beim Empfang für Bubis, als hätte er sich zwei Tage zuvor in Hamburg darauf vorbereitet. Denn mit der Frage, was der Zentralratsvorsitzende der Juden von den Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern halte, wollte er ganz unbefangen feststellen, ob er es mit einem guten oder einem bösen Juden zu tun habe.

      Ein anderer Lehrer, der es mit »judenkritischen Äußerungen« – wie Antisemitismus neuerdings vom Spiegel genannt wird – zu tun hatte, wollte einem Schüler bei der Frage der Wiedergutmachung behilflich sein, natürlich in bester pädagogischer Absicht. Auf das dumpfe Geblöke des Schülers, die Deutschen hätten genug geblecht und gebüßt, reagierte er mit ganz besonderer Anteilnahme. Er wies den Schüler weder barsch zurecht, noch machte er den Versuch, ihn aufzuklären. Er hätte ihm beispielsweise erläutern können, wie teuer ihn, den Schüler, ein versehentlich verursachter Verkehrsunfall im schlimmsten Fall käme. Damit wäre der Lehrer automatisch beim bes­ten Fall, nämlich bei der Tatsache, wie vergleichsweise billig die Deutschen mit dem von ihnen vorsätzlich verursachten Massenmord davongekommen seien. Nichts dergleichen. Der engagierte Lehrer echote bloß zurück: auch er hielte die Wiedergutmachung für einen Schwindel, mit diesen Zahlungen seien bloß die Nazis entlastet und die völkerrechtswidrige Politik Israels unterstützt worden.

      So sieht es aus, wenn Gewerkschaftsangehörige dem Antisemitismus entgegentreten: sie geben dem Ressentiment Nachhilfeunterricht. Es scheint wieder das bekannte Bild auf, logisch widersprüchlich, aber psychologisch konsistent. Doch die Jugendlichen riechen den Braten. Sie wollen keine linke Verfeinerung des Vorurteils, sie wollen keinen differenzierenden Zuspruch zum Hass. Sie wollen irgendwann aufs Ganze. Begriffen haben sie nur, wie hilflos der linke Antisemitismus ist und dass ihnen ihre linken Lehrer einmal nicht im Weg stehen werden.

      Vielleicht erinnert sich noch jemand an eine lange zurückliegende politische Diskussion, die geführt wurde, als es noch nicht um das duale System, sondern um die Frage von Herrschaft und Ausbeutung, nicht um Lebensqualität, sondern um die Frage von Reichtum und Armut ging. Damals entstand der Begriff vom »hilflosen Antifaschismus«, mit der jene Auffassungen von Geschichte und Gesellschaft in Deutschland qualifiziert wurden, über die Max Horkheimer ein vergessenes Urteil gesprochen hatte: »Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen.«

      Die Entwicklung der letzten beiden Jahrzehnte muss man als Aufstieg vom hilflosen Antifaschismus zum hilflosen Antisemitismus bezeichnen. Beiden Konzepten eignet dieselbe Beschränktheit; beide sind ein Gemisch aus Kritik und Apologie; beide changieren zwischen Anbiederung und Ablehnung. Dem eingeschränkten Erklärungshorizont des hilflosen Antifaschismus entspricht heute die begrenzte Reichweite des neuen Antisemitismus. Er findet zu seinem Ärger tatsächlich an Israel seine Grenze. Das macht die in Deutschland lebenden Juden nicht glücklicher, und sicherer bestimmt auch nicht, aber den Antisemitismus von links eben letztlich hilflos. Weit davon entfernt, einen untragbaren Zustand im Nahen Osten beenden zu helfen, befördert er nur, dass ein unerträglicher Zustand sich hierzulande verfestigt.

      Der einzige Gewinn für die Protagonisten des hilflosen Antisemitismus besteht darin, dass sie sich selbst demontieren und den Beginn der selbst verschuldeten Überflüssigkeit einläuten. Und wenn in diesem Land tatsächlich das Bündnis von Mob und Elite obsiegen sollte, dann bestimmt nicht über eine Opposition, die Konzessionen ans antijüdische Ressentiment als aufklärerische Pädagogik anpreist.

      Mit dem eingangs erwähnten Junktim: »Nur wenn wir uns kritisch mit Israel auseinandersetzen, können wir glaubhaft latentem Antisemitismus im Unterricht entgegentreten«, ist die GEW bereits die Krankheit geworden, als deren Arzt sie auftreten möchte. Dieser Satz ist nicht nur infam, sondern auch bodenlos dumm. Er ist infam angesichts gelynchter Ausländer, brennender Flüchtlingsheime und zertrümmerter Gedenkstätten. Er ist bodenlos dumm, denn niemand wird der Gewerkschaft diese Vorleistung auf einen völkischen Konsens gutschreiben. Das zumindest hätten die Gewerkschaftsmitglieder doch aus der deutschen Geschichte lernen können.

      Der Antisemitismus


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