In Schlucken-zwei-Spechte. Harry Rowohlt
nämlich in der »Lindenstraße«, und weil er soviel erlebt hat und zahlreiche wichtige Menschen kennt, kam der Verleger Klaus Bittermann auf die Idee zu diesem Buch: »Ihr sitzt doch ohnehin immer in der Kneipe und erzählt euch gegenseitig Geschichten. Laßt doch einfach mal ein Tonband mitlaufen.« Wir haben die Gespräche an sieben Tagen im Juli 2001 aufgenommen – allerdings nicht im Wirtshaus, sondern im Garten eines Cottages in Ballyvaughan an der irischen Westküste, und zwar bei zahlreichen Kannen Tee. Jawohl: Tee.
Übrigens sind sowohl der Verleger, als auch Harry Rowohlt und ich Widder mit Aszendent Schütze. Was das bedeuten mag, weiß ich aber nicht. Und noch etwas: Fragen Sie Harry Rowohlt, ob er etwas mit dem Rowohlt-Verlag zu tun hat. Für diese Frage, die ihm ständig gestellt wird, berechnet er fünf Euro und verdient sich ein nicht zu verachtendes Zubrot. Andererseits können Sie das Geld auch sparen: Diese und andere Fragen werden auf den nächsten Seiten beantwortet.
Ralf Sotscheck
Februar 2002
1. Tag
Kindheit
RALF SOTSCHECK: Als wir uns vor vielen Jahren kennenlernten, hatte ich noch einen Bart, und deiner war schwarz. Jetzt bin ich glattrasiert und dein Bart ist grau. Hast du mal erwogen, ihn zu färben, damit man die Essensreste nicht sieht?
HARRY ROWOHLT: Das habe ich schon mal gemacht, aber nicht wegen der Essensreste. Damals war ich Lehrling im Suhrkamp-Insel-Verlag und als solcher auch Praktikant bei der Firma »Clausen und Bosse« in Leck in Nordfriesland. Alle anderen Suhrkamp-Insel-Lehrlinge gingen zum Druckerei- und Setzerei-Praktikum nach Heidelberg und belegten Gastvorlesungen. Ich mußte in die dem Rowohlt Verlag assoziierte und von ihm auch gegründete Druckerei »Clausen und Bosse« in Leck. Das war aber nicht so schlimm. Ich fühlte mich wie in Dodge City. Leck war früher eine Cowtown. Da wurden Rinder aus Dänemark auf dem Weg zum Schlachthof durchgetrieben, weshalb es dort mehr Kneipen als Häuser gab. Manchmal gab es in einem Haus sogar zwei Kneipen. Ich hatte den Eindruck, irgendetwas muß ich von diesem Aufenthalt mitbringen, weshalb ich mir einen Bart stehen ließ. Den sah man nur im Gegenlicht, weil da nur weißblonder Flaum war. Also habe ich meine Nichte Muschi bestochen, daß sie mir in der Drogerie Polycolor-Färbe-Shampoo holt. Sie hat mir in die Hand versprochen, daß sie das niemandem sagt. Ich färbte mir diesen Bartflaum mit Polycolor dunkel, und seitdem ist der Bart sichtbar. Er blieb seltsamerweise dunkel. Der Bart hatte also gemerkt, was von ihm erwartet wurde.
Ich habe mir wegen Guinness den Bart abrasiert. Die Brauerei hat nämlich herausgefunden, daß jedes Jahr über 150.000 Pints Guinness in den Schnurrbärten der Trinker hängen bleiben. Bevor ich dem Guinness verfallen bin, hatte ich mir schon mal aus Neugier den Bart abgenommen, aber dann erkannte mich meine Tochter nicht mehr, und in die DDR wollten sie mich nicht einreisen lassen, weil ich keine Ähnlichkeit mit meinem Paßfoto hatte.
Ich sollte mal für das Zeit-Magazin einen Report über die Kneipenszene am Prenzlauer Berg machen. Der Fotograf war vierzehn Tage vor mir dagewesen und hatte die wunderschönen Kneipen fotografiert, und als ich hinkam, waren diese Kneipen, bis auf eine, aus baupolizeilichen Gründen geschlossen worden. Eine ganze Serie über eine einzige Kneipe machen, das ging ja nicht. Also hat sich die Reportage zerschlagen. In der einzigen Kneipe, die es noch gab, war ein richtiger Kellner, der sogar eine Kellnermontur trug. Eine Dame beschwerte sich: »Mein Sprudelwasser sprudelt gar nicht.« Der Kellner sagte: »Was glauben sie, weshalb ick schwarz trage.« Die DDR gab es zwar noch, aber nicht mehr lange. Überall war die Perestroika ausgebrochen, und ich bin in Ostberlin mit der S-Bahn gefahren. Der ganze Waggon diskutierte leidenschaftlich, und ein älterer Herr sagte, auf mich deutend: »Dieser junge Mann zum Beispiel hat sich, weil er mit den herrschenden Verhältnissen nicht einverstanden ist, einen Bart stehen lassen. Zu seiner Zeit trug ich ein Menjoubärtchen, det hat die Frauenzimmer wild gemacht.«
Hast du jemals erwogen, dir den Bart abzurasieren, um zu sehen, was darunter ist?
Ich hab mir mal die Stirnhöhlen, beziehungsweise die Nebenhöhlen fenstern lassen. Man kann auch Stirnnebenhöhlen sagen. Ich tendiere zu Stirnnebenhöhlen. Wenn schon, denn schon. Kurz vorher war in Hamburg ein Mann unter Vollnarkose gestorben, weil man ihn wegen des Bartes nicht beatmen konnte. Der ganze wertvolle Sauerstoff verlor sich im Bart. Also mußte der Bart ab, weshalb ich mich seit Jahrzehnten zum ersten Mal rasiert habe. Bei dieser Gelegenheit stellte ich fest, daß das Kinngrübchen, das in meinem Wehrpaß noch zu sehen ist, nicht mehr da war – ein Grübchen wie das von Kirk Douglas. Ich hatte auch kein Kinn mehr. Es war verkümmert, weil es jahrzehntelang niemand gesehen hatte. Das gibt es oft bei Organen, die nicht verwendet werden. Ich sah mit meinen blöden langen Haaren aus wie Frau Ponnwitz, so daß ich mir auch noch die Haare abgeschnitten habe. Kurz danach hatte ich eine Lesung in Braunschweig, in der Buchhandlung Leporello. Die wollten mich nicht lesen lassen, weil auf dem Plakat jemand anderes abgebildet war. Am nächsten Tag hatte ich eine Lesung in Hamburg-Barmbek beim U- und S-Bahnhof. Ich tupfte mir die Nase immer mit einem Tempotaschentuch, weil wegen der Operation noch Blut rann. In der Pause sagte eine Dame zu mir: »Ich finde das ein bißchen affig, daß so ein knorriger Typ wie Sie sich immer fein das Näschen mit einem Papiertaschentuch betupft, noch dazu mit einem Papiertaschentuch mit aufgedruckten Röschen.« Da habe ich ihr gezeigt, was es mit den Röschen auf sich hatte. Sie ist dann rückwärts in eine Zinkbadewanne voller Wasser mit Eiswürfeln und Guinness-Pullen gefallen.
Jedenfalls bist du nicht mit Bart geboren worden, sondern als unbehaartes Kriegsbaby.
Ich wurde in der Hochallee 1 in Hamburg 13 geboren. Im Luftschutzkeller, als Zehn-Monats-Kind. Immer, wenn ich soweit war, begann der Fliegeralarm, und ich dachte mir, ich bin doch nicht doof. Ich hab mir jetzt ausbedungen, daß in Kurzviten nicht mehr irgendetwas Kreatives steht. Da steht nur noch Harry Rowohlt, geboren 1945 in Hamburg 13, lebt in Hamburg Eppendorf. Für Kenner ist das ein leichter Abstieg, aber noch nicht die schiefe Bahn, man braucht sich also noch keine Sorgen zu machen.
Bei dem Nachnamen sowieso nicht. Das ist doch deine Lieblingsfrage: »Haben Sie etwas mit dem Rowohlt Verlag zu tun?« Jeder, der sie stellt, muß fünf Mark an eine Wohltätigkeitsorganisation spenden, oder?
Jawohl. Es ist eine Last, wenn man Rowohlt heißt. Im Hamburger Telefonbuch stehen, außer dem Rowohlt Verlag, meiner Mutter und mir, noch zwei weitere Rowohlts, und irgendwann abends habe ich die beiden angerufen, ganz leicht angeheitert und mit entsprechend erhöhter Risikobereitschaft. Ich telefoniere eigentlich nur, wenn ich ganz leicht angeheitert bin. Wenn ich nicht betrunken bin, habe ich keine Lust, weil ich dann übersetze. Aber manchmal will man sich halt ein bißchen mitteilen. Ich habe schon erwogen, einen Alkoholmelder am Telefon anbringen zu lassen, aber dann würde ich ja gar nicht mehr telefonieren. Ich rief also die beiden übrigen Rowohlts im Hamburger Telefonbuch an, um sie zu fragen, ob es ihnen auch so auf den Wecker geht, immer gefragt zu werden, ob sie etwas mit dem Rowohlt Verlag zu tun haben? Der eine ist Weinhändler und sagte: »Nö, ich habe mich daran gewöhnt, ich weiß ja, wer ich bin.« Und der andere hieß Jörg Rowohlt, war damals Leiter der Hamburger Schwuleninitiative e.V. und klang wie jemand, der bösartig Fritz J. Raddatz nachmacht: »Was wollen Sie überhaupt von mir?«
Aber als du geboren wurdest, hattest du einen anderen Nachnamen.
Geboren wurde ich als Harry Rupp, weil meine Mutter damals in dritter und vorletzter Ehe mit dem Kunstmaler Max Rupp aus Idar-Oberstein verheiratet war. Dessen Wirken läßt sich in Idar-Oberstein immer noch verfolgen. Er hat Kunst am Bau gemacht und furchtbar herumgewütet, ganz grauenvoll. Deshalb hieß ich zunächst Harry Rupp. Als sich meine Mutter scheiden ließ, hieß ich Harry Pierenkämper-Rupp, nach dem Mädchennamen meiner Mutter. Ich war schon als Kleinkind eine männliche Doppelnamen-Tusse. Als ich schreiben lernte, gab es gewisse Probleme. »Harry« konnte ich bereits nach dem ersten Schultag schreiben. Mein Lehrer, Herr Stawitz, erklärte mir das so: Das H ist eine kurze Leiter. Das kleine a ist ein Reifen, der kaputt gegangen